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Jenseits der Sehnsüchte
Luca Guadagninos Serie »We are who we are« erzählt mit leiser Ironie vom alltäglichen Gelingen und Scheitern der Jugend
Erzählungen über Jugendliche und ihre ersten romantischen Erlebnisse gehören seit Jahrzehnten zu den wichtigsten und häufigsten Motiven der Filmindustrie. Dabei stellt das kulturindustrielle »boy meets girl«-Motiv als grundlegendes Element der ebenso mit Witz und Humor wie auch regelmäßig als Tragödie inszenierten Coming of Age-Geschichten stereotype Geschlechterrollen eher selten infrage. Das ist umso verwunderlicher, als junge Menschen gerade in ihren Teenagerjahren, wenn sie ihre Sexualität entdecken, nicht unbedingt auf klassische Geschlechterrollen festgeschrieben sind. »We are who we are«, eine von HBO produzierte, achtteilige Serie, inszeniert diese intensive Zeit des Suchens, Findens und Experimentierens auf wunderbare Weise. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die 14-jährigen Kids Fraser und Caitlin. Der weiße Junge und das schwarze Mädchen leben auf einer US-Militärbasis an der norditalienischen Adria, Fraser ist mit seiner Familie gerade erst von New York dorthin gezogen. Selbstbewusst und frech, aber auch hilflos und tollpatschig versucht er nun, Anschluss an Caitlins Clique zu bekommen.
Regisseur Luca Guadagnino, bekannt durch seinen queeren Film »Call me by your name« (2017), fängt diese Geschichte mit leiser, aber wirkungsvoller Ironie und mit viel Liebe für die zwischenmenschlichen Details des Alltags ein. Die Militärbasis funktioniert etwa wie ein kleinstädtisches amerikanisches Biotop mit Highschool, Supermärkten und Public Viewing beim Football. Wir schreiben das Jahr 2016 und Donald Trumps erfolgreicher Wahlkampf fungiert als konstantes Hintergrundrauschen. Frasers Mutter ist Colonel und wird Kommandeurin der Basis, seine andere Mutter arbeitet als Krankenschwester beim Militär. Caitlins Familie wohnt direkt nebenan - in diesem wie aus einem Baukasten zusammengesetzten Ort. Caitlins Vater ist Lieutenant, seine Frau führt ganz klassisch den Haushalt. Bald wird Fraser Teil der mehrheitlich aus schwarzen Jugendlichen bestehenden Clique Caitlins, zu der nicht nur Kinder von Army-Mitgliedern gehören, sondern mit Craig auch ein junger Soldat, der schließlich nach Afghanistan versetzt wird. Zwischen Strandbesuchen und wilden Partys - die auch mal in einer leer stehenden Villa gefeiert werden, in die die Kids einbrechen - entwickeln sich Freundschaften, Eifersüchteleien, Streitigkeiten und sexuelles Begehren.
Caitlin verkleidet sich gerne als Junge und beginnt schließlich auch einen Flirt mit einem italienischen Mädchen, der sie sich als Harper vorstellt. Fraser schickt derweil Nachrichten an einen in New York zurückgelassenen engen Freund und unterstützt Caitlin, soweit er kann. Die Faszination der beiden Nachbarschaftskids füreinander führt aber nicht zu platten romantischen Gefühlen, sondern entwickelt sich im Spannungsfeld jugendlicher Verunsicherungen und eines radikalen Begehrens, bei dem es weniger um die Projektionsfläche eines anderen Menschen geht, sondern vielmehr um die Sehnsüchte eigener Entwicklungen. Die Spannungen zwischen den Eltern nehmen indes zu, nicht zuletzt, weil auch hier die eine oder andere Begierde auftaucht.
»We are who we are« erzählt vom alltäglichen Gelingen und Scheitern jugendlichen Begehrens und verliert sich dabei nicht in Stereotype, auch wenn die allesamt großartigen Schauspieler etwas zu attraktiv geraten sind. Egal ob es ums Saufen, Kiffen, Sich-Übergeben oder Beim-Sex-Einschlafen geht: Hier wird die ganze Unfähigkeit junger Menschen ironisch eingefangen, ohne sie dabei vorzuführen. Das hat auch mit der äußerst passend eingesetzten Musik zu tun. Klänge von Klaus Nomi und den Rolling Stones, aber auch hipper Elektropop und Punk verleihen den mitunter großartigen Kameraeinstellungen von »We are who we are«, einer wirklich sehenswerten Serie, einen popkulturellen Schwung.
»We are who we are« auf Starzplay.
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