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Stirbt die Zeitung aus?
Turbulenzen in der Medienlandschaft: Über Risiken und Nebenwirkungen.
Das Magazin »Stern« war in der alten Bundesrepublik einst neben dem »Spiegel« ein politisches Hochglanzmagazin, das mit großen Fotoreportagen aus aller Welt und gut recherchierten Geschichten von sich reden machte. Doch dieser Glanz ist schon lange verblasst. Im Herbst verabschiedete sich die Illustrierte ganz vom seriösen Journalismus, als sie sich in eine direkte Kooperation mit den Aktivisten der Bewegung Fridays for Future begab und gemeinsam eine Ausgabe mit dem Titel keinGradweiter gestaltete. Die verkaufte Auflage des »Stern« lag früher mal bei mehr als einer Million Exemplaren, heute werden nur noch 320 000 Hefte in der Woche verkauft. Angesichts dieses sichtbaren Niedergangs sorgte die Nachricht, dass der Verlag Gruner + Jahr die Redaktion »Politik und Wirtschaft« in Hamburg auflöst und eine neue gemeinsame Hauptstadtredaktion in Berlin für die Magazine »Stern«, »Capital« und »Business-Punk« gründet, eigentlich nur in Journalistenkreisen für Aufregung.
Die meisten der 17 betroffenen »Stern«-Redakteure werden weiter beschäftigt. Es geht aber unter anderem der Enthüllungsjournalist Hans-Martin Tillack nach 27 Jahren und setzt seine investigativen Recherchen anderswo fort. Seit dem 1. März beliefert aus Berlin nur noch ein Rumpfteam alle drei Ausgaben mit politischer Berichterstattung. In Hamburg bleiben in der »Stern«-Redaktion nur die Ressorts Gesellschaft, Kultur und Gesundheit übrig. »Bei Gruner+Jahr glaubt man schon lange nicht mehr an die Marke ›Stern‹«, sagen betroffene Kollegen und zeigen sich resigniert.
Für den Journalistik-Professor Matthias Kurp ist dieser Versuch von Gruner + Jahr, seine Marken und Kanäle weiter zu bündeln, ein Konzentrationsversuch, der in der Medienlandschaft bereits vielerorts stattfindet. Angesichts sinkender Auflage und Erlöse sei das betriebswirtschaftlich sinnvoll. »Aber es leidet natürlich die publizistische Vielfalt.«
Für diese Vorgehensweise stehen in der Zeitungslandschaft auch Zusammenschlüsse wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) oder die Funke-Mediengruppe, die heute zu den großen Playern der Verlagsbranche zählen. So beliefert RND inzwischen mehr als 50 Tageszeitungen bundesweit mit einer täglichen Gesamtauflage von mehr als zwei Millionen Exemplaren und einer Reichweite von rund sechs Millionen Lesern am Tag. Das führt allerdings dazu, dass die Titel eigentlich überall gleich aussehen, ob nun die »Hannoversche Allgemeine«, »Leipziger Volkszeitung« oder der »Kölner Stadt-Anzeiger«. Über die letzten Jahrzehnte hat der andauernde Konzentrationsprozess dazu geführt, dass in den meisten Städten nur noch eine Lokalzeitung den Markt beherrscht und es gar keine Konkurrenz mehr gibt. Funke und RND haben vielerorts eine Monopolstellung.
Gerade erst hat eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung anschaulich beschrieben, dass heute fast alle Regionalzeitungen, die im Osten erscheinen, im Besitz westdeutscher Medienunternehmen sind. »Die überregionale westdeutsche Qualitätspresse wird hier so gut wie nicht gelesen«, schreibt der Autor Lutz Mükke, der selbst aus Ostdeutschland kommt. Die Ursache sei darin zu sehen, dass sie zu lange im »besserwisserisch-belehrenden Auslandsduktus« dahergekommen sei und nie ernsthaft das Anliegen verfolgt habe, Ostdeutschland und die Ostdeutschen zu repräsentieren und zu integrieren. Die Medienhäuser hätten zu wenig in Infrastruktur und Personal im Osten investiert. »Gleichzeitig konnte sich kein originär ostdeutsches überregionales Leitmedium etablieren, das im gesamtdeutschen Diskurs ostdeutsche Perspektiven hätte einbringen können«, schreibt Mükke.
Inzwischen könnte Thüringen sogar zum ersten Bundesland werden, in dem in absehbarer Zeit keine gedruckte Zeitung mehr erscheint. Da die Funke-Gruppe dort keine Konkurrenz habe, könne sie leicht auf die Printausgabe verzichten, sagt Medienwissenschaftler Kurp. Es drohe nicht die Gefahr, dass Werbekunden auf eine andere Lokalzeitung ausweichen könnten. Selbst die Anzeigenblätter seien alle fest in einer Hand. Eine vergleichbare Situation gebe es im Saarland, wo auch nur die »Saarbrücker Zeitung« eine Rolle spiele. Aus Kurps Sicht ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Funke allein auf eine Online-Ausgabe in Thüringen setzt. Im Herbst vergangenen Jahres gab die Essener Funke-Gruppe bereits bekannt, dass die Zeitungsdruckerei in Erfurt stillgelegt werde. Damit wird Thüringen das erste Bundesland ohne Zeitungsdruckerei. Die drei großen Tageszeitungen der Region, »Thüringer Allgemeine«, »Thüringische Landeszeitung« und »Ostthüringer Zeitung«, die alle zu Funke gehören, sollen dann in Braunschweig gedruckt werden.
Hiobsbotschaften gab es in letzter Zeit aus zahlreichen Redaktionen. So sollen bei der »Süddeutschen Zeitung« 50 Redakteursstellen wegfallen, fast jede zehnte. Die überregionale Zeitung gehört der Südwestdeutschen Medien Holding (SWMH), die diesen Sparkurs fährt, um die Verluste bei Anzeigenerlösen und sinkender Auflage auszugleichen. Auch dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« wurde ein rigider Sparkurs verordnet. Verlagschef Thomas Hass hatte 2020 die Devise ausgegeben, bis zum Jahresende 20 Millionen Euro einzusparen. So wurden die befristeten Verträge jüngerer Redaktionsmitglieder nicht mehr verlängert und ältere schon ab Jahrgang 1966 in den Vorruhestand geschickt. Wer sich heute beim »Spiegel« umschaut, sieht nur noch in Gesichter einer Altersgruppe von 35 bis 45 Jahren, erzählen Kollegen. »Viele gute Leute sind gegangen.«
»Die Zeitungen erleben die größere Krise als die Zeitschriften«, sagt Medienwissenschaftler Kurp und verdeutlicht die Unterschiede. Die Zeitungen hätten seit dem Jahr 2000 rund die Hälfte ihrer Auflage verloren und ein Drittel ihrer Nettoeinnahmen bei den Werbeerlösen. »Seit 1978 hat es keine Zeitungsneugründung gegeben, die heute noch existieren würde.«
Bei den Zeitschriften sei dagegen die Gesamtauflage über die Jahre gewachsen, und viele neue Magazine seien auf den Markt gekommen. Als Erfolgsstory gilt vor allem das Lifestyle-Magazin »Landlust«. Bei den Zeitschriften gebe es unverändert eine viel größere publizistische Vielfalt, so Kurp.
Auch die erfolgreiche Wochenzeitung »Die Zeit« sei eher die Ausnahme von der Regel. Sie erfreue sich wachsender Auflage und eines ungebrochenen Zuspruchs ihrer Leserschaft, sagt Kurp. Ihr Erfolgsrezept sei, dass die Hamburger das Gegenteil von dem anböten, was es im Internet ohnehin kostenlos gebe. »Sie bieten Orientierung und Hintergrund an - das ist der richtige Trend.« Dazu passt, dass nach Angaben von Kurp vor allem der Boulevardjournalismus an Auflage verliert - 72 Prozent seit dem Jahr 2000. »Die kurzen Infohäppchen gibt es gratis im Internet«, erklärt der Journalistik-Professor. »Das ist kein echter Mehrwert, und das begreifen die Leser.«
In der Presselandschaft ist deshalb viel in Bewegung, und überall suchen Verlage und Redaktionen nach Lösungen für die Probleme der Branche. Einige Medienhäuser sind dabei sehr kreativ. So profiliert sich der Berliner »Tagesspiegel«, dessen Printausgabe in den vergangenen Jahren an Attraktivität immer stärker verliert, vor allem mit neuen digitalen Angeboten. Der lokale Newsletter »Checkpoint« erreicht die Leser am frühen Morgen per E-Mail, schaltet inzwischen auch Werbung und erprobt ein bezahltes Abonnentenangebot. Ein Angebot für ein Fachpublikum in Ministerien, Medien oder Wirtschaftsverbänden ist der »Tagesspiegel-Background für Entscheider«, der Hintergrundinformationen zu folgenden Themen anbietet: »Digitalisierung und KI«, »Energie und Klima«, »Gesundheit« sowie »Verkehr und Mobility«. Fachjournalisten bereiten diese Themen in einer Art Newsletter auf, der jeden Morgen per E-Mail exklusive Informationen anbietet und im Monat 180 Euro kostet. Auf diese Weise versucht man, neue Erlösquellen zu erschließen. Aber auch das Hauptblatt profitiert vom Abdruck einiger Fachartikel und wird so qualitativ etwas aufgehübscht. Denn der Sparkurs im Traditionsgeschäft der letzten Jahre ging so weit, dass der »Tagesspiegel« außer in Washington keine Auslandskorrespondenten mehr beschäftigt, obwohl er sich als »Hauptstadtzeitung« gerne ein anderes Image gibt.
Die Corona-Pandemie hat viele Probleme der Branche zusätzlich verschärft. Gleich im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 schalteten die Unternehmen noch weniger Anzeigen. In einigen Abteilungen der Verlage kam es zu Kurzarbeit. Auch Konferenzangebote und Leserreisen, die in den vergangenen Jahren zusätzliche Erlösmodelle boten, um die journalistische Arbeit querzufinanzieren, sind derzeit wegen Corona nicht mehr möglich.
Fast überall arbeiten die Redaktionen im Homeoffice. Der »Spiegel« vollzog trotz dieser Belastungen den Zusammenschluss von Online- und Printredaktion, und auch anderswo gehen große Umstrukturieren weiter. Auch beim »nd« wird ein neues genossenschaftliches Modell nach dem Vorbild der »Taz« diskutiert.
Andererseits führte die Coronakrise dazu, dass seriöse Informationsangebote stärker nachgefragt werden. Die Online-Abrufzahlen sind sichtbar gewachsen. Umfragen zeigen, dass auch das Vertrauen in die Tageszeitungen bei der Mehrzahl der Befragten mit 70 bis 80 Prozent sehr hoch liegt, ganz anders als gegenüber den sozialen Medien.
Doch trotz solcher Hochzeit für die Wertschätzung von Information, schlägt sich das nicht in der Monetarisierung nieder. Entscheidend für die Zukunft vieler Blätter dürfte sein, ob sie neue Erlösmodelle entwickeln, die guten Journalismus weiter möglich machen. Dazu gehört auch eine kluge Digitalstrategie. Wer heute mit Journalismus erfolgreich sein will, muss auch wissen, wie man damit im Netz Geld verdienen kann.
Beim Blick in die Zukunft sieht der Medienwissenschaftler Kurp vor allem die Leser in der Pflicht. Sie sollten endlich zu der Einsicht kommen, dass gute Berichterstattung bezahlt werden müsse. »Sie werden sonst zum Sargnagel des Journalismus.«
Der Berliner Journalistik-Professor Markus Ziener ist mit Blick auf die Leserschaft wenig optimistisch. Er sagt, die Zahlungsbereitschaft des Publikums sei immer noch gering. »60 Prozent haben noch nie für einen Online-Inhalt bezahlt.« Der »Spiegel« und »Bild« seien derzeit die Einzigen, die mit ihren Digitalabonnements wirklich Geld verdienten, sagt auch Medienwissenschaftler Kurp. Das »Spiegel Plus Abo« gilt dabei als Erfolgsmodell, das bereits 150 000 bis 180 000 Bezieher haben soll und im Monat 20 Euro kostet. Zum Erfolg dieser digitalen Angebote trägt auch bei, dass anders als bei vielen klassischen Zeitungsabonnements kurzfristige Kündigungen möglich sind.
Schon seit vielen Jahren wird der Tod der Printmedien beschworen. »Die Leser sterben uns auch langsam weg«, stellen viele Journalisten fest. Jüngere Leute hören oft lieber Podcasts oder informieren sich digital. Professor Ziener beobachtet bei seinen Studierenden, die selbst Journalisten werden wollen, dass die Tageszeitung für sie praktisch keine Rolle mehr spielt. »Das ist ziemlich ernüchternd«, sagt der frühere Zeitungsmann, der viele Jahre für das »Handelsblatt« tätig war, auch als Auslandskorrespondent in Washington, Moskau und Warschau. Von so einer Karriere träume heute kaum noch einer seiner Studierenden. »Sie wollen eher für digitale Plattformen arbeiten oder interessieren sich für investigativen Journalismus.« Die Vorbilder seien heute ganz andere als früher.
Bascha Mika, langjährige Chefredakteurin der »Frankfurter Rundschau« und früher der »Taz«, erinnert daran, dass der Ruf »Print ist tot« schon seit Mitte der 90er Jahre zu hören sei. »Seither sind 30 Jahre ins Land gegangen, und das Medium hat sich als erstaunlich zäh erwiesen.« Sie freue sich als Printfrau darüber, dass auch die meisten Grabenkämpfe zwischen »Online First gegen Print First« endlich beigelegt seien. »Es wird jetzt begriffen, dass es vor allem darum geht, den Journalismus zu retten.« Auf welcher Ausspielplattform das geschehe, sei weniger wichtig. Online und Print könnten sich in der Zusammenarbeit gegenseitig bestärken und bereichern, glaubt Mika. Allerdings macht auch sie in ihrem Alltag die Erfahrung, dass die Zeitung zum Auslaufmodell werden könnte - schon wegen der steigenden Vertriebskosten und zunehmenden Zustellungsprobleme. Seit sie nicht mehr in der Hauptstadt Berlin, sondern in der Nähe von Potsdam lebt, kommt ihre Tageszeitung nicht mehr pünktlich, sondern einen ganzen Tag zu spät. Da hat sie sie längst digital auf dem Tablet gelesen.
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