Hoch geflogen, tief gefallen

Australiens Premierminister Scott Morrison sitzt vor einem politischen Scherbenhaufen

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 4 Min.

Noch vor wenigen Wochen galt Australiens Premierminister Scott Morrison der Europäischen Union als Vorbild. Er ging auf Konfrontationskurs mit China und zwang Facebook und Google mit einem neuen Mediengesetz in die Knie. Das katapultierte den bis dahin eher unscheinbaren australischen Regierungschef in die Weltnachrichten. Zuvor hatte Morrison nur selten auf dem globalen Parkett stattgefunden. Während der Buschfeuerkrise 2019/20 stand er abseits, sein geringes Engagement im Kampf gegen den Klimawandel ließ ihn rückschrittlich wirken. Doch als er gegenüber China, Facebook und Google plötzlich Mut und Ausdauer zeigte, horchte selbst die internationale Presse auf.

Während Morrison außenpolitisch auf Höhenflug war, braute sich innenpolitisch jedoch ein Sturm zusammen. Innerhalb weniger Wochen jagte plötzlich ein Skandal den nächsten: Allein in der vergangenen Woche kam ans Tageslicht, dass Parlamentsmitarbeiter »Sexorgien« im Parlamentsgebäude feierten, Prostituierte ins Parlament geschmuggelt wurden, ein Mitarbeiter auf einem Schreibtisch masturbierte ... Der Whistleblower, der Videos und Fotos dazu den Medien zuspielte, sprach vom »moralischen Bankrott« im Parlament.

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In den Wochen zuvor hatte zudem eine junge Frau öffentlich gemacht, dass sie 2019 von einem männlichen Kollegen im Büro einer Ministerin vergewaltigt worden sei. Diese Ministerin - Linda Reynolds - habe ihr, als sie den Vorfall meldete, keine angemessene Unterstützung gegeben. Zu diesem mutmaßlichen Verbrechen gesellte sich wenig später ein historischer Missbrauchsvorwurf, der den australischen Justizminister Christian Porter betraf, die höchste Instanz für Recht und Ordnung im Land.

Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Vorwürfe stach das Verhalten Morrisons ins Auge. Ähnlich wie er sich einst während der Buschfeuerkrise zurückzog - damals flog er nach Hawaii in den Urlaub und scherzte, er müsse ja »keinen Löschschlauch halten« -, versuchte er nun über Wochen, die Skandale in seiner Partei auszusitzen. Morrison nehme die Rolle des »passiven Zuschauers« ein, kommentierte beispielsweise die politische Redakteurin des »Guardian Australia«, Katharine Murphy.

Beide Krisen - die Brände wie die heutigen Skandale - hätten menschliches Einfühlungsvermögen, die Fähigkeit, die Stimmung der Gesellschaft zu lesen, und Urteilsvermögen verlangt, schrieb der politische Kommentator der Rundfunkanstalt ABC, David Speers. All das seien wichtige Merkmale für einen Premierminister, die Morrison jedoch in keiner der Krisen demonstriert habe. Vor allem im Vergleich zu Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern, die einen Terroranschlag, einen Vulkanausbruch und die Pandemie mit genau diesen Eigenschaften meisterte, verblasst Morrison in den Augen vieler Australier.

Bernard Keane, Autor beim Online-Magazins »Crikey«, schrieb, Morrison versuche, die Skandale »unter den Teppich zu kehren, davon abzulenken und sexuellen Missbrauch zu trivialisieren«. Dies sollte in der australischen Politik nicht normal sein, wie es auch an anderen Arbeitsplätzen nicht normal wäre. »Wäre Scott Morrison der CEO eines relativ großen Unternehmens, so hätten zweifelsohne Großinvestoren das Wort ergriffen und der Vorstand hätte ihn entlassen«, meinte Keane.

In Keanes Augen weist Morrison in Teilen seiner Persönlichkeit Ähnlichkeiten zum ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump auf. Er habe eine »Veranlagung zum Lügen« sowie einen »Substanzmangel«, findet Keane. Dies habe - wie es auch in den USA geschehen sei - zur Folge, dass sich politische Standards verschlechterten, Institutionen abbauten und inakzeptable Verhaltensweisen normalisierten.

Auch Mitglieder aus Morrisons eigenen Reihen kritisieren den Sittenverfall inzwischen heftig. So schrieb die Politikerin Catherine Cusack, wie Morrison Mitglied der liberal-konservativen Partei, in einem Meinungsstück für den »Guardian«, dass es in ihren Reihen »einige junge Männer mit hohen Gehältern« gebe, die in einigen der Büros von Ministern und Parlamentariern »aggressive Fraktionsarbeit« leisteten. »Sie sind sowohl von Macht als auch von Alkohol berauscht«, behauptete Cusack. Einen Großteil der Schuld würden dabei auch die Vorgesetzten tragen. »Sie legitimieren und tolerieren Verhaltensweisen, die ihren eigenen Interessen dienen, um Macht zu erlangen und zu behalten.« Frauen in ganz Australien seien inzwischen verärgert über das, was in Canberra vor sich gehe, glaubt Cusack. Dabei spielten nicht nur persönliche Erfahrungen und Solidarität mit den Opfern mit, sondern vor allem auch das Gefühl der Ohnmacht, das viele inzwischen empfinden, wenn diese Themen scheinbar ignoriert werden. Dies sei in der Vergangenheit immer wieder passiert, und diesmal würden alle sagen: »Genug!«

Um seinen Ruf im Volk halbwegs wiederherzustellen, stellte Morrison am Montag nun zumindest sein Regierungsteam neu auf. Die beiden unter Druck geratenen Minister, Christian Porter und Linda Reynolds, erhalten neue Aufgaben, der bisherige Innenminister Peter Dutton übernimmt den Posten des Verteidigungsministers, und mit Karen Andrews steht erstmals eine Frau dem Innenministerium vor. Ob dies jedoch ausreichen wird, vor allem die weiblichen Wähler wieder mit Morrison und seiner Partei zu versöhnen, bleibt offen.

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