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Grüne Marktgläubigkeit

Programmentwurf der Vorsitzenden ist Angebot an Unternehmen.

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf den ersten Blick hat Annalena Baerbock nicht viel mit Ludwig Erhard gemeinsam. Vom CDU-Politiker, der zu Beginn der 1960er Jahre Bundeskanzler war, ist das Bild des feisten älteren Herrn im Anzug mit einer Vorliebe für Zigarre in Erinnerung geblieben. Als er 1977 starb, war Baerbock noch nicht geboren. Nun sitzt sie am Freitag mit ihrem Ko-Parteichef Robert Habeck vor Kameras in Berlin, trägt einen roten Pullover und stellt den Programmentwurf der Grünen für die Bundestagswahl im Herbst vor. Baerbock zitiert zu Beginn den Titel des Hauptwerks von Erhard. »Wir wollen Wohlstand für alle«, erklärt sie. Dieser solle klimagerecht sein.

Vorbild Kretschmann

Das Zitat signalisiert ein Bekenntnis zur sogenannten Sozialen Marktwirtschaft, als deren Begründer Erhard gilt. Die Vorsitzenden der Grünen sehen Unternehmen in Klimafragen nicht als Gegner, sondern als Partner. In ihrem Programmentwurf heißt es, dass Klimaneutralität »die große Chance für den Industriestandort Deutschland ist. Grüne Technologien aus Deutschland werden weltweit nachgefragt.« Die Spitzenpolitiker der Grünen glauben an die Kräfte des freien Marktes. »Wir sind überzeugt, dass das freie und kreative Handeln, die Dynamik eines fairen Wettbewerbs, die Stärke von gesellschaftlicher Kooperation innovativ Probleme löst«, schreiben sie. Für mittelständische Unternehmen werden »die Verringerung bürokratischer Lasten und eine innovationsfreundliche Steuerpolitik« in Aussicht gestellt. Das bedeutet: Steuersenkungen.

Die Grünen im Bund nehmen sich offensichtlich die unternehmernahe Politik des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zum Vorbild. Er hatte am vergangenen Wochenende einen überzeugenden Sieg bei der Landtagswahl eingefahren und kann sich nun aussuchen, ob er weiter mit der CDU oder in einem Bündnis mit SPD und FDP regieren wird. Das sind auch im Bund mögliche Optionen - wobei die Grünen nach jetzigem Stand nur in dem genannten Dreierbündnis den Kanzler stellen könnten. In Umfragen liegen sie hinter der Union auf dem zweiten Platz. Bei der Pressekonferenz betont Habeck, dass »das Programm nicht mit Blick auf Koalitionsgespräche geschrieben« worden sei. Allerdings machen sich die Führungsgremien der Partei in internen Runden Gedanken über mögliche Bündnisse.

Auch Gespräche über Grün-Rot-Rot sind möglich, wenn die Parteien über eine Mehrheit verfügen sollten. Ein Knackpunkt ist jedoch die Außenpolitik. Die Grünen sind laut Programmentwurf weiter für bewaffnete Einsätze der Bundeswehr im Ausland offen, wenn diese »in ein politisches Gesamtkonzept, basierend auf dem Grundgesetz und dem Völkerrecht, eingebettet sind«. Auch eine Aufrüstung des deutschen Militärs wird an den Grünen wohl nicht scheitern. Ihre Führung spricht sich dafür aus, »die Bundeswehr entsprechend ihrem Auftrag und ihren Aufgaben personell und materiell sicher auszustatten«. Die Linksfraktion im Bundestag hat dagegen fast alle Militäreinsätze der Bundeswehr geschlossen abgelehnt. Allerdings wird in der Linkspartei derzeit über das Thema Auslandseinsätze kontrovers diskutiert.

Für Grüne, die sich als links definieren, hat das Programm ein paar Bonbons. Denn auch ihre Stimmen sind notwendig, wenn das Papier auf einem Parteitag im Juni verabschiedet wird. So soll Hartz IV durch eine sanktionsfreie Garantiesicherung ersetzt werden. Wie hoch diese sein müsste, erfährt man in dem Entwurf nicht. Etwas detaillierter beschreiben die Grünen ihre Pläne zum »Energiegeld«. Der in Deutschland geltende neue CO2-Preis soll demnach 2023 auf 60 Euro pro Tonne erhöht werden. Gegenwärtig liegt er bei 25 Euro. Unternehmen, die fossile Brennstoffe nutzen, müssen für ihren Ausstoß den CO2-Preis zahlen. Die Einnahmen wollen die Grünen als »Energiegeld« an die Bürger zurückgezahlt wird.

Etwas höhere Steuern

Das Programm sieht außerdem Investitionen in Höhe 50 Milliarden Euro jährlich vor. Sie sollen in schnelles Internet, klimaneutrale Infrastrukturen, E-Ladesäulen, den Ausbau der Bahn, emissionsfreie Busse und moderne Stadtentwicklung fließen. Zusätzliche Einnahmen erhoffen sich die Verfasser durch die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. Das Steuersystem soll leicht verändert werden, etwa durch eine »moderate Erhöhung« des Spitzensteuersatzes. Dieser soll ab 100 000 Euro Einkommen für Alleinstehende und 200 000 Euro für Paare bei 45 Prozent liegen. Ab einem Einkommen von 250 000 beziehungsweise 500 000 Euro folgt eine Stufe mit einem Spitzensteuersatz von 48 Prozent.

Nach Ostern wollen die Grünen entscheiden, wer Spitzenkandidat für die Bundestagswahl wird. Favoritin dürfte Baerbock sein, die intern viel Zuspruch hat. Auch eine Kandidatur von Habeck ist möglich. Aber es würde Fragen aufwerfen, wenn die Partei ein Programm vorlegt, in dem Feminismus und Frauenförderung viel Raum einnehmen, und mit einem Mann an der Spitze um den Einzug ins Kanzleramt kämpft.

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