Thrombose vs. Thrombose

Nach dem Stopp der Astrazeneca-Impfungen werden angebliche Nebenwirkungen des Mittels heiß diskutiert

Die dritte Welle der Corona-Pandemie hat das Ufer längst erreicht, da setzt Deutschland die Impfungen mit Astrazeneca aus. Ausgerechnet das Vakzin, dass bei einer normalen Kühlung von zwei bis acht Grad Celsius gelagert werden kann und deswegen recht einfach auch von Hausärzt*innen verabreicht werden könnte. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach von einer fachlichen Entscheidung auf Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel. Kritiker*innen des Beschlusses vom Montag kommt es eher wie eine politische Entscheidung vor, immerhin ist der Stopp bei Expert*innen umstritten. Und im Netz regt man sich vor allem über eins auf: Doppelmoral bei den mutmaßlichen Nebenwirkungen des Vakzins, wenn es um das Thromboserisiko geht. Doch der herangezogene Vergleich mit der Anti-Baby-Pille hinkt.

Zunächst hatte Dänemark vergangene Woche den Einsatz des Impfstoffs von Astrazeneca ausgesetzt. Seit dieser Woche wird auch in Deutschland nicht mehr damit geimpft. In Deutschland wurde bislang 1,6 Millionen Mal das Astrazeneca-Präparat geimpft. Sieben Personen erlitten Thrombosen, die zeitlich im Zusammenhang mit der Impfung stehen. Ob diese aber tatsächlich eine Folge der Impfung sind, ist bisher nicht nachgewiesen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Ganz anders bei der Anti-Baby-Pille: Seit Jahrzehnten weiß man um die Thrombose-Gefahr bei Einnahme der Pille. Fünf bis sieben Personen von 10.000 Menschen, die die Präparate der ersten oder zweiten Generationen einnehmen, bekommen Thrombosen. Die Pillen der dritten und vierten Generation, die eine andere Hormonzusammensetzung haben, erhöhen das Risiko noch deutlicher: neun bis zwölf von 10.000 Menschen erleiden Blutgerinnsel. Dieser Zusammenhang ist wissenschaftlich belegt. Dennoch werden nicht alle jungen Menschen vor der Einnahme der Pille ausreichend auf das Risiko hingewiesen, das Präparat ist größtenteils unumstritten und wird teilweise »wie Hustenbonbons verschrieben«, so eine Kritik auf Twitter.

In Sozialen Medien wird sich deswegen seit Tagen über doppelmoralisches Handeln der Politik beschwert. Jetzt, wo auch Männer einem Thrombose-Risiko ausgesetzt sind, werde auf einmal gehandelt, so der Grundtenor. Die Kritik fällt vielfach äußerst zynisch aus: »Bei dieser #AstraZeneca-Debatte zeigt sich die wahre Identitätspolitik«, schreibt eine Twitter-Userin namens Sandra und weiter: »Thrombose bei dem Impfstoff (Zusammenhang nicht belegt): 6 von 1 Mio. Thrombose durch die Pille (Zusammenhang nachgewiesen): 800-1200 von 1 Mio. Es ist halt wichtig, dass nur Frauen sterben«. Die Autorin Sophie Passmann meint, »dieser Thrombose-Vergleich tut so, als könne man Astra Zeneca und die Pille in Relation setzen, aber bei der Pille geht es eben nur um Frauen und beim Impfstoff auch um richtige Menschen«. Auch die Abschaffung aller Langstreckenflüge wird in der Diskussion gefordert, immerhin erhöhen diese nachweislich das Thromboserisiko.

Hinkender Vergleich

Der Vergleich zwischen dem Impfstoff und der Pille ist naheliegend, ganz passend ist er aber nicht, wie zuletzt auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach betonte: »Tatsächlich ist das ein anderes Risiko«, erklärte er Dienstagmorgen im Deutschlandfunk. »Die Thrombosen, die es nach Einnahme der Pille gibt, die sind nicht in der Schwere vergleichbar mit den Thrombosen, über die wir hier sprechen.« Der Unterschied: Während die Pille in den allermeisten Fällen Blutgerinnsel in den Bein- und Beckenvenen verursacht, handelte es sich bei den aktuellen Fällen um seltene Hirnthrombosen.

So oder so mag der Astrazeneca-Stopp für viele einen bitteren Nachgeschmack haben. Denn der Schaden, den der Stopp der Impfungen verursacht, scheint größer zu sein, als sein Nutzen. Mittlerweile wird in zehn Ländern der EU auf das Vakzin des britisch-schwedischen Herstellers verzichtet. Alle berufen sich auf Berichte schlimmer Blutgerinnsel im Zusammenhang mit der Impfung. Der Impfstoff hatte bereits von Beginn an keinen guten Ruf, galt er doch zunächst als ungeeignet für alle über 65-Jährigen. Die Angst vor dem Mittel, die durch das aktuelle Aussetzen entsteht, wird dem dringend notwendigen Erfolg der Impfkampagne eher entgegen - und damit auch dem Kampf gegen die bald über uns zusammenbrechende dritte Welle.

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) blieb zunächst bei ihrer guten Bewertung des Impfstoffes: Bisher gebe es keine Hinweise darauf, dass das Mittel ein ernstes Gesundheitsrisiko darstelle. Für Donnerstag wurde eine Sondersitzung zu dem Vakzin angesetzt. Bleibt zu hoffen, dass sich dann auch noch genügend Leute damit impfen lassen wollen. Auf Twitter bekunden immerhin unzählige User*innen, sie würden liebend gern mit Astrazeneca geimpft werden.

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