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Neidische Arme, wohltätige Reiche
Wer Reichtum kritisiert, findet sich schnell mit den immergleichen Vorwürfen konfrontiert
Lange Zeit galt es als eine der größten Tugenden des Kapitalismus, dass er immer mehr und immer größeren Reichtum schafft. Entfesselte Marktkräfte und organisierte Unternehmensstrukturen sorgen dafür, dass Profite in neues Kapital verwandelt werden. Eine gewaltige Maschine ist angeworfen, die für immer mehr Waren und immer mehr Reichtum sorgt. Inzwischen ist allerdings Skepsis aufgekommen, ob dieses Wirtschaftssystem in seiner relativ unregulierten Form wirklich so segensreich ist. Mehr und mehr Menschen sehen deutlich, dass es vor allem den Reichtum der ohnehin schon Reichen immer größer werden lässt und droht, zum Untergang wohlfahrts- und rechtsstaatlicher Demokratien beizutragen.
Es spricht also einiges stark für eine Beschränkung von Reichtum. Daher stellt sich die Frage, warum das nicht passiert. Naheliegend ist die Antwort, dass Reiche sich dem mit ihrer ganzen wirtschaftlichen und politischen Macht entgegenstellen. Ein wichtiger Teil dieser Macht besteht darin, den öffentlichen Diskurs mit Argumenten zu bedienen, die Reichtum scheinbar rechtfertigen. Eines davon ist, dass Kritik nur auf Neid und Missgunst beruht.
Der Neidvorwurf ist so einfach wie wirkungsvoll: Reichtumskritiker*innen werfen den Reichen ihren Reichtum nur deswegen vor, weil sie selber nicht reich sind, es aber gerne wären. Sie missgönnen den Reichen ihren Reichtum und das schöne Leben. Da sie selber keine Chance haben, jemals reich zu werden, ist es ihnen lieber, wenn die Reichen ihren Reichtum auch verlieren. Dieser Vorwurf ist so wirkungsmächtig, weil er den Reichtumskritiker*innen einen schlechten Charakter unterstellt. Wer möchte schon missgünstig, gehässig und verhärmt sein?
Der Neidvorwurf ist eine politische Waffe, um von unliebsamer Kritik abzulenken und sich nicht mit guten Argumenten der Gerechtigkeit auseinandersetzen zu müssen. Auf philosophischer Ebene ist das interessanterweise ziemlich leicht zu entlarven. Neid liegt eigentlich nur dann vor, wenn ein Mensch das haben möchte, was ein anderer Mensch hat, nur weil er es hat. Außerdem ist es zumeist so, dass er sich wünscht, der andere hätte es auch nicht, wenn er selbst es nicht haben kann. Wer Nachbarn den schönen Garten neidet, selbst aber zu faul ist, sich um seinen zu kümmern, freut sich dann, wenn der Garten nebenan durch einen Sturm zerstört wird.
Nach philosophischer Reflexion lautet die eindeutige Diagnose im Falle von Reichtumskritik, dass sie nicht auf Neid beruht. Vielmehr beruht sie auf verschiedenen Gerechtigkeitsargumenten: Reichtumskonzentration zerstört politische Gleichheit und wirtschaftliche Gleichberechtigung, ist klimafeindlich, antifeministisch und gesellschaftszersetzend. Man muss diesen Argumenten nicht einmal zustimmen, um den Neidvorwurf zu entkräften. Es reicht zu sehen, dass die Reichtumskritiker*innen Gründe und Argumente für ihre Position anführen. Mit diesen muss man sich schon auseinandersetzen und kann sie nicht mit der Neidkeule abtun.
Genau solch eine kritische Auseinandersetzung soll der Neidvorwurf jedoch offensichtlich verhindern, und das stellt ihn unter Ideologieverdacht in einem nichtmarxistischen Sinne. Es ist nicht gesellschaftlich objektiv hergestelltes, notwendig falsches Bewusstsein. Es ist eine bewusst eingesetzte Strategie einer herrschenden Elite, um Kritik mundtot zu machen. Wie geht man damit um? Letztlich bleibt nichts anderes übrig, als den Neidvorwurf auszuhalten, auf seinen ideologischen Charakter hinzuweisen und sich darum zu bemühen, die Gründe und Argumente für Reichtumskritik in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen.
Und genau hier zeigt sich durch die Analyse des Neidvorwurfs das eigentliche Problem der Reichtumskritik. Reichtum erlaubt einen disproportional hohen Einfluss auf den öffentlichen Diskurs. Das gilt vielleicht nicht unbedingt für einen einzelnen reichen Menschen, aber es gilt für die Reichen als soziale und übrigens auch gut organisierte Gruppe. Über Thinktanks, Verbände und Klientelparteien können sie zahlreiche Rhetoriker und auch einige Rhetorikerinnen im öffentlichen Diskurs platzieren, deren Aufgabe auch darin besteht, bei jeder Gelegenheit den Neidvorwurf zu produzieren. Selbst wenn man diesen Vorwurf aushält, dann bringt man ihn also nicht zum Verschwinden, sondern er wird immer wieder erhoben und setzt sich damit allmählich im kollektiven Bewusstsein fest. Wie ein Mantra schafft dieser Glaubenssatz sich selbst seine Überzeugungskraft.
Die diskursive Macht der Reichen ist es also, die im Zentrum einer zugleich gerechtigkeitsbasierten und praxisorientierten Reichtumskritik stehen muss, wenn sie politisch wirkungsmächtig werden will. Das zeigt auch ein anderes Beispiel der Ideologieproduktion im Dienste des Reichtums, nämlich die Praxis der Wohltätigkeit bzw. Charity reicher und insbesondere superreicher Akteure. Die Initiative »The Giving Pledge« der Milliardäre Bill Gates und Warren Buffett aus dem Jahre 2010 beispielsweise ruft Superreiche dazu auf, einen Großteil ihres Vermögens für gemeinnützige Zwecke zu spenden. Inzwischen haben über 150 Superreiche diesen Aufruf unterzeichnet und über 600 Milliarden US-Dollar gespendet.
Daran ist unmittelbar natürlich erst einmal viel Gutes. Aber zugleich lenkt die große öffentliche Feier dieser Wohltätigkeit auch von tieferliegenden Problemen ab. Haben die Reichen ihren Reichtum überhaupt auf gerechte Weise erworben oder beruht er auf ungerechten und ausbeuterischen Wirtschaftsstrukturen? Was sind die demokratischen Folgen des Umstandes, dass eine kleine Gruppe superreicher Akteure nicht nur bestimmen darf, für welche gemeinnützigen Zwecke ihr unendliches Geld ausgegeben wird, sondern auch, was überhaupt als gemeinnützig gilt? Was macht es mit den zumeist unsichtbaren Nutznießern dieser Wohltätigkeit der Reichen, insbesondere wenn sie eigentlich einen Anspruch auf die Erfüllung ihrer Menschenrechte haben, aber auf Almosen angewiesen bleiben?
All diese Dinge kommen nicht oder kaum und stets nur am Rande zur Sprache. Wohltätigkeit ist also ähnlich wie der Neidvorwurf vor allem eins: eine Waffe im diskursiven Kampf um die Legitimation eines Reichtums, der bei Lichte betrachtet mehr als ungerecht ist. Er ist auch noch demütigend, weil er immer zugleich dazu dient, die diskursive Macht aufzubauen, die Opfer dieser Ungerechtigkeit auch noch als undankbar und neidisch darzustellen. Reichtumskritik, die Kritik am Neidvorwurf und an gönnerischer Wohltätigkeit muss also zuerst eine Kritik der Diskursmacht sein. Hier tut sich das wahre Problem im Kampf gegen Reichtumsverteidigung und die damit verbundene Apologetik der Ausbeutung auf. Es fehlt gegenwärtig an einer großen Erzählung einer alternativen Gesellschaftsform, die überzeugen und damit die notwendige diskursive Gegenmacht aufbauen kann.
Christian Neuhäuser ist Philosoph und Hochschullehrer. 2019 erschien von ihm das Buch »Wie reich darf man sein? Über Gier, Neid und Gerechtigkeit«, Reclam-Verlag. Eine Langfassung des Textes erscheint auf www.oxiblog.de
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