- Wirtschaft und Umwelt
- Regenwald und Klimawandel
Der Retter wird zur Gefahr
Das weltgrößte Regenwaldgebiet treibt wegen des Raubbaus mittlerweile die globale Erwärmung an
Amazonien, die weltweit größte tropische Regenwaldregion, hat sich von einem die globale Erwärmung bremsenden Ökosystem in einen Nettoproduzenten von klimaschädlichen Gasen und Partikeln entwickelt. Das ist das Ergebnis einer soeben im Wissenschaftsjournal »Frontiers in Forests and Global Change« veröffentlichten Studie eines internationalen Teams.
In vergleichbaren früheren Untersuchungen, die Amazonien als Kohlenstoffsenke und als Alliierten gegen den Klimawandel identifizierten, wurden lediglich Daten für das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) berücksichtigten. Demzufolge war das Regenwaldgebiet eine der größten CO2-Senken weltweit - so werden natürliche Reservoire bezeichnet, die vorübergehend Kohlenstoff aufnehmen und speichern. In der neuen Studie haben die mehr als 30 beteiligten Umweltforscher aus den USA, Kanada, Großbritannien, Kolumbien, Peru, Schweden und Brasilien erstmals auch alle anderen, die globale Erwärmung antreibenden Emissionen und Strahlungseffekte unter die Lupe genommen. Trotz einiger Unsicherheiten »kommen wir zu dem Ergebnis, dass die derzeitige Erwärmung durch Nicht-CO2-Treibhausgase, insbesondere Methan und Lachgas, im Amazonasbecken den positiven Klimabeitrag durch die Aufnahme von atmosphärischem CO2 weitgehend ausgleicht und höchstwahrscheinlich übertrifft«, schreiben die Autoren der Studie »Carbon and Beyond: The Biogeochemistry of Climate in a Rapidly Changing Amazon«. »Wir stellen auch fest, dass die meisten anthropogenen Einflüsse das Strahlungspotenzial des Beckens erhöhen.«
Bereits in den 1970er Jahren hat die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO den »Internationalen Tag des Waldes« ausgerufen. Dies war eine Reaktion auf die bereits damals stattfindende globale Waldvernichtung. Seither wird jährlich am 21. März für einen bessren Schutz und einen nachhaltigen Umgang mit Wäldern geworben. Nach wie vor schwinden insbesondere die natürlichen Wälder der Erde in rasantem Tempo, weltweit sind über eine Million Arten vom Aussterben bedroht.
Das Thema Waldschutz ist vor allem im Zuge der globalen Klimaschutzanstrengungen auf die internationale Agenda gelangt. Der 2005 bei den Klimaverhandlungen gestartete Mechanismus REDD+ sollten durch finanzielle Anreize und einen Handel mit Emissionsgutschriften Waldschutz und Wiederaufforstungen weltweit angeregt werden. Der Mechanismus gilt mittlerweile als weitgehend gescheitert.
Derzeit gibt es Bemühungen, im Rahmen des UN-Abkommens zum Schutz der biologischen Vielfalt bis 2030 weltweit 30 Prozent der Landfläche unter Schutz zu stellen. Zehn Prozent sollen streng geschützt werden. Durch die Coronakrise ziehen sich die Verhandlungen aber hin. KSte
Die Forscher weisen darauf hin, dass einerseits die Kapazität der Amazonas-Region als Kohlenstoffspeicher in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund der Abholzung stetig abgenommen hat. Und diese erfasse immer mehr Länder: »Historisch gesehen war der brasilianische Entwaldungsbogen im süd- und südöstlichen Amazonasgebiet, vornehmlich angetrieben durch Rinderzucht und Sojaplantagen, das Epizentrum der Entwaldung in der Region«, so die Studie. In den vergangenen Jahren kam es jedoch auch anderen Amazonasstaaten wie Peru und Bolivien zu großflächigen Entwaldungen. Für die rasante Abholzung in Peru seien in erster Linie die Schaffung von Ölpalmenplantagen sowie Goldgräber verantwortlich, während der bolivianische Amazonas stärker von der Sojabohnenproduktion betroffen sei. In Kolumbien wiederum breite sich mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens nun selbst in offiziell geschützten Regenwaldgebieten, die zuvor von der Farc-Guerilla besetzt waren, die Rinderzucht aus.
Brandrodung und Abholzung für Rinderweiden und Sojaplantagen, der Bergbau und der Bau von Staudämmen verringern nicht nur die Kohlenstoffspeicherung, sondern erhöhten im Gegenzug auch den CO2-Ausstoß sowie die Emissionen anderer Treibhausgase wie Methan, Lachgas, Ozon und klimawirksamer Mikropartikel wie Ruß.
Amazonien war seit jeher einer der großen natürlichen Produzenten von Lachgas weltweit. Es wird durch Mikroorganismen des Regenwaldes freigesetzt. Durch die Trockenlegung von Feuchtgebieten und der von Abholzung ausgelösten Bodenverdichtung haben sich laut den Forschern die Emissionen nun aber erhöht. Eine weitere Quelle seien künstliche Rinderweiden vor allem in den Regenmonaten. Hinzukommen Lachgasemissionen aus den Stauseen von Wasserkraftwerken, die gleichzeitig auch CO2- und Methan-Produzenten sind. »Die Überflutung nach dem Bau des Damms senkt den Sauerstoffgehalt im Wasser und erhöht die sauerstofffreie Zersetzung organischer Stoffe, wodurch erhebliche Mengen an Methan in die Atmosphäre gelangen«, so die Studie. Dieser Effekt sei in den Tropen möglicherweise zehnmal stärker als bei Stauseen in gemäßigten Breiten. Bereits heute stauen mehr als 190 Dämme die Flüsse des Amazonasbeckens auf. Weitere 246 Staudämme sind geplant oder befinden sich im Bau. Frühere Untersuchungen hatten ergeben, dass Wasserkraftwerke in Amazonien langfristig mehr Treibhausgase freisetzen als mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke bei gleicher Stromproduktion.
Eine weitere Ursache für den amazonischen Treibhauseffekt ist das hochreaktive Ozon, das eine wichtige Rolle in der Chemie der Atmosphäre spielt und dort als Treibhausgas fungiert. Dessen chemische Vorläufer haben laut Studie »mit zunehmender Verbrennung von Biomasse, Entwaldung, der Umwandlung des Regenwaldes in landwirtschaftliche Nutzflächen und der raschen Verstädterung im Amazonasgebiet zugelegt.«
Auch wenn viele Fragen noch nicht restlos geklärt sind und die zugrunde liegenden Daten noch nicht bestätigt sind, macht die Studie eines klar: Wenn die Menschheit den Kampf gegen die globale Erwärmung gewinnen will, darf eine weitere Entwicklung Amazoniens mit Staudämmen, Kahlschlag, künstlichen Rinderweiden, Soja- und Ölpalmplantagen, Straßen- und Bergbau sowie Erdölausbeutung nicht mehr stattfinden.
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