Wenn frau die Hosen anhat

Susanne Oesterreich beschreibt den emanzipatorischen Anspruch eines Kleidungsstückes

  • Lesedauer: 7 Min.

Die Hose in der weiblichen Tagesmode

Die Autorin und ihr Buch

Kleidung ist für symbolische Darstellung von Vorstellungen und zugeschriebenen Eigenschaften der sozialen Kategorien Männlichkeit und Weiblichkeit von zentraler Bedeutung. Dies veranschaulicht sich im westlichen Kulturkreis in besonderem Maße an der Hose.

Als Symbol für Männlichkeit und gesellschaftliche Vormachtstellung war das Tragen von Hosen über Jahrhunderte ausschließlich Männern vorbehalten. Entsprechend konfliktträchtig und einschneidend gestaltete sich der Eingang der Hose in die europäische Damenmode seit Mitte der 1950er Jahre. Mit der Etablierung der Frauenhose wurde die vestimentäre Geschlechterdistinktion beider deutscher Nachkriegsgesellschaften fundamental in Frage gestellt. Im Zuge dessen wandelten sich auch die mit der Hose verknüpften Sinn- und Vorstellungsgehalte tiefgreifend: Sie avancierte vom männlichen Privileg zum Ausdruck moderner Weiblichkeit.

Susanne Oesterreich hat an der Universität Leipzig Germanistik und Kulturwissenschaften (mit Schwerpunkt auf Kulturgeschichte und Kulturmanagement) studiert. Während ihrer Promotion war sie als Kuratorin am Deutschen Genossenschaftsmuseum im nordsächsischen Delitzsch sowie als freie Mitarbeiterin in verschiedenen Agenturen der Leipziger Kultur- und Kreativwirtschaft tätig. Seit 2018 ist Susanne Oesterreich Geschäftsführerin der Agentur INSEL + MEILE Museumskulturen, deren Arbeitsschwerpunkte in den Bereichen Ausstellungskonzeption und Museumsberatung liegen.

In der ersten Hälfte der 1960er Jahre bildete sich analog zum beschriebenen Bekleidungsverhalten weiblicher Jugendlicher eine weibliche Bekleidungspraxis heraus, in der Hosen zunehmend auch jenseits sportlich-aktiver Freizeitunternehmungen zum Einsatz kamen. In der Frauenpresse stieß diese Entwicklung auf divergente Reaktionen. Während die Zeitschrift Für Dich behoste Ausflüglerinnen auf der Festung Königsstein in der Sächsischen Schweiz monierte (Für Dich, Heft 25/1963, S. 47), schlug sich die neue Bekleidungspraxis in Die Frau von heute wertfrei im fotojournalistischen Kontext nieder. Hier erschienen mehrfach Begleitfotografien, die Frauen in Hosen als Straßengarderobe abbildeten (Die Frau von heute, Heft 31/1961, S. 8., Die Frau von heute, Heft 38/1962, S. 6).

Eingang in die offizielle Tagesmode fanden Hosen 1965 in Form des Hosenanzugs, der die modejournalistische Berichterstattung in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre als bestimmendes Thema entscheidend prägte. Dies ging mit einem grundlegenden Wandel der ästhetisch-stofflichen Bekleidungsgestalt der Frauenhose einher, der auf die Pluralisierung der Wahrnehmungs- und Darstellungsmuster der vestimentären Geschlechterkonstruktion verweist.

Zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Hose als Bestandteil der weiblichen Tagesgarderobe lieferte die Inhaltsanalyse der ausgewählten Zeitschriften keine stichhaltigen Hinweise. Da die Durchsetzung der Frauenhose aufgrund ihrer politisch-ideologischen Instrumentalisierung als Ausdruck der fortgeschrittenen Gleichberechtigung der Frau in der sozialistischen Gesellschaft mit den sozialpolitischen Interessen der Staatsführung korrelierte und entsprechend befördert wurde, fanden eventuell bestehende ablehnende Haltungen kaum Niederschlag in der staatlich gelenkten Presse. Einen der wenigen Belege lieferte die Zeitschrift Sibylle, indem sie 1970 eher beiläufig feststellte, dass sich »lange Hosen für Frauen […] trotz mancherlei Bedenken und Einwände durchgesetzt« haben (Sibylle, Heft 6/1970, S. 33), allerdings geht daraus nicht hervor, wie die betreffenden Vorbehalte konkret aussahen und inwieweit sie sich auf die Etablierung der Hose in der Tagesmode bezogen.

Im Folgenden werden zum einen der Etablierungsprozess des Hosenanzugs und seine Bedeutung für die Durchsetzung der Hose in der weiblichen Tagesmode eingehend erörtert. Zum anderen stehen die Wandlungserscheinungen der Gebrauchsnormierung und ästhetisch-stoffliche Bekleidungsgestalt, die mit dieser Entwicklung einhergehen, im Fokus.

Das neue Straßenkostüm: der Hosenanzug

Erstmals traten zweiteilige Kombinationen aus Hosen und passender Jacke aus demselben Material Anfang der 1960er Jahre als Freizeitgarderobe in der modejournalistischen Berichterstattung der Frauenpresse in Erscheinung. Als sogenannte »Camping-Kombinationen« (Sibylle, Heft 2/1962, S. 19) wurden sie zunächst als moderne Bekleidung für Ferienaufenthalte im Zelt oder Wohnwagen präsentiert.

Zum richtigen Camping gehört ein salopp geschnittener Anzug. Ob im Gebirge oder an der See, man braucht ihn immer (Sibylle, Heft 2/1962, Titelseite).

Bald galten die Zweiteiler, bestehend aus schmalen langen Freizeithosen und einer legeren Jacke, als praktische wie modische Bekleidung für Ausflüge und Wochenendfahrten, die in der weiblichen Freizeit- und Feriengarderobe nicht fehlen sollte: »Viele Sommerkleider können nicht den kleinen sportlichen Hosenanzug ersetzen.« (Sibylle, Heft 2/1964, S. 36) Die sportlich-legere Konnotation der Hose blieb weiterhin bestehen, allerdings näherte sie sich in dieser Kombination durch die Anklänge an das klassische Damenkostüm deutlich an die Gestaltungsformen der Tagesmode an.

In seiner spezifischen Erscheinungsform trug der Hosenanzug wesentlich dazu bei, dass sich Hosen seit Mitte der 1960er Jahre in der Tagesmode verfestigten, da sie in dieser Kombination als angemessene Gesellschaftskleidung galten: »Hosen sind schick und praktisch. Besonders gut angezogen aber ist man in einem Hosenanzug.« (Sibylle, Heft 3/1966, S. 60)

Als der Hosenanzug 1965 auf den Modeseiten der untersuchten Frauenzeitschriften in neuer Bekleidungsgestalt erstmals als Tagesgarderobe präsentiert wurde, war er in der Freizeitmode bereits als fester Bestandteil etabliert. »Hosen als Tagesanzug sind in diesem Winter große Mode. Neu daran: Man trägt sie wie ein Straßenkostüm - passend zum Oberteil - zur Jacke, zum Mantel oder Jumper. Für Auto- und Radfahrten, im Beruf oder auf Reisen ist der Hosenanzug genau das richtige (sic!), bequem und praktisch, dabei schick und alles andere als unweiblich.« (Sibylle, Heft 5/1965, S. 69) Auch in der Tagesmode erfreuten sich die Kombinationen aus Hosen und passender Jacke schnell großer Beliebtheit bei Konsumentinnen wie Modejournalisten. Der Einzelhandel unterschätzte offenbar das Nachfragepotential und reagierte eher zurückhaltend auf die aktuelle Modeerscheinung, was in der Zeitschrift Sibylle auf deutliches Unverständnis stieß. »Wie wir erfuhren, wurden Hosenanzüge vom Handel nur zögerlich disponiert, da die Einkäufer der Meinung sind, daß ›solche Modelle nicht verlangt‹ werden. Diese Meinung steht im Widerspruch zu der unserer Leser, die immer wieder in Briefen anfragen, wo und wann es endlich Hosenanzüge zu kaufen gibt.« (Sibylle, Heft 1/1967, S. 11)

Es ist allerdings anzunehmen, dass solche Versorgungsengpässe nicht nur auf Fehleinschätzungen durch den Einzelhandel beruhten, sondern vielfach produktionsbedingt waren. Abgesehen davon, dass die Textil- und Bekleidungsindustrie der DDR aufgrund chronischen Rohstoffmangels vielfach Probleme hatte, nachgefragte Waren in ausreichender Zahl zu produzieren, war es unter den planwirtschaftlichen Bedingungen schier unmöglich, aktuelle modische Tendenzen zeitnah im Bekleidungsangebot umzusetzen: »Modische Bekleidung war Mangelware.« (Heldmann: Konsumpolitik, S. 145) Dies betraf auch den Hosenanzug. So erschienen in der ersten Hälfte der 1970er in der Tagespresse mehrfach Beiträge, in denen darüber berichtet wurde, dass das Angebot von Hosenanzügen die Nachfrage trotz steigender Produktionszahlen nicht decken konnte. Neben dem explizit formulierten Angebotsmangel lassen diese Berichte auch Rückschlüsse auf den Gebrauch von Hosenanzügen in der sozialen Realität zu. Ausgehend davon, dass die erworbenen Anzüge auch tatsächlich getragen wurden, verweisen die Ausführungen darauf, dass Hosenanzüge in zunehmendem Maße ein beliebter Bestandteil weiblicher Bekleidungspraxen waren.

Begünstigt wurde die Durchsetzung der Hose als Tagesgarderobe durch die Herausbildung eines neuen Bekleidungsstils. 1971 konstatierte das Leipziger Institut für Marktforschung einen sich in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre herausbildenden »Trend zu sportlicher, legerer und kombinierfähiger Bekleidung«, in dessen Zuge die »korrekt-konventionelle[n] Bekleidung« zunehmend in den Hintergrund trat. Zurückgeführt wurde diese Entwicklung auf »die wachsenden Bedürfnisse nach zweckmäßiger, bequemer, vielseitig verwendbarer und wandlungsfähiger Bekleidung« (Weichsel, Ruth: Die sportlich-legere und kombinierfähige Bekleidung erwirbt die Gunst der Konsumenten, in: Mitteilungen des Instituts für Marktforschung, Heft 3/1971), welche Hosen und insbesondere Hosenanzüge als Tagesgarderobe in vollem Umfang erfüllten. Sie galten seit Ende der 1960er Jahre als unverzichtbarer wie modischer Bestandteil der weiblichen Tagesgarderobe.

»Allen, die noch keinen Hosenanzug haben, sei gesagt: Er bleibt aktuell, und es lohnt sich einen anzuschaffen.« (Für Dich, Heft 9/1969, S. 43) »Ensembles und Kombinationen, zu denen eine Hose gehört, sind als Tages-, Berufs- und Freizeitkleidung heute beinah unentbehrlich geworden.« (Sibylle, Heft 6/1970, S. 33) »Hosenanzüge gehören heute ebenso zur Grundgarderobe wie ein klassisches Kostüm.« (Sibylle, Heft 1/1972, S. 18) »Schon …zigmal wurde gesagt, daß Hosenanzüge heute eine Selbstverständlichkeit sind.« (Sibylle, Heft 4/1973, S. 18)

Durch eine zunehmende Ausdifferenzierung der Modelle pluralisierten sich die relevanten Konnotationen des Hosenanzuges nachhaltig. Entsprechend seiner jeweiligen Gestaltung konnte er sportlich-leger, aber auch seriös oder elegant wirken, wobei letzteres insbesondere durch den Eingang der Hose in die weibliche Festmode Ende der 1960er Jahre bestärkt wurde. »Viele Varianten kennt der Hosenanzug. In klassischer Gestaltung (in Kombination mit einer Kostümjacke, S. O.) ersetzt er das Kostüm […], mit Blouson oder Hemdjacke ist er die ideale Freizeitbekleidung […].« (Für Dich, Heft 21/1969, S. 46)

In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wurden Hosenanzüge vielfach auch als dreiteilige Kombinationen mit einem passenden Rock angeboten, die entweder als Hosenanzug oder Kostüm getragen werden konnten. »Neben dem Kostüm spielen sportliche Hosenanzüge eine Rolle. Sie gewinnen an Bedeutung. Ergänzt mit passendem Rock läßt sich zu jedem Anlaß die passende Abwandlung finden.« (Für Dich, Heft 35/1967. S. 44) »Auch auf Reisen ist der Hosenanzug praktisch und schick. Mit einem zur Jacke passenden Rock entsteht ein Kostüm, in dem man zu verschiedenen Gelegenheiten mit wenig Aufwand gut gekleidet ist.« (Sibylle, Heft 1/1967, S. 10) Wie aus den Zitaten hervorgeht, sahen die geltenden Bekleidungskonventionen durchaus noch Anlässe vor, zu denen Hosenanzüge, obwohl sie bereits Teil der Tagesmode waren, nicht als angemessene Garderobe galten. In den betreffenden Situationen sollte daher auf das klassische Kostüm zurückgegriffen werden. Innerhalb des Quellenkorpus fehlen allerdings explizite Nennungen, für welche dies zutraf. Dass die sogenannten Rock-Jacke-Hose-Ensembles nach 1970 in der modejournalistischen Berichterstattung weitestgehend in den Hintergrund traten, deutet auf die vollzogene Durchsetzung jener Darstellungs- und Wahrnehmungsmuster der vestimentären Geschlechterkonstruktion hin, die sich im Zuge der Etablierung der Frauenhose herausbildeten und in zunehmendem Maße an Wirkungsmacht gewannen, so dass Bekleidungsalternativen mit Röcken schließlich obsolet wurden.

Susanne Oesterreich
Requisit moderner Weiblichkeit. Die Frauenhose in der Bundesrepublik Deutschland und DDR (1949 - 1975)
Leipziger Universitätsverlag
347 S., geb., 39,00 €

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