Vorne streiten, hinten verhandeln

Die neue US-Regierung setzt in der Chinapolitik wieder auf Allianzen.

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 6 Min.

Wenn sich die beiden mächtigsten Staaten der Welt treffen, wird dies normalerweise mit gehörigem Pomp inszeniert. Davon allerdings war am Donnerstag beim US-chinesischen Gipfel in Anchorage im US-Bundesstaat Alaska nichts zu sehen: keine Willkommensplakate, kein Fahnenmeer chinesischer und US-Flaggen. Der Austragungsort, fernab der politischen Zentren der USA, war ein Zeichen der US-Regierung, dass es für sie kein reibungslosen »Zurück auf Start« in den Beziehungen geben wird.

Die chinesische Seite zeigte sich im Vorfeld allerdings zufrieden: Schließlich sei das Treffen die Idee der neuen US-Regierung, und Präsident Joe Biden hatte im Vorfeld eine neue Ära in der US-Außenpolitik angekündigt, die den »America First«-Unilateralismus seines Vorgängers Donald Trump beenden soll. Auch der Treffpunkt signalisierte Entgegenkommen, liegt Anchorage doch fast 2000 Meilen von Washington D.C. entfernt, und laut chinesischen Staatsmedien auf halbem Weg zwischen China und den USA.

Dazu kommt die ökonomische Abhängigkeit des US-Bundesstaates: China ist wichtigster ausländische Handelspartner Alaskas, ein Viertel aller Exporte gehen in die Volksrepublik, 2018 waren das Waren in Höhe von einer Milliarde US-Dollar. Zum Höhepunkt des Handelsstreits zwischen den USA und China 2019 waren die Exporte zwar auf 855 Millionen US-Dollar gesunken; 2020 aber stiegen sie wieder, auf 1,1 Milliarden.

Unter dem US-chinesischen Handelsstreit hat Alaska kaum gelitten. Ganz anders sieht das aus für die Beziehungen der beiden Länder. Die verschlechtern sich seit Jahren, und zumindest der Auftakt zu den Zwei plus Zwei Gesprächen mit den Außenministern Antony Blinken für die USA und Wang Yi für China sowie dem Nationalen Sicherheitsberater des US-Präsidenten, Jake Sullivan, und dem höchsten Verantwortlichen der Kommunistischen Partei Chinas für die Außenpolitik, Yang Jiechi, machten deutlich, wie zerrüttet das Verhältnis der beiden Großmächte ist.

Anstatt Gemeinsamkeiten auszuloten und die gefährliche Eskalation verschiedener Spannungen abzuwenden, spielte jede Seite ihrem heimischen Publikum zu und nahm maximale Position ein. Die US-Vertreter ignorierten, wie angekündigt, Chinas »rote Linien«, und sprachen heikle Menschenrechtsfragen direkt an, unter anderem die Situation der uigurischen muslimischen Minderheiten in Xinjiang, die Unterdrückung demokratischer Proteste in Hongkong, chinesische Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer und die Situation in Taiwan.

Vor den anwesenden Journalist*innen lieferten sich beide Seiten ein heftiges Wortgefecht. Blinken warf der chinesischen Führung vor, die regelbasierte Ordnung zu bedrohen. Sein Amtskollege Wang kritisierte Washingtons Einmischung in die internen Angelegenheiten Chinas. Noch am Tag vor dem Treffen hatten die USA weitere Sanktionen gegen chinesische Offizielle wegen Vorgehens der Behörden in der Sonderverwaltungszone Hongkong angekündigt.

Yang rief dazu auf, die Kalte-Kriegs-Mentalität und die Nullsummenspiel-Einstellung im Verhältnis beider Länder aufzugeben. China und die USA teilten gemeinsame Interessen, etwa beim Kampf gegen die Corona-Pandemie und den Klimawandel. Die USA müssten »aufhören, ihre eigene Demokratie im Rest der Welt voranzutreiben«, sagte Yang weiter. Die »große Mehrheit der Länder der Welt erkennt die US-Werte nicht als globale Werte an«, betonte er.

Der Schlagabtausch vor der Presse dauerte eine Stunde. Die anschließenden Gespräche ohne Pressevertreter sollen aber »substanziell, ernsthaft und direkt« verlaufen sein, ließen beide Seiten verlauten. Und so können die Gespräche den Weg für einen Gipfel zwischen den Präsidenten Biden und Xi Jinping im kommenden Monat ebnen - eventuell am »Earth Day« am 22. April, wo beide Präsidenten ihre Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels bekunden könnten - das Thema, bei dem am ehesten eine Übereinkunft erzielt werden kann.

Doch was die anderen Themen angeht, so stehen die Zeichen weiter auf Konfrontation. In dieser Woche ist der außenpolitische Schwerpunkt der neuen US-Regierung in den Vordergrund gerückt. Dem Treffen in Anchorage direkt vorausgegangen waren die ersten Auslandsreisen von Ministern der neuen US-Regierung. Außenminister Blinken besuchte zusammen mit Verteidigungsminister Lloyd Austin Japan und Südkorea; am Freitag reist Austin dann nach Indien. In der Woche zuvor fand der von Biden eilig arrangierte virtuelle Eröffnungsgipfel mit den »Quad«-Partnern (Quadrilateraler Sicherheitsdialog) statt, nämlich Indien, Japan und Australien, die eine maritime Zusammenarbeit anstreben.

Bei allen Besuchen stand China im Mittelpunkt der Gespräche. Nach ihrem Treffen mit ihren ihren japanischen Amtskollegen, Außenminister Toshimitsu Motegi und Verteidigungsminister Nobuo Kishi, brachten die US-Vertreter ihre gemeinsamen Positionen zu wichtigen geopolitischen Brennpunkten zum Ausdruck - von der Verbreitung von Atomwaffen auf der koreanischen Halbinsel bis hin zu den andauernden demokratischen Protesten in Myanmar sowie der Menschenrechtssituation in Hongkong und der chinesischen Region Xinjiang. Die Japaner bekräftigten ihre »Entschlossenheit« - und den Wunsch der USA -, die nationale Verteidigung zu stärken. Die USA stellten einmal mehr klar, dass sie Japan auch mit Nuklearwaffen verteidigen würden. Anders als beim digitalen Quad-Gipfel, als China namentlich nicht genannt wurde, hielten sich die vier Minister in ihrer gemeinsamen bilateralen Erklärung nicht zurück und bezeichneten China direkt als eine Bedrohung für eine liberale regionale Ordnung. Die beiden Verbündeten einigten sich darauf, US-Militäreinrichtungen auf japanischem Boden auszubauen.

Die Biden-Regierung hoffte, ähnliche strategische Zusicherungen von ihrem südkoreanischen Verbündeten zu erhalten, der ebenfalls eine große Anzahl von US-Truppen beherbergt. Angesichts der bitteren Wende in den japanisch-koreanischen Beziehungen in den letzten Jahren ist Washington bestrebt, eine relativ funktionierende strategische und verteidigungspolitische Zusammenarbeit zwischen seinen beiden wichtigsten asiatischen Verbündeten sicherzustellen.

Doch in Seoul war die Lage komplizierter. Zwar bekräftigten die Spitzenvertreter Südkoreas und der USA am Donnerstag ihr Bekenntnis zu ihrer Allianz und zu einem gemeinsamen Vorgehen gegenüber Nordkorea. Doch Blinken und Austin sowie ihre Amtskollegen, Außenminister Chung Eui-yong und Verteidigungsminister Suh Wook, mussten eine Änderung an den Kommandoprotokollen der Allianz auf unbestimmte Zeit verschieben. Unterschiedliche Auffassungen gibt es auch beim Vorgehen gegen Nordkorea. Südkoreas Präsident Moon Jae-in will Pjöngjang nicht verärgern, sondern beteiligen. Inwieweit das aber möglich ist, ist ungewiss, denn Washington kritisiert bereits die Menschenrechtsverletzungen unter Kim Jong Un. Ein weiterer Punkt, an dem Washington und Seoul keine Einigung erzielten, ist das Engagement gegen China. Noch will Südkorea sich nicht an der »Quad« beteiligen.

Indien wiederum beteiligt sich zwar an der Allianz, allerdings unter bestimmten Voraussetzungen: Delhi will die größtmögliche Verteidigungskooperation aufbauen, ohne allerdings ein formelles Bündnis einzugehen, da sich Indien grundsätzlich einer »blockfreien« Außenpolitik verschrieben hat.

Die Asienreise und die Gespräche in Alaska sind die bisher bedeutsamsten verteidigungspolitischen und diplomatischen Maßnahmen der jungen Regierung Joe Bidens. Sie treibt die Ausrichtung nach Osten weiter, die von Barack Obama eingeleitet und von Trump in seiner eigenen Weise fortgeführt worden ist. Deutlich wurde, dass Biden keinesfalls freundlicher auf die Führung in Peking zugehen will als Donald Trump. Seine Regierung soll aber auf der internationalen Bühne methodischer vorgehen als die seines Vorgängers. So soll es gelingen, mit China bei gemeinsamen Herausforderungen wie dem Klimawandel, der Corona-Pandemie und der Nicht-Verbreitung von Atomwaffen trotz aller Differenzen zusammenzuarbeiten.

Doch der Versuch, China einzukreisen, birgt für die USA auch Risiken. Am Montag trifft sich Chinas Außenminister Wang mit seinem Amtskollegen Sergej Lawrow aus Russland, das ebenfalls von der Biden-Regierung hart angegangen wird. Nicht auszuschließen, dass unter dem Druck Washingtons Peking und Moskau zusammenfinden.

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