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Neuer Ärger mit AZD1222
Nach Impfungen mit dem Astra-Zeneca-Vakzin traten einzelne Fälle von Blutgerinnseln auf. Ein Zusammenhang ist nicht belegt
Nichts geht mehr, heißt es bei Impfungen mit dem Covid-19-Vakzin von Astra-Zeneca in Deutschland und etwa einem Dutzend anderen europäischen Ländern. Das Bundesgesundheitsministerium verhängte am Montag einen vorläufigen Impfstopp, als »reine Vorsichtsmaßnahme«, wie es hieß. Und wieder wird die EU zum Corona-Flickenteppich mit skurrilen Details: Während Lettland einen Stopp verhängte, wird beim baltischen Nachbarn Litauen munter weiter geimpft.
Das Vakzin AZD1222 wurde vom britisch-schwedischen Astra-Zeneca zusammen mit Forschern der Universität Oxford entwickelt. Es handelt sich um einen Vektorimpfstoff, bei dem Erbmaterial des Coronavirus mithilfe einer abgeschwächten Version eines harmlosen Erkältungsvirus in die Körperzellen gebracht wird. Dies soll die Bildung von Antikörpern und T-Zellen fördern, die für die Immunabwehr wichtig sind. Ähnlich funktionieren auch das russische Vakzin Sputnik V und das Produkt des US-Konzerns Johnson & Johnson. Vektorimpfstoffe sind ziemlich neu, zuvor wurden sie nur gegen das Dengue-Fieber und Ebola eingesetzt.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
AZD122 haftete zuvor schon der Makel an, weniger wirksam als Konkurrenzprodukte zu sein. Neuere Daten relativierten dies aber. Auch gab es Vorbehalte wegen Nebenwirkungen wie Armschmerzen oder Grippesymptomen, die aber auch sonst bei Impfungen vorkommen. Ignoriert wurde dabei, dass es bei Pharmaprodukten immer darum geht, ob der Nutzen mögliche Risiken überwiegt.
Was genau ist nun das Problem? In zeitlicher Nähe zur Impfung mit dem Astra-Zeneca-Vakzin traten Fälle von Blutgerinnseln auf, einige sogar mit Todesfolge. Daraufhin stoppten zunächst Norwegen und Dänemark vergangene Woche das Impfen. Das für Risikobewertungen zuständige Komitee der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) konnte hingegen keinen Zusammenhang erkennen, denn 30 Thrombosefälle bei knapp fünf Millionen geimpften Personen im Europäischen Wirtschaftsraum stellten keine Häufung gegenüber der sonstigen Bevölkerung dar. Thromboembolien treten in Deutschland ein bis drei Mal pro 1000 Personen und Jahr auf. In den klinischen Studien des Impfstoffes kamen laut den Entwicklern Blutgerinnungsstörungen nicht als Nebenwirkungen vor.
Das in Deutschland als oberste Behörde für Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut schloss sich der EMA-Bewertung zunächst an, denn »der Nutzen der Impfung überwiegt die bekannten Risiken«. Am Montag vollzog es nun eine Kehrtwende. Neuen Daten zufolge seien in zeitlicher Nähe zur Impfung in Deutschland sieben Fälle von Sinusvenenthrombosen aufgetreten, also von Blutgerinnseln in Venen, die Blut aus dem Gehirn abführen. Drei Fälle seien tödlich verlaufen.
Die Zahl entspricht etwa vier Fällen pro eine Million Geimpfter seit Start der Impfungen Anfang Februar. Das könnte auf eine Häufung hindeuten, da diese Art der Thrombose sonst zwei bis fünf Mal pro eine Million Personen im Jahr auftritt. Allerdings gehen Studien aus einzelnen Ländern von einer höheren Inzidenz bis zu 15,7 Fällen pro einer Million Menschen im Jahr aus.
Bei der geringen Zahl der aufgetretenen Fälle könnte dies ein statistischer Zufall sein. Die Behörden werden jetzt prüfen, ob die gleichen Personengruppen wie sonst betroffen sind: Bei Frauen und bei jüngeren Personen ist das Risiko generell höher. Die EMA will prüfen, ob die Zahlen aus Deutschland gesamteuropäisch bestätigt werden können.
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sieht bereits »mit großer Wahrscheinlichkeit« einen Zusammenhang mit der Impfung. Dies mache auch »physiologisch Sinn«. Reagiert also das Immunsystem der Geimpften an einer falschen Stelle? Der Immunologe Carsten Watzl von der TU Dortmund hält dies bisher für »reine Spekulation«. Theoretisch könne eine Covid-19-Impfung in sehr seltenen Fällen eine Autoimmunreaktion auslösen; dazu brauche es eine »genetische Vorbelastung«.
»Die kausale Verknüpfung ist hier völlig offen«, sagt auch Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. »Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einem Symptom und einer Impfung herzustellen oder zu belegen, ist immer ganz, ganz schwierig.« Berlit verweist auf einen anderen Aspekt: Gesichert ist, dass Sars-CoV-2-Infektionen die Thromboseneigung deutlich erhöhen. Studien zufolge traten bei 15 Prozent der Infizierten solche Ereignisse auf. Berlit geht davon aus, dass es im Rahmen der Erkrankung zu einem »Zytokinsturm«, einer massiven Hochregulation des Immunsystems, kommt. Dadurch könne eine erhöhte Gerinnungsneigung des Blutes auftreten.
Vor allem britische Wissenschaftler halten die Aussetzung der Impfungen für überzogen, zumal auf der Insel fast die zehnfache Menge AZD1222 geimpft wurde, ohne dass solche Nebenwirkungen gehäuft beobachtet wurden. Peter Openshaw vom Imperial College London spricht von »einem Desaster für die Akzeptanz von Impfungen in Europa, die in einigen Ländern ohnehin schon auf wackeligem Boden steht«. Es sei »sehr eindeutig, dass die Vorteile einer Impfung die mögliche Sorge vor dieser seltenen Art der Blutgerinnsel weit überwiegen«.
Dem kann sich SPD-Mann Lauterbach anschließen. Auch er hält den Impfstopp für falsch. Schließlich ließen sich Thrombosen gut behandeln – anders als Covid-19.
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