Werbung

Die Hoffnung heißt Soberana 02

Bei dem kubanischen Impfstoff laufen die klinischen Tests auf Hochtouren. Kommt im Juni die Zulassung?

  • Andreas Knobloch, Havanna
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich habe mich impfen lassen«, sagt Vanessa Rodríguez. »Ich war etwas nervös, aber es war dann weniger schmerzhaft als gedacht.« Die 24-Jährige ist Familienärztin im Stadtteil 10 de Octubre in Havanna. Sie gehört zu jenen 150 000 im Gesundheitsbereich tätigen Personen, die derzeit im Rahmen einer erweiterten Bevölkerungsstudie mit dem kubanischen Impfstoffkandidaten Soberana 02 gegen Covid-19 immunisiert werden.

Ihren richtigen Namen will die junge Ärztin nicht in der Zeitung lesen, da sie nicht weiß, ob sie mit ausländischer Presse sprechen darf. Ein kurzer Einstich in den Oberarm, das war’s, sagt sie. Danach habe sie noch eine Stunde unter ärztlicher Beobachtung verbringen müssen, es aber keinerlei Nebenwirkung gegeben. In 28 Tagen erhält sie die zweite Dosis. Die Teilnahme an der Phase-III-Studie ist für die Mediziner*innen freiwillig. In einem zweiseitigen Infoblatt werden sie über die Risiken aufgeklärt.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

In ihrer Poliklinik hätten sich fast alle impfen lassen, berichtet die Allgemeinmedizinerin Maria González, die ebenfalls ihren wirklichen Namen nicht nennen möchte, »knapp 400 Personen: Medizinpersonal, Verwaltung, Reinigungskräfte«. Nur ihre Krankenschwester habe sich verweigert. »Vielleicht 0,05 Prozent wollten nicht.« Sie selbst hatte danach leichte Schmerzen in der Schulter. »Aber das ist normal.«

Dass in Phase-III-Studien auch medizinisches Personal unter wissenschaftlicher Aufsicht geimpft wird, ist international nicht unüblich. Die »kontrollierte Intervention« ziele darauf ab, die direkten und indirekten Auswirkungen einer Impfung gegen Sars-CoV-2 innerhalb von Risikogruppen zu bewerten, sagen die kubanischen Behörden. Parallel dazu läuft seit Anfang März eine erweiterte klinische Phase-III-Studie der beiden Impfstoffkandidaten Soberana 02 und Abdala mit jeweils mehr als 40 000 Freiwilligen im Alter zwischen 19 und 80 Jahren. Hier sollen die Sicherheit, Wirksamkeit und Immunogenität der Vakzine geprüft werden. Wie alle kubanischen Impfstoffe ist Soberana 02 ein sogenannter Totimpfstoff. Er verwendet das Spike-Protein des Coronavirus, das sich an menschliche Zellen bindet. Da dies allein keine starke Immunantwort auslöst, wird die Wirkung mit einer anderen Substanz erhöht. Das US-Unternehmen Novavax verwendet für seinen Impfstoff, für den ein EU-Zulassungsverfahren läuft, ein ähnliches Prinzip.

Auch die Rentnerin Mirta Hayes hat kürzlich die erste Dosis Soberana 02 erhalten. »Es war ein umfangreiches Prozedere. Im Anschluss wurden Blutdruck und Temperatur gemessen, und wir blieben eine Stunde unter Beobachtung«, erzählt sie. »Erst dann durften wir nach Hause.« Nebenwirkungen habe sie keine gespürt. In einigen Tagen erhält sie die zweite Impfung.

Die Ergebnisse sind bislang »hinsichtlich der Sicherheit des Vakzins und der Immunantwort ermutigend«, sagte die Hauptverantwortliche der Studie, María Eugenia Toledo, im kubanischen Fernsehen. Covid-19-Fälle unter den Freiwilligen hätten nur »milde Symptome« gezeigt. Noch vor Beendigung der dritten und letzten Testphase, die Anfang Juni abgeschlossen sein soll, könnten Teilergebnisse verwendet werden, um eine Notfallzulassung für den Impfstoff zu erhalten, so der stellvertretende Direktor des für die Impfstoffentwicklung verantwortlichen Finlay-Instituts, Yury Valdés.

Eine internationale Zulassung durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kann bis zu sechs Monate dauern. Dies sagt Jarbas Barbosa, stellvertretender Direktor der panamerikanischen WHO-Regionalorganisation PAHO, und erläutert: »Wir begrüßen jede Entwicklung von Impfstoffen, aber alle müssen dieselben Kriterien erfüllen, um Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit zu gewährleisten.«

Insgesamt entwickelt Kuba sogar fünf eigene Impfstoffkandidaten: neben Soberana 02 und Abdala auch Soberana 01 (in Phase II), Mambisa (in Phase I) und Soberana Plus. Für ein kleines Land eine außerordentliche Leistung. Die kubanischen Wissenschaftler gehen davon aus, im Laufe des Jahres die gesamte Bevölkerung der Insel immunisieren zu können. Im August soll ausreichend Impfstoff zur Verfügung stehen.

Ab Ende April sollen in Havanna im Rahmen einer erweiterten Bevölkerungsintervention bereits 1,6 Millionen Einwohner*innen mit Soberana 02 und Abdala geimpft werden. Auch Vanessa Rodríguez wird dann Impfungen an ihre Patient*innen verabreichen. »Derzeit werden wir dafür geschult«, sagt sie. Im Schnitt sollen pro Familienarztpraxis 100 Personen täglich geimpft werden.

Die Eile ist geboten, denn derweil verschärft sich die Infektionslage auf der Insel. Seit Anfang April werden im Schnitt 1100 Infektionen täglich gemeldet - Höchstwerte seit Pandemiebeginn -, ein großer Teil davon in der Hauptstadt. Insgesamt verzeichnete das Elf-Millionen-Einwohner-Land bisher 81 640 Infektionsfälle; 440 Menschen starben an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung.

Von den konstant hohen Fallzahlen alarmiert, kündigte Präsident Miguel Díaz-Canel am Dienstag per Twitter neue, »drastischere Maßnahmen« an. Die geringe Risikowahrnehmung stelle die größte Gefahr dar, so der Staatschef. Auch auf der Insel ist eine zunehmende Corona-Müdigkeit zu spüren; hinzu kommt die prekäre wirtschaftliche Lage. Linderung in der Pandemie verspricht die Impfung. »Fast alle meine Patienten fragen mich nach der Impfung«, sagt Maria González. Ein paar Monate werden aber wohl noch vergehen, bevor kubanische Impfstoffe für weitgehende Immunisierung sorgen können.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -