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Eine Nacht mit Buddha
Im afghanischen Bamian-Tal erinnerte zum Jahrestag eine 3-D-Nachbildung an die Zerstörung der Statuen vor 20 Jahren.
Es war Anfang März 2001. Der damalige UN-Beauftragte für Afghanistan Francesc Vendrell saß in Kandahar dem Taliban-Außenminister Wakil Ahmad Mutawakil gegenüber. Mutawakil, ein kultivierter Mann, erklärte, während seine Augen hinter der Goldrandbrille hin und her irrten: Ja, das sei richtig, alle »Schreine der Ungläubigen« in Afghanistan müssten zerstört werden. Er zitierte seinen Chef, den inzwischen verstorbenen Talibangründer Mullah Muhammad Omar: »Nur Allah der Allmächtige verdient es, angebetet zu werden.« Am 26. Februar jenes Jahres hatte Omar eine entsprechende Fatwa, ein islamisches Rechtsurteil, erlassen.
Mullah Omars Bilderstürmer-Urteil galt auch für die beiden kolossalen Halbrelief-Buddhastatuen im 3000 Meter hoch gelegenen zentralafghanischen Bamian-Tal. Mit einer Höhe von 53 und 36 Metern waren sie weltweit die größten ihrer Art und in ihrer Bedeutung den sieben antiken Weltwundern ebenbürtig. Wohl im 6. Jahrhundert hauten buddhistische Mönche den »Surkh But« (Roter Buddha) und den Khing But (Mondweißer Buddha) 400 Meter voneinander entfernt aus einer kilometerlangen, nach Süden blickenden Sandstein-Felswand. Wenn am Morgen die Sonne aufging, strich ein magischer goldener Schein über die Kolosse, von denen der größere im örtlichen Volksmund als männlich, der kleinere als weiblich galt. Das müssen auch die Mönche erlebt haben: Sie lebten in hunderten von Höhlen, die wie Bienenwaben die Felswand durchlöchern. Damals war Bamian ein wichtiger Handelsknoten an den Routen von Indien nach Zentralasien. Nach der Sprengung beherbergten die Höhlen lange Zeit Flüchtlinge. Der Rauch ihrer Kochfeuer schwärzte die Reste der Bemalungen, die zu Tausenden die Gewölbe geschmückt und bereits dem Vandalismus islamistischer Milizen zum Opfer gefallen waren.
Die örtliche Bevölkerung, zur islamischen Minderheit der Schiiten gehörende Hasaras, war stolz auf die Statuen. Vor dem Krieg hatten sie immer wieder ausländische Touristen angezogen. Noch im Februar 1999, zwei Jahre vor der Sprengung, hatte Mullah Omar alle Kulturgüter des Landes unter Schutz gestellt. Auf sein Geheiß hin bewachten örtliche Milizionäre die Statuen. Im Gespräch erklärte einer der Kämpfer zum stolzen Nicken seiner Kameraden, dass es eine »gute Sache« sei, die Buddhas zu bewachen. Ein früherer Fremdenführer des afghanischen Tourismusbüros trug seine vor Jahrzehnten einstudierte englische Erläuterung vor. Fotografieren war aber, wie überall unter den Taliban, verboten. Durchs Klo-Fenster konnte man trotzdem heimlich gute Bilder schießen.
In den Jahren zuvor hatten Talibankämpfer aus den Höhlen über den Buddhas benzingetränkte Autoreifen an Seilen herabgelassen und angezündet, sodass es aus der Ferne aussah, als ob der Buddha aus zwei riesigen Augenhöhlen düster in die Landschaft starrte.
Mullah Omar änderte seine Meinung, nachdem die UNO im Dezember 2000 die Sanktionen verschärfte, die sie schon früher wegen der Beherbergung Osama bin Ladens gegen sein Regime verhängt hatte. Bin Ladens Terrorgruppe hatte 1998 zwei US-Botschaften mit Autobomben angegriffen, dabei aber vor allem einheimische Passanten getroffen. Bis zum Herbst 2000 hatten die Taliban laut Omar noch nach internationaler Anerkennung gestrebt. Die Weltgemeinschaft habe aber gezeigt, dass sie nicht an »normalen Beziehungen« mit den Taliban interessiert sei, erklärte Omar. Und da man die Buddhas nur deshalb bisher geschont habe, müsse man das nun nicht mehr tun. Besonders erzürnte ihn, dass nach Verkündung seines Dekrets führende Museen von New York über Amsterdam bis Tokio sowie die Regierungen Irans und Thailands Geld anboten, um die Statuen zu retten.
Nach der Zerstörung versuchten die Taliban, auch alle Andenken an die beiden einzigartigen Kulturdenkmäler zu tilgen. In der heruntergekommenen »Brasserie Bamian« im Kabuler Hotel »Inter-Continental« verhüllte ein riesiges Tuch mit einem Farbbild des Schlosses Neuschwanstein eine der Wände mit den Resten eines ebenfalls zerschlagenen Reliefs der Buddhas. In einem Empfangszimmer im Kabuler Außenministerium wurde auf einem Gemälde die Gestalt der Kolosse übermalt. Auch die Bilder der Buddhas, die die Tickets der einheimischen Fluggesellschaft Ariana zierten, mussten Schalterbeamte mit Kugelschreibern tilgen. Schließlich durften auch private Fotoläden in Kabul keine Fotos davon mehr verkaufen. Die Zerstörung solch wichtiger historischer Monumente machte bei vielen Afghanen die Hoffnung zunichte, dass die Taliban sich doch noch politisch mäßigen könnten. In der Bevölkerung hieß damals kaum jemand die Sprengung gut.
Von den Buddhastatuen sind heute nur noch Felsbrocken übrig. Ausländische Organisationen vermessen und katalogisieren sie, um vielleicht eines Tages die Statuen wieder aufrichten zu können. Der Versuch, das Bamian-Tal nach dem Sturz der Taliban zu einem internationalen Reiseziel zu machen, scheiterte am wieder aufflammenden Krieg zwischen der Nato und den wiedererstarkenden Taliban. 2018 stand das Touristenzentrum verstaubt und leer da. Tickets gab es schon lange nicht mehr.
Zum Jahrestag der Zerstörung veranstalteten am Dienstag lokale Organisationen »Eine Nacht mit Buddha«. Auf die leere Nische der großen Statue wurde eine 3-D-Nachbildung projiziert. Vor allem junge Leute versammelten sich mit Laternen, in Afghanistan ein Symbol der Aufklärung. Tänzerinnen gaben eine Performance - ein Zeichen des Selbstbewusstseins an die mit US-Hilfe zurück an die Macht strebenden Taliban. Zahra Hussaini, Mitorganisatorin des Events, sagte der BBC: »Wir wollen, dass die Menschen nicht vergessen, was für ein schreckliches Verbrechen hier in Bamian verübt wurde.« An Kunstschätzen wie an Menschen.
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