Gesetz der Gegenaufklärung
Duma führt Genehmigungspflicht für Bildungstätigkeiten ein - Wissenschaftler protestieren
Für Bildungstätigkeiten gibt es nun in Russland eine neue staatliche Definition: »Aktivitäten, die auf die Verbreitung von Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Werten, Erfahrungen und Kompetenzen zum Zwecke der intellektuellen, geistigen und moralischen, schöpferischen, körperlichen oder beruflichen Entwicklung einer Person abzielen.« So heißt es in einer Gesetzesänderung, die jüngst in der Staatsduma beschlossen wurde. Wer in der Bildungsarbeit tätig ist, muss sich neuerdings zudem darauf einstellen, bald eine Lizenz zu benötigen. Der Gesetzesentwurf wurde mit 308 Ja- zu 95 Nein-Stimmen in der dritten Lesung angenommen. Dagegen stimmten vor allem die Abgeordneten der KPRF- und LDPR-Fraktionen.
Die Begründung der Initiatoren der im Dezember eingebrachten Gesetzesinitiative lässt aufhorchen. Demnach gehe es vor allem um den »Schutz« von Schülern und Studenten. Den Heranwachsenden werde schließlich »unter dem Deckmantel der Bildung eine breite Palette von Propagandaaktivitäten« unterbreitet. Diese würden wiederum aus dem Ausland unterstützt und zielten darauf ab, »die Staatspolitik der Russischen Föderation zu diskreditieren, die Geschichte zu revidieren und die verfassungsmäßige Ordnung zu untergraben«. Das Gesetz soll so verhindern, dass es im Rahmen der Bildungstätigkeiten zu illegalen Aktionen, Volksverhetzung oder der Verbreitung von Falschinformation kommt. Nun benötigen alle entsprechende Kooperationsabkommen mit ausländischen Bürgern und Institutionen ebenfalls eine Lizenz von den russischen Behörden.
Seit der Entwurf der Gesetzesänderung von dem Senator Andrej Klimow und dem Duma-Abgeordneten Wassilij Piskarew, beide »Einiges Russland«-Mitglieder, eingebracht wurde, erntete er heftige Kritik aus der gesamten russischen Wissenschaftsgemeinde. Besonders betroffen fühlen sich Wissenschaftsblogger und andere digitale Medienschaffende. Projekte wie das interdisziplinäre »antropogenez.ru« erreichen ein Publikum von mehreren Hunderttausend You-Tube-Abonnenten und leisten einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen Verschwörungstheorien. Besorgt zeigen sich auch die Museen, bei denen die Bedeutung der außerschulischen Bildung in den Statuten festgeschrieben ist. Doch weder der Protest der Akademie der Wissenschaften noch eine Petition auf Change.org mit über 178 000 Unterschriften oder etwa ein Brief von 1600 namhaften Wissenschaftlern konnten die Politiker umstimmen.
Einig sind sich die Kritiker auch darin, dass der Gesetzestext so vage gehalten wird, dass damit theoretisch jeder Koch- oder Malkurs im Netz zu einem Fall für die staatliche Lizenzierung werden könnte. Wie diese konkret funktionieren soll, ist noch unklar. Die entsprechende Verwaltungseinheiten und Verfahren müssen erst noch geschaffen werden, vor allem vom Bildungs- und Wissenschaftsministerium. Dass irgendeine staatliche Institution Kapazitäten für die Lizenzierung von allen Fällen hat, in denen Menschen sich gegenseitig etwas beibringen, erscheint mehr als zweifelhaft.
Klimow beteuerte, die Hochschullehrerschaft habe nichts zu befürchten, die Gesetzesänderung richte sich vor allem gegen extremistische Gruppen. Im Übrigen seien laut dem Politiker die negativen Reaktionen auf den Entwurf aus dem Ausland, speziell »aus Washington« angestoßen worden. Einer der prominenten Kritiker, der Bioinformatiker Michail Gelfand, bezichtigte daraufhin im Interview mit der oppositionellen Zeitung »Nowaja gaseta« Klimow der Lüge und verlangte von ihm Beweise für die Vorwürfe.
Indes ist es kein großes Geheimnis, dass im Vorfeld der kommenden Duma-Wahlen nicht so sehr die Vorträge über Bioinformatik oder Fitnesskurse ins Visier der Behörden geraten werden, sondern zum Beispiel eher Seminare für Wahlbeobachter. Insofern steht die Novelle in einer Reihe mit der ebenso jüngst beschlossenen Verschärfung der Gesetzgebung über »ausländische Agenten«. Potenziell betroffen sind davon Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Parteien, die politische Bildungsarbeit in jeglicher Form betreiben.
Nach der Annahme in der Duma muss die Gesetzesänderung noch von dem Föderationsrat, der Oberkammer des russischen Parlaments, angenommen und dann vom Präsidenten unterschrieben werden. Zwar besteht die Möglichkeit, dass die Änderungen auf den beiden letzten Etappen abgelehnt werden - dazu kommt es in der gesetzgebenden Praxis Russlands aber äußerst selten.
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