Wer sind wir - und wenn ja, wie viele?

Die AfD streitet am Wochenende auf ihrem Bundesparteitag darüber, ob sie mit Spitzenkandidat*innen zur Bundestagswahl antritt

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Würde sich die AfD an ihrem eigenen Anspruch orientieren, wäre die Angelegenheit klar, ein Streit unnötig: Allerorten betonen ihre Mitglieder, wie wichtig ihnen Basisdemokratie sei; die Partei fordert deshalb auch bereits seit Jahren Volksentscheide auf Bundesebene nach dem Vorbild der Schweiz. Kommen jedoch Machtinteressen mit ins Spiel, ist es schnell vorbei mit Basis, deren Votum und Willen.

Seit Monaten diskutiert die AfD, ob sie auf dem am Wochenende in Dresden stattfindenden Bundesparteitag neben einem Programm für die Bundestagswahl auch über mögliche Spitzenkandidaturen entscheidet. Formal ginge es dabei nur um Symbolik, denn die Kandidat*innen für den Bundestag werden von den 16 Landesverbänden auf jeweils eigenständigen Wahlversammlungen gewählt. Doch hier liegt bereits der erste Knackpunkt: Zehn von 16 Landesverbänden haben noch gar nicht abgestimmt, darunter die drei größten in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern. Im aus AfD-Sicht schlechtesten Szenario könnte der Parteitag in Dresden Spitzenkandidat*innen bestimmen, die später in ihrem eigenen Landesverband gar nicht aufgestellt werden oder nur einen schlechten Listenplatz ergattern. Unrealistisch ist solch ein Szenario nicht, da AfD-Wahlparteitage für ihre chaotischen Verläufe und für Überraschungen bekannt sind.

Ähnliche Überlegungen hatte es bereits vor Wochen im Bundesvorstand gegeben, der daher entschied, das Thema Spitzenkandidatur nicht auf die Tagesordnung in Dresden zu setzen. In einer Urabstimmung sprachen sich zudem 87 Prozent der Teilnehmer*innen dafür aus, dass die Basis über mögliche Spitzenkandidat*innen abstimmen müsse. An der Befragung nahmen allerdings nur 25 Prozent der Parteimitglieder teil. Wirklich wichtig ist diese Befragung am Ende sowieso nicht. In Dresden stehen gleich drei Anträge aus insgesamt sieben Landesverbänden zur Abstimmung, eine Entscheidung über die Spitzenkandidaturen am Wochenende zu fällen.

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Druck kommt dabei aus Sachsen. Landesvize Siegbert Droese erklärte, die Spitzenposition müsse von jemanden besetzt werden, der »stark im Osten verwurzelt« sei, wie er am Donnerstag gegenüber den »Dresdner Neuesten Nachrichten« erklärte. Er könne sich vorstellen, dass der Bundesvorsitzende Tino Chrupalla - wie Droese aus Sachsen - auch als alleiniger Spitzenkandidat auftritt.

Tatsächlich gibt es kaum Zweifel, dass der 45-Jährige das Gesicht der Partei im Wahlkampf wird. Chrupalla hat nicht nur die Spitzenkandidatur auf der sächsischen Landesliste bereits sicher, er weiß auch die ostdeutschen AfD-Verbände hinter sich. Ernsthafte Versuche, dies zu verhindern, sind faktisch ausgeschlossen. Die Frage ist nur, ob und wer neben Chrupalla an vorderster Front in den Wahlkampf zieht - am wahrscheinlichsten gilt die Lösung mit einer Doppelspitze.

Mögliche Kandidat*innen gibt es mehrere. Doch will die AfD den ohnehin tobenden Machtkampf nicht weiter befeuern, müsste die zweite Person nicht nur aus einem westdeutschen Landesverband kommen, sondern eher das Lager der Marktradikalen um den Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen repräsentieren, da Chrupalla zu den völkischen Kräften zählt. Dieser Logik folgend wäre etwa Alice Weidel bereits aus dem Rennen.

Die aktuelle Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion hat zwar ihre Kandidatur bisher noch nicht erklärt - will sie den wichtigen Sprecherposten in der Fraktion aber auch nach der Bundestagswahl behalten, wäre eine Spitzenkandidatur fast unumgänglich. Allerdings: Weidel hat nicht nur mit den Folgen einer Spendenaffäre zu kämpfen, als Vorsitzenden des Landesverbandes Baden-Württemberg hatte sie kürzlich auch eine Niederlage bei der Landtagswahl mit zu verantworten. Als Unterstützerin der Völkischen dürfte sie es ohnehin schwer haben, im Meuthen-Lager zu punkten. Dieses könnte eine in der Öffentlichkeit weitestgehend unbekannte Kandidatin ins Rennen schicken.

Hoch gehandelt wird die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, bisher eher in der zweiten Parteireihe aktiv. Für sie spricht aus strategischen Gründen nicht nur ihre Vita: Als Kind floh sie mit ihren Eltern aus Rumänien; später war Cotar zunächst CDU-Mitglied, 2013 trat sie in die AfD ein. Gegenüber der neu-rechten »Jungen Freiheit« erklärte die 48-Jährige Ende März, sie sei nach einer Kandidatur gefragt worden, und die Gespräche dazu liefen.

Ob sie jedoch in der Gesamtpartei akzeptiert würde, ist fraglich. 2019 unterstützte Cotar den »Appell der 100«, ein Papier, das sich gegen den Personkult richtete, den die Völkischen um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke pflegen. Dessen Unterstützer*innen planen für Dresden einen Aufstand. 50 Delegierte haben einen Antrag zur Abwahl von Meuthen als Parteichef gestellt.

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