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Tatort Theater

Der heutige Kulturbetrieb hat ein Strukturproblem. Doch welches?

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Intendant der Berliner Volksbühne, Klaus Dörr, ist zurückgetreten, nachdem sich mehrere Frauen nicht nur an die Vertrauensstelle Themis und damit wiederum an die Senatsverwaltung für Kultur, sondern auch an die Öffentlichkeit wandten. Sie warfen dem 60-Jährigen vor, seine Macht missbraucht und sich übergriffig verhalten zu haben. Dörr hat die Vorwürfe bestritten. Nun sind sich die Feuilletons der Republik einig, wie der Vorgang einzuordnen ist. Die Ära das alten weißen Mannes ist nun endgültig vorbei, das Modell der Intendanz ein Überbleibsel des 19. Jahrhunderts. Neue Führungskräfte braucht das Land, möglichst unbelastet - jung, weiblich, divers. Das ist zwar eine ansprechende Erzählung. Sie hat allerdings das Problem, dass sie kaum dazu beiträgt, die heutige Lage zu begreifen. Denn die hat mehr mit dem 21. als dem 19. Jahrhundert zu tun.

Als vor ein paar Jahren zahlreiche Fälle sexueller Belästigung im Silicon Valley bekannt wurden, war das ein Einbruch in die schöne neue kalifornische Welt. Wie war das möglich, obwohl große Tech-Konzerne sich »Don’t be evil« als Selbstverpflichtung gaben? Obwohl dort die neue Achtsamkeits- und Diversitätskultur propagiert wurde? Aufmerksame Beobachter stellten damals fest, dass das Problem in der Arbeitswelt der Start-ups selbst liegen dürfte. Beschäftigte haben kaum Sicherheit, die Arbeit ist entgrenzt. Abhängig ist das Prekariat der Digitalökonomie vor allem von sogenannten Risikokapitalgebern und ihren Agenten, den Vermittlern zwischen dem großen Kapital und den Kopfarbeitern, die nichts zu verkaufen haben außer ihrer Idee für eine tolle neue weltverändernde App. Diese Leute sind im hohen Maße abhängig und erpressbar. Und genau an dieser Schnittstelle kam es gehäuft zu sexueller Belästigung, zu Übergriffen und ähnlichem.

Das viel gescholtene deutsche Stadt- und Staatstheater hat sich dem in den vergangen Jahren angeglichen, so dass man es mitnichten einfach der Vergangenheit zuschlagen kann. Festanstellungen gehen allerorten zurück, Projektarbeit nimmt zu. Intendanten sind meist gewiefte Kulturmanager städtischer GmbHs. Von ihnen wird keine künstlerische Idee, sondern ökonomische Kennzahlen zur Auslastung verlangt. Sie verwalten große Etats und regeln den Zugang dazu. Ihnen gegenüber steht eine Masse mittelloser Künstler, die schon allein deswegen, weil sie auch von etwas leben müssen, ihre Ideen in Kontakt mit dem lieben Geld bringen müssen. Und jedes Jahr strömen von den staatlichen und zahlreichen Privaten Schauspielschulen und Kunstakademien mehr und mehr Absolventen auf den Markt, wo sie ihre Arbeitskraft - also Körper und Geist - feilbieten müssen. Gleichzeitig geht die Zahl der Stellen Jahr für Jahr zurück. Die Konkurrenz ist erbarmungslos. Und die Erpressbarkeit und Abhängigkeit der Einzelnen enorm.

Am deutschen Stadttheater verbindet sich hierarchische Führung mit neoliberaler Projektebörse. Alternative Wege der unabhängigen Institutionalisierung für Künstler und Künstlergruppen sind kaum möglich, in der »freien Szene« kann man sich von Projektantrag zu Projektantrag hangeln. Die unmittelbare persönliche Abhängigkeit ist zugunsten anonymer Förderkriterien gelockert, durchs Raster fallen kann man hier aber auch. Es herrscht zudem ein nicht zu unterschätzender Konformitätsdruck. Wenn man also über die Strukturen hiesiger Theaterhäuser spricht, muss man über die Veränderungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte sprechen - über die Verschlechterung der Situation der Beschäftigten (die paar Stars der Branche mal beiseite gelassen, die auch keine Stars wären ohne all jene, die für sie arbeiten), über den Konkurrenzdruck, über Erpressbarkeit und ökonomische Prekarität.

Neu ist das nicht, so hat der linke Dramaturg Bernd Stegemann schon vor ein paar Jahren für das Modell eines Künstlertheaters plädiert. Nur hat sich seitdem aber kaum etwas geändert. Und die Stadttheater mit neuem Personal und ein paar Projekten in Kooperation mit der freien Szene auszustatten, ändert eben das grundlegende Problem nicht: Dass die Produzenten in den Theatern beständig an Produktionsmacht verlieren, die sich dann bei den Kulturmanagern konzentriert. Und das kennt man - beispielsweise unter den Namen Neoliberalismus.

Eine Passage des Artikel wurde aufgrund einer rechtlichen Auseinandersetzung nachträglich geändert.

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