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Compli-was?

Ist der »Bild«-Chef jetzt Anführer einer neuen, sexismuskritischen Kultur?

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

Julian Reichelt ist zurück - das teilte der Springer-Verlag am Donnerstag mit. Allerdings muss er seine Macht nun in einer Doppelspitze teilen. Der Medienkonzern hat in dem Fall durch geschickte PR-Arbeit ein bemerkenswertes Framing erzeugt: Statt von Vorwürfen des Machtmissbrauchs in sexuellen Beziehungen mit Untergebenen, Nötigung, Mobbing oder den berüchtigten »MeToo-Vorwürfen« zu schreiben, übernahmen die meisten Medien den Begriff »Compliance-Vorwürfe«. Dass niemand so recht weiß, was das überhaupt heißen soll, ist kein Versehen, sondern Strategie.

Öffentlich geworden waren die Vorwürfe gegen Reichelt vor zwei Wochen durch den »Spiegel«. Der hatte im Rückgriff auf Stimmen aus dem rechten Blatt berichtet, dass ein halbes Dutzend Frauen dem »Bild«-Chef Vorwürfe machen würden. Kurz darauf ließ sich Reichelt von seinen Aufgaben freistellen - nicht ohne zu verlautbaren: »Die Vorwürfe sind falsch.« Springer wiederum gab eine Mitteilung heraus, in der es bereits im ersten Satz heißt: »Die Axel Springer SE untersucht derzeit Hinweise auf mögliche Compliance-Verstöße innerhalb der Bild-Redaktion.« Und weiter: »Um eine ungestörte Aufklärung sicherzustellen und die Arbeit der Redaktion nicht weiter zu belasten«, habe Reichelt um Freistellung gebeten. Doch warum Reichelt dieses oder jenes tut, weiß nur er selbst. Immerhin lief das Verfahren da schon zwei Wochen.

Jeja nervt
Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum. dasND.de/jejanervt

Der Begriff »Compliance« meint eigentlich die Regelkonformität von Unternehmen, und zwar in strafrechtlicher Hinsicht wie in Bezug auf selbst gesetzte, ethische Standards. Dass die Vorwürfe gegen Reichelt jedoch von einer Gruppe von Frauen stammen, weist bereits darauf hin, dass es bei diesen Vorwürfen nicht um problematisches Verhalten des Konzerns hinter »Bild« geht, sondern um das Verhalten von Julian Reichelt als Mann.

Im Statement, das Springer nun zur Rückkehr Reichelts auf seinen Posten herausgab, schreibt der Konzern wiederum: »Entgegen der in einigen Medien kolportierten Darstellung gab es keine Vorwürfe und auch im Untersuchungsverfahren keine Anhaltspunkte für sexuelle Belästigung oder Nötigung.« Reichelt räume »die Vermischung von beruflichen und privaten Beziehungen« ein. Es geht weiter mit: »Ich weiß, ich habe im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen Fehler gemacht, und kann und will das nicht schönreden.« Doch Fehler im Umgang mit männlichen Kollegen wurden ihm zumindest öffentlich gar nicht vorgeworfen. Reichelt werfe sich »vor allem« selber vor, Menschen, für die er verantwortlich war, verletzt zu haben. Bereits zwei Sätze später kündigt er an, eine neue Unternehmenskultur für »Bild« zu schaffen und, paff, selber vorzuleben. Reichelt als Anführer einer neuen, sexismuskritischen Kultur, nachdem er nur zwei Wochen vorher alle Vorwürfe geleugnet hat? Demut sieht anders aus. Immerhin hat er mehreren Mitarbeiterinnen und Frauen, für die er als Chef verantwortlich wäre, implizit den Vorwurf gemacht, abgesprochen über ihn gelogen zu haben. Doch »Falschvorwürfe« gelten nur bei Frauen als Problem.

Was überhaupt sexuelle Belästigung genau ist, darauf kann sich die Gesellschaft in Deutschland im Übrigen nicht einmal mit sich selbst einigen: Laut Arbeitsrecht umfasst sie unter anderem »unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts«. Nach der Kölner Silvesternacht waren die Deutschen überzeugt, dass es, mit Ausnahme einiger schlimmerer Straftaten, zu massenhaften sexuellen Belästigungen gekommen sei. Doch die meisten Angriffe auf Frauen waren da gar nicht strafbar, sodass die sexuelle Belästigung im Strafrecht im folgenden Sommer überhaupt erst eingeführt werden musste - und dann als sehr eingeschränktes Grabschverbot. Man könnte auch sagen: als bestimmte Grabscherlaubnis.

Wollen Feminist*innen den Kampf gegen sexuelle Gewalt führen, egal ob legal oder verboten, müssen sie männlichen Begriffsstrategien, dem patriarchalen Framing, etwas entgegensetzen.

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