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  • Olympia 2021 in Tokio

Die Zweifel werden lauter

In allen Teilen Japans nimmt die Kritik an Olympia mitten in der Pandemie zu

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist ein Brief, der die Veranstalter nervös machen könnte. 20 Professoren aus Japan haben ihn unterschrieben und richten damit einen klaren Appell nicht an die Olympiaorganisatoren der Sommerspiele in Tokio, denn von denen erhoffen sie sich längst nichts mehr. Vielmehr wenden sich die Gelehrten in einem Schreiben, das dem »nd« vorliegt, an »die deutschsprachige Öffentlichkeit.« Und von der fordern sie: »Kommen Sie bitte nicht nach Japan!«

Mit Ausländerfeindlichkeit hat das nichts zu tun. Die im ostasiatischen Land prominenten Unterzeichner - darunter der Philosoph Kenichi Mishima, die Politologin Mari Miura, der Soziologe Hiroki Ogasawara, die Schriftstellerin Yoko Tawada und der Politologe Koichi Nakano - erhoffen sich eher so etwas wie einen Boykott aus Solidarität: »Wenn sich eine der durch ihre bisherigen sportlichen Leistungen ausgewiesenen Nationen dazu aufraffen könnte, angesichts der Pandemie-Situation ihre olympische Mannschaft zu Hause zu lassen, würde diese Nicht-Entsendung eine Kettenreaktion unter den teilnehmenden Nationen auslösen.« Am Ende, so der Gedanke, stünde die Absage von »Tokyo 2020«.

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100 Tage vor dem geplanten Beginn der Olympischen Spiele in Japans Hauptstadt wollen die Organisatoren davon nichts hören. Sie bemühen sich um Zuversicht und mimen Freude über den voranschreitenden Fackellauf. Aber auch ihnen ist klar, dass im einst so olympiabegeisterten Japan längst eine deutliche Mehrheit skeptisch gegenüber den Spielen eingestellt ist. Olympia wird vor allem als in der Pandemie zu unsicher und wegen der immerzu gestiegenen Kosten zu teuer angesehen.

Beachtlich mittlerweile: die Opposition kommt nicht mehr nur aus den ausgewiesen kritischen Zirkeln von Intellektuellen. Längst haben Gesundheitsexperten offen Zweifel geäußert, dass die größte Sportveranstaltung der Welt in diesem Sommer wirklich ohne weitere Ausbreitung der Pandemie über die Bühne gehen kann. Auch aus der Wirtschaft, die lange Zeit durch Schweigen auffiel, gibt es mittlerweile Gegenstimmen.

Sogar unter den gut 100 000 Volunteers, den eigentlich stets eventbegeisterten Freiwilligenhelfern während der Spiele, hat Kritik an der Organisation zugenommen. So richtig viel Vorfreude ist von keiner Seite mehr zu hören. Nicht einmal unter den Athleten: Eine um den Jahreswechsel unter 42 japanischen Sportlern durchgeführte Befragung des Rundfunksenders NHK dokumentierte weit verbreitete Zweifel und mindestens gedämpfte Vorfreude. 38 Prozent der Athleten gaben dabei zu Protokoll, dass ihre Motivation in der aktuellen Situation bereits nachgelassen habe. Außerdem fanden 26 Prozent, dass sich die öffentliche Debatte um die Sinnhaftigkeit dieser Spiele auch auf ihr Gemüt auswirke.

Und das Ganze ist auch nicht mehr nur anonym. Die für ihre Meinungsstärke bekannte Langstreckenläuferin Hitomi Niiya sagte zuletzt in einem Interview auf die Frage, ob sie sich auf Olympia freue: »Als Sportlerin will ich es durchziehen. Als Mensch will ich es nicht.« Schon im August hatte sie verlautbart, man könne die Spiele auch absagen, »wenn die Bürger dagegen sind«. Zu diesen Gegnern zählt Niiya vielleicht sogar selbst, denn sie hat auch schon gesagt: »Um ehrlich zu sein, denke ich, dass das Leben wichtiger ist als die Olympischen Spiele.«

Auch die Sportfunktionärin Kaori Yamaguchi, Bronzemedaillengewinnerin im Judo bei den Spielen von Seoul 1988 und Exekutivkomiteemitglied des Japanischen Olympischen Komitees, hat schon Zweifel geäußert. In einem Meinungsartikel in der liberalen Zeitung »Asahi Shimbun« beklagte sie: »Der Standpunkt, die Menschen zurückzulassen und die Spiele einfach durchzuziehen, ist nicht im ursprünglich sportlichen Sinne von Olympia. Es sieht so aus, als gehe es dabei um Politik, um Wirtschaft, um kühle Erwägungen.«

Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, hat die Welt aufgefordert, nicht weiter über einen Ausfall zu diskutieren. »All diese Spekulationen schmerzen die Athleten in ihrer Vorbereitung.« Dabei ist unklar, was die Athleten mehr schmerzt: zu den Gefahren zu schweigen oder sie offen anzusprechen. So sagte Takuya Haneda, japanischer Bronzemedaillist im Kanuslalom bei den Spielen von Rio 2016, über seine Olympiavorbereitungen: »Ich glaube, es gibt im Moment Wichtigeres. Ich muss mir jeden Schritt, heute und morgen, gut überlegen. Die Welt ist im Moment voller Risiken.« Nicht für alle ist Dabeisein in diesen Tagen noch alles.

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