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Paula für immer

Angelica Domröse zum 80. Geburtstag

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Diese Schauspielerin ist immer ein Berliner Hinterhof-Kind geblieben, das in den Trümmern gespielt hatte. Zart, aber entschlossen, die Chancen, die der Frieden bot, auch zu nutzen. Ihr Vater war ein französischer Fremdarbeiter gewesen, darum wurde sie morgen vor achtzig Jahren im »Heim für gefallene Mädchen« in Berlin Weißensee geboren. Mit siebzehn war sie Stenotypistin und unglücklich.

Aber dann kam der große Zufall. Ende der fünfziger Jahre beschloss die Defa, mehr Unterhaltungsfilme in die Kinos zu bringen. Per Zeitungsannonce wurde eine junge Hauptdarstellerin für den Film »Verwirrung der Liebe« gesucht. Ausgerechnet Slatan Dudow, der 1932 mit »Kuhle Wampe« den proletarischen Film »erfunden« hatte, sollte nun Glanz in die Defa bringen. Tagelanges großes Casting in Babelsberg. Tausende Berliner Mädchen kamen. Die siebzehnjährige Angelica war die 1106. Kandidatin des dritten Tages. Wer glaubt da schon noch an seine Chance? Eine wie Angelica Domröse!

Dudow musste sehr über dieses ebenso freche wie charmante Mädchen lachen, damit hatte sie gewonnen. Plötzlich war sie die zweite Hauptdarstellerin neben der bereits besetzten Annekathrin Bürger. Diese spielte eine Kunststudentin, die sich in einem Maurer verliebt und Angelica Domröse war eine Schülerin, die einen Arzt liebt. Oder doch andersherum? Der Film erstickte unter Schminke und steifen Dialogen. Aber nun kannte man Angelica Domröse.

Aber sie wollte mehr, sie wollte auch zum Theater, zum Berliner Ensemble! Sie kam zum Vorsprechen und lief gleich wieder weg. Die Weigel ließ sie zurückholen, sie hatte im »Pupperl«, wie sie sie fortan nannte, etwas gesehen: die Polly in der »Drei-Groschen-Oper«. Die arroganten Brecht-Assistenten winkten ab: Die sei für eine Brecht-Schauspielerin viel zu hübsch. Weigel gab sich optimistisch: »Ach, das kriegen wir auch noch weg!« Klappte nicht ganz so, denn Domröse erwies sich als überaus wehrhaft, ließ sich in kein Rollenklischee sperren.

Und so schuf Angelica Domröse in der ersten Hälfte der siebziger Jahre einen neuen Frauentypus. Selbstbewusst, aber dabei eigene Unsicherheiten nicht verbergend. Mitunter geradeheraus und direkt, aber dann wieder unergründlich wie eine Märchenfigur. Die erste dieser Frauenfiguren, die fast zerbrechen, war 1970 Fontanes »Effi Briest«. Ein Film, den Angelica Domröse kritisch sieht. Es sei ein konventioneller Film über eine unkonventionelle Frau. Und dann kam 1972 Heiner Carow, der Freund, zu ihr, klagte, dass er noch keine Hauptdarstellerin für den Film habe, den er nun für die Defa drehe, nach einem Buch von Ulrich Plenzdorf. An sie dachte er dabei nicht, gab ihr aber das Buch zu lesen. Daraufhin besetzte sich Angelica Domröse quasi selbst. Carow erhielt die Auskunft, das müsse sie spielen, das werde sie spielen! Der Regisseur kapitulierte.

Ein Film wie »Die Legende von Paul und Paula« konnte wohl nur Anfang der 70er Jahre in der DDR entstehen (so wie auch Egon Günthers »Die Schlüssel« oder »Der Dritte«). Ulrich Plenzdorf erinnerte sich: »Da gab es dieses berühmte Loch in der Kulturpolitik, als keiner so richtig wusste, was nun kommt, nachdem Ulbricht weg und Honecker noch nicht so richtig da war.« Da konnte so ein Stoff durchgehen, samt der Musik der noch unbekannten Puhdys.

Angelica Domröse verstand Paula, eine einfache Frau, alleinerziehend mit zwei Kindern, was in der DDR nicht selten war. Sie könnte es leichter haben im Leben, einen Mann mit Auto und Geld zum Beispiel, der stand parat. Aber so etwas, nur aus Kalkül, will sie nicht. Nicht ohne Liebe! Dann trifft sie Paul (Winfried Glatzeder), der unglücklich verheiratet ist und Karriere als Funktionär gemacht hat. Jetzt weiß sie, was das ist, unbedingte Liebe! Aber Paul ist ein angepasster Typ, ein Kompromissler. Kann sie ihn mittels Liebe zum Vollmenschen machen? Das ist die Frage, mitten in dem leicht surrealen Sujet, das Carow aufbaut. Da kommt etwas von Fellini in einen Defa-Film. Liebestraumnächte auf Flößen etwa. Aber auch wieder ganz direkte Szenen aus dem DDR-Alltag. Das Sprengen alter Häuser am Ostbahnhof etwa, die gesichtslosen Plattenbauten weichen sollen. Kein optimistisches Bild. Oder Paula an der Kasse der Kaufhalle, wo sie plötzlich über das schöne »Friedrichshainchen« zu singen beginnt. Da konnte Angelica Domröse ihre beiden Seiten zeigen, ebenso sehr direkt und fordernd wie auf nicht vereinnahmbare Weise entrückt. Eine Träumerin mit anarchistischem Potential!

Sie drehte noch wichtige Filme für die DEFA, so 1976 »Daniel Druskat« (Regie: Lothar Bellag), in dem sich ihr Mann Hilmar Thate als Vorzeigekommunist mit dem besten, jedoch LPG-kritischen Bauern weit und breit (Manfred Krug) ein Duell liefert, oder auch »Fleur Lafontaine« (Regie: Horst Seemann). Dann kam die Biermann-Ausbürgerung und damit der Bruch vieler Künstler mit Staat und Partei. Auch Domröse und Thate verließen die DDR im Zorn. Sie spielte dann in Bochum, Wien und am Westberliner Schillertheater, drehte im Westen mit Frank Beyer 1981 »Die zweite Haut« und 1983 mit Egon Günther »Hanna von acht bis acht«. Bei Heiner Carow stand sie 1992 in »Die Verfehlung« wieder vor der Kamera. Paula als zwanzig Jahre später noch einmal verratene Frau. Ein verzweifelter Film. Doch tief in die Herzen der Zuschauer hatte sie sich mit »Die Legende von Paul und Paula« gespielt. Diese Paula bleibt für immer.

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