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Weggeknüppelt und gedemütigt
Der Klimaaktivist Chris T. sagt, er sei von der Polizei im Dannenröder Forst misshandelt worden. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft
»Wir sind zu acht auf die Rodungsmaschine zugelaufen, die auf einem Waldweg stand, und fächerten uns auseinander, um von allen Seiten auf das Fahrzeug zu gelangen. Zwei Waldarbeiter wurden von drei Polizist*innen bewacht«, erinnert sich die Aktivistin Lua. Ich bin links vorbei, eine Polizistin stand vor mir, sie hat den Schlagstock gezogen und auf mich eingeschlagen.»
Es war Dienstag, der 10. November. Der erste Tag der Räumung des Dannenröder Forsts, nachdem die Schneisen für den Autobahnneubau im angrenzenden Herrenwald und im Maulbacher Forst ein paar Kilometer weiter südlich bereits weitgehend geschlagen waren. Nur vereinzelt gab es dort Blockaden, die Polizist*innen aber recht schnell wieder auflösten. Doch im Dannenröder Forst, wo die letzten 27 Hektar für den Lückenschluss der A49 von Kassel nach Gießen gerodet werden sollten, rechnete die Polizei mit größerem Protest. Schon seit einem Jahr gab es dort Baumhausdörfer - mit Hütten, Plattformen und Traversen in den Bäumen, welche die Aktivist*innen ständig ausbauten. Wie viele Menschen im Wald waren, konnte die Polizei nur schätzen. Viele Dutzende sicherlich. Niemand wusste so recht, wie eine Räumung dort ablaufen würde. Entsprechend angespannt war die Situation.
Auch Sally war in der Gruppe, die versuchte, den Harvester zu besetzen. Auch sie erzählt, dass die Einsatzkräfte überaus brutal vorgegangen seien. «Mich packte eine Polizistin am Hals und riss mich zu Boden. Dann sah ich, dass Snoopy regungslos auf dem Boden lag. Er lag anfangs auf der Seite.» Snoopy, das war der Waldname von Chris T., auch die Namen von Sally und Lua sind Pseudonyme. Sie wollen alle anonym bleiben; unter den Waldbesetzer*innen ist das eine verbreitete Strategie, weil sie wegen ihres zivilen Ungehorsams mit einer Strafverfolgung rechnen müssen.
Der Versuch der Fahrzeugbesetzung war die erste heftige Auseinandersetzung bei der Räumung im Dannenröder Wald. Sally findet, dass die Polizei überreagiert habe und die Brutalität in keinem Verhältnis stehe. «Wir hatten ja keine Böller dabei und waren nicht militant. Wir wollten da einfach nur rauf und die Rodung aufhalten. Wie die um sich geschlagen haben, da ist es ein Wunder, dass nicht noch mehr passiert ist.»
Aussage gegen Aussage
Was an diesem Tag in der Mittagszeit am nördlichen Rand des Dannenröder Waldes tatsächlich mit Chris T. geschah, darüber gibt es unterschiedliche Aussagen: Der Hessische Rundfunk zitierte die Polizei, wonach der 39-Jährige beim Versuch, auf die Baumaschine zu gelangen, gestürzt sei. Dabei habe er sich am Kopf verletzt. «Das ist eine Falschmeldung», sagt Chris T. Er sei gar nicht bis zur Maschine gekommen. Ein Polizist habe ihn schon einige Meter davor zusammengeschlagen. Sollte sich seine Aussage bewahrheiten und seine Kopfverletzung tatsächlich von einem Schlagstock stammen, dann wäre das ein massiver und womöglich unverhältnismäßiger Einsatz von Gewalt, den die Polizei bewusst versucht zu vertuschen.
Weder Sally noch Lua konnten sehen, was genau passiert war. Sie wurden beide ja selbst niedergestreckt; dass Chris T. aber gestürzt ist und sich selbst dabei verletzt hat, daran glauben sie nicht. «Dann sind auf einmal viele Polizist*innen gekommen und drängten uns von dem Harvester ab», erinnert sich Sally. «Wir waren etwa 15 bis 20 Meter von Snoopy entfernt und durften nicht zu ihm. Es war auch nicht zu erkennen, wie es ihm geht.» Chris T. selbst kann sich an all das, was nach dem Vorfall geschah, nicht erinnern. «Ich hatte einen kompletten Filmriss», sagt er.
«Als ein Sanitäter der Polizei kam, war Snoopy ansprechbar», erinnert sich Sally. «Er sprach leise und sagte zu uns: ›Ja, das geht schon.‹» Auf einer Trage wurde er zum Krankentransport gebracht. Sally wunderte sich, dass der Wagen an der Straße blieb und ihnen nicht den Feldweg entgegenkam. Auf einmal bemerkte sie, wie Polizist*innen ihm die Handschuhe ausziehen wollten. Sie vermutet, dass sie schon mit der Personalienfeststellung beginnen und seinen Fingerabdruck nehmen wollten. Die Polizei wirft ihm nämlich vor, bei der Festnahme Widerstand geleistet zu haben. «Ich habe ihnen dann recht deutlich gesagt, dass sie Snoopy in Ruhe lassen sollen, weil er dringend ärztlich versorgt werden musste. Schließlich ließen sie von ihm ab.» Dann trennten sich ihre Wege. Sally kam in die Gefangenensammelstelle nach Gießen, Christ T. ins Universitätsklinikum nach Marburg.
Streit im Landtag über den Polizeieinsatz
Der Polizeieinsatz rund um die fast einen Monat andauernde Räumung des Dannenröder Forsts wird in der hessischen Landespolitik sehr unterschiedlich bewertet. Die SPD-Fraktion im Landtag lobte ausdrücklich die Arbeit der Polizei und betonte die Gefährlichkeit des Einsatzes angesichts der radikalisierten Waldbesetzer*innen. Die Polizei selbst erklärte nach Abschluss der Räumung, der Protest habe es auf eine Eskalation angelegt; es sollte zu einem Rodungsstopp kommen, worauf die Einsatzkräfte aber kooperativ reagiert hätten. Dem kann die hessische Linksfraktion, die häufig die Einsätze vor Ort beobachtete, nur bedingt zustimmen. Zwar habe die Polizei die Protestierenden überwiegend behutsam aus den Bäumen geholt, aber am Boden sei sie vielfach mit unverhältnismäßiger Gewalt vorgegangen, so ihr Resümee. Die Bilanz der Grünen, die in Hessen zusammen mit den Christdemokraten regieren, fällt dagegen deutlich positiver aus. Die Delegierten des Parteirats befanden im Dezember mehrheitlich, dass die Einsatzkräfte größtenteils deeskalierend aufgetreten seien und es nur vereinzelt «polizeiliches Fehlverhalten» gegeben habe, das aufgearbeitet werden müsse.
Viele Fälle sind es allerdings nicht, in denen die Polizei gegen eigene Kolleg*innen ermittelt. Derzeit sei eine «einstellige Zahl an Strafanzeigen in Bearbeitung», erklärt die Polizei in Mittelhessen knapp. Doch deutet die Beobachtung der Linken darauf hin, dass es eine Dunkelziffer von strafbarer Polizeigewalt gibt, bei der bislang noch nicht ermittelt wird.
Ein juristisches Nachspiel hat mittlerweile das, was Chris T. im Krankenhaus widerfahren ist. «Ich habe im Behandlungszimmer gesessen und auf die Ergebnisse der Röntgenuntersuchung und der Computertomografie gewartet.» Damit sollte ausgeschlossen werden, dass sein Handgelenk gebrochen ist und er eine Gehirnblutung erlitten hat. «Zwei Beamte waren immer in meiner Nähe», erinnert er sich. Während er wartete, waren sie aber auf einmal zu sechst, fünf Männer und eine Frau, und forderten ihn auf, seine persönlichen Daten anzugeben. Als Chris T. sich weigerte, legten sie ihm Handschellen an und wendeten Schmerzgriffe an. Er weiß noch, wie sie ihn verhöhnten. «Einer sagte: ›Schade um die schöne Hose, jetzt ist sie kaputt‹; ein anderer: ›Nun wehr dich doch nicht, das macht doch alles nur schlimmer.‹ Sie machten Fotos von mir und begannen, mich auszuziehen. Ich war ihnen komplett ausgeliefert. Als sie mir die Unterhose ausziehen wollen, kamen zwei Krankenschwestern herein und schickten sie weg.»
Schutzlos im Krankenhaus
Eigentlich solle er zur Beobachtung zwei Tage im Spital bleiben. Aber er entließ sich selbst und machte sich noch benommen von der Kopfverletzung auf den Weg zurück in den Wald. Im Klinikum, das ja eigentlich ein Schutzraum für Verletzte und Erkrankte sein soll, an dem sie versorgt werden und genesen können, fühlte er sich nicht mehr sicher.
Chris T. wirkt gefasst, als er die Geschichte erzählt. «Ich finde, das war nicht nur Zwang, der gegen mich angewendet wurde, sondern das war auch demütigend und übergriffig.» Es ist nicht das erste Mal, dass er davon berichtet. «Im Wald habe ich zum Glück Menschen gefunden, mit denen ich darüber reden konnte.»
Rouven Spieler von der Staatsanwaltschaft Gießen sagt, der Vorfall sei bekannt, «und es wird bereits ermittelt» wegen Körperverletzung im Amt. Möglicherweise kommen noch weitere Delikte in Betracht. Noch sei aber nicht klar, was sich dort alles zugetragen habe und wie das rechtlich zu bewerten sei, sagt er. Derzeit sei nur ein Polizeibeamter als Beschuldigter eingetragen. Das könne sich aber noch ändern. Die Befragungen der Zeug*innen laufen noch, und auch die Einsatzberichte müssen ausgewertet werden. Spieler rechnet damit, dass sich die Ermittlungen hinziehen werden.
Am Abend traf Chris T. wieder im Protestlager in Dannenrod ein. «Es hatte sich schon herumgesprochen, dass ein Aktivist von der Polizei mit einem Schlagstock verletzt worden sein soll», erzählt ein ehrenamtlicher Notfallsanitäter, der eigentlich als Arzt in einem Krankenhaus praktiziert. «Ich kannte Snoopy, und als ich ihn traf, war er sehr ernst. Irgendwas stimmte nicht mit ihm, das wusste ich sofort.» An der linken Schläfe hatte er ein Hämatom und am Handrücken eine blaue Stelle.« Beim Telefongespräch im Januar kann der Arzt sich nicht mehr genau erinnern, ob es die linke oder rechte Hand war. Wohl aber, dass seine Kopfverletzung nicht alltäglich war. »Das war keine Beule, die von einem Sturz stammt, die Stelle wäre dafür untypisch, und es gab auch keine Abschürfungen. Das sah ganz nach einem Schlag mit einem Gegenstand aus, der sein Gehirn erschüttert hat.« Alles deutet also darauf hin, dass er krankenhausreif geprügelt wurde und die Aussage der Polizei, er sei gestürzt, nicht stimmt.
Chris T. kurierte seine Verletzung bei der Waldbesetzung aus. Er blieb, bis der letzte Baum gerodet war. Dann ging er zurück nach Hamburg, wo er wohnt, legte seinen Waldnamen ab und beschloss, gegen die Gewalt, die er erlitten hat, vorzugehen. Sein Anwalt Nils Spörkel hat mittlerweile beim Verwaltungsgericht Gießen Klage gegen den Polizeieinsatz im Wald und dem Geschehen im Krankenhaus erhoben. Dass die Staatsanwaltschaft von sich aus die Ermittlungen aufgenommen hat, deutet er als hoffnungsvolles Zeichen.
Die Gemeinschaft war prägend
Chris T. blickt jetzt mit etwas Abstand auf eine erlebnisreiche Zeit im Wald zurück. »Sicherlich hat die Gemeinschaft der Besetzung mich nachhaltig geprägt«. Gleichwohl ist er auch enttäuscht darüber, dass der Protest so schnell beendet und der Wald brachial abgeholzt wurde. Der Protest habe nicht ausgereicht, konstatiert der Klimaaktivist, der zuvor bei der Bewegung Extinction Rebellion aktiv war. Außerdem betrübt ihn, dass nicht nur er selbst Gewalt erfahren hat, sondern er auch immer und immer wieder Prügelexzesse gesehen hat. »Wäre das ein Einzelfall, dann würde das nicht an meinen Grundfesten rütteln. Aber die Polizeigewalt im Wald war allgegenwärtig«, sagt er, und ihm ist eine Verbitterung anzumerken. Sein Fall könnte einer der wenigen sein, bei denen eine überzogene Gewalt auch für Polizist*innen Konsequenzen hat. Es wäre eine Demonstration, dass Recht und Gesetz auch für sie gilt.
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