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AKK will Heimatschutz positiv besetzen
Mit dem bezahlten Freiwilligendienst liefert die Verteidigungsministerin ein neues Rekrutierungsprojekt
Einberufung 1. April, Dienstantritt 6. April - für 325 junge Menschen hat am Dienstag nach Ostern eine neue Form von Wehrdienst begonnen. Wie schon zu Zeiten der Wehrpflicht wird zur allgemeinen Grundausbildung angetreten. Von »Laufen, Schießen, Töten«, dem heruntergebrochenen Ausbildungsprogramm vergangener Tage, spricht bei der Präsentation des neuen Angebots der Bundeswehr aber niemand mehr. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, Staatssekretär Peter Tauber (beide CDU) und der stellvertretende Generalinspekteur Markus Laubenthal posieren am Dienstag mit Werbeplakaten. »Wenn alle in Berlin sind, wer passt dann auf Brandenburg auf«, steht auf dem Schild, das Kramp-Karrenbauer für sich ausgewählt hat.
Ausgerechnet und geradezu absichtlich heißt der neue Dienst »Heimatschutz«, eine bislang überwiegend rechts- und rechtsradikal gelesene Bezeichnung. »Es ist kein Fehler, diesen Dienst so zu nennen. Ein Fehler war, den Begriff Heimat den Rechten in diesem Land zu überlassen«, verbreitet die Bundeswehr in den sozialen Medien ein Zitat der Ministerin. Der verteidigungspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Tobias Pflüger, mahnt: »Mit dieser Wortwahl riskiert die Bundeswehr, speziell rechte Kreise anzuziehen. Der neue Dienst darf nicht dazu führen, dass nun noch mehr rechtslastige Akteure an scharfen Waffen ausgebildet werden.« Dieser Gefahr begegne die Bundeswehr vorgeblich mit einer Einstellungsüberprüfung, die seit 2017 verpflichtend sei. Dahinter verbirgt sich jedoch kaum mehr als eine Abfrage bestehender Datenbanken bei Polizei, Justiz und Verfassungsschutz. Solange eine rechte Gesinnung, wie vielfach in sozialen Netzwerken gezeigt, bei den Behörden nicht aktenkundig ist, steht einem Dienst bei der Bundeswehr also zunächst einmal nichts entgegen.
Jährlich 1000 Rekrut*innen sollen als Reservist*in ausgebildet werden. Auf drei Monate Grundausbildung in einem von elf Standorten bundesweit folgen vier weitere Monate Ausbildung für eine Spezialverwendung in den 30 Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien (RSU). Nach diesen Ausbildungen sollen die neuen Reservist*innen dann in den darauffolgenden sechs Jahren insgesamt weitere fünf Monate Reservedienst leisten. Immer dann, wenn es zu Katastrophenlagen kommt und die Bundeswehr kurzfristig mehr Personal benötigt.
»Die Personalprobleme der Bundeswehr werden durch den Wehrdienst Heimatschutz sicherlich nicht gelöst«, sagt Tobias Lindner, Obmann der Grünen im Verteidigungsausschuss des Bundestags. Für ihn scheint dieses Projekt vor allem ideologisch getrieben zu sein von einer Ministerin, die immer wieder ein verpflichtendes Dienstjahr fordert. »Die Ministerin muss allerdings die Alltagsprobleme der Bundeswehr endlich angehen«, sagt FDP-Obmann Alexander Müller. »Der Freiwillige Wehrdienst darf sich daher keinesfalls zu einem Ablenkungsmanöver entwickeln, um vor der Bundestagswahl einen Strohfeuererfolg zu verbuchen, während alle anderen Sorgen und Nöte der Soldatinnen und Soldaten unter den Teppich gekehrt werden.«
Kramp-Karrenbauer begründet den neuen Dienst patriotisch. Gerade in der jüngeren Generation sei das Bedürfnis vorhanden, dem Land etwas zurückzugeben, behauptet die Ministerin und leitet das offenbar aus den zahlreichen Interessent*innen ab, die sich für einen solchen Dienst gemeldet haben. Die Termine seien mehrfach überplant. Peter Tauber, der als Mitschöpfer des Dienstes gilt, nannte 9000 Bewerber*innen als Gesamtzahl. Für Tauber war die Präsentation die wohl letzte Amtshandlung. Er tritt aus gesundheitlichen Gründen an diesem Tag von seinem Posten als Staatssekretär zurück und gibt auch sein Bundestagsmandat auf.
Von anderen Katastrophenschutz- und Hilfsdiensten grenzt sich die Ministerin ab. Man nehme ihnen nichts weg, meint Kramp-Karrenbauer. Doch gerade von dort kommt Kritik. Der schlecht bezahlte Bundesfreiwilligendienst kann mit den monetären Konditionen des Dienstes in der Bundeswehr weiterhin nicht mithalten. »Ich finde es respektlos gegenüber den Freiwilligen im Sozialen und halte es für eine politisch unsägliche Botschaft, wenn diese gerade mal 400 Euro Taschengeld erhalten, die freiwilligen Soldaten jedoch 1400 Euro«, twitterte Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Auch Tobias Pflüger kritisiert die Bundeswehr: »Damit schwächt sie bestehende Strukturen, in denen sich Menschen zivil, sozial und ökologisch für die Gesellschaft engagieren können.« Caritas-Präsident Peter Neher pflichtet Pflüger bei. Er bezeichnete den Dienst als »Schnupperkurs für die Bundeswehr«. Unumwoben gesteht das auf »nd«-Nachfrage auch der stellvertretende Generalinspekteur Markus Laubenthal ein. Rund 30 bis 40 Prozent der freiwillig Wehrdienstleistenden nähmen bislang den Weg in eine der Laufbahnen, die die Bundswehr Zeitsoldaten anbiete. Die Bundeswehr sucht offenkundig nach Wegen, um den Personalaufwuchs auf rund 200 000 Soldat*innen bis 2024 doch noch zu bewerkstelligen. »Mit Blick auf die schlechten Zahlen beim herkömmlichen freiwilligen Wehrdienst befürchte ich, dass nur ein weiteres Mal Personal und Material unnötig gebunden werden«, kritisiert die verteidigungspolitische Sprecherin der SPD, Siemtje Möller, das neue Modell.
Positive Reaktionen gab es unterdessen vom Reservistenverband. Dessen Vorsitzender und Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg (CDU) teilte dem »nd« auf Anfrage mit, der Verband begrüße die Maßnahme. »Sowohl die Bundeswehr als auch die Gesellschaft werden von einem Ausbau des Freiwilligendienstes profitieren«, so Sensburg. Obwohl die Ministerin betont, der neue Dienst sei gleichwertig angesetzt, konkurrieren Reservist*innen des Verbandes nun mit den neuen Rekrut*innen um das begrenzte Angebot von Wehrübungstagen. Gleichzeitig ist nicht der gesamte Personalbestand des Reservistenverbandes mit Sicherheitsüberprüfungen ausgestattet und kann bislang nur Einzelfall für Einzelfall um Unterstützung des Militärischen Abschirmdienstes bitten.
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