Frankfurt/Rhein-Main: Unterm Pflaster wachsen die Gewinne
In der Finanzmetropole zeigt sich besonders deutlich, warum Wohnungspolitik gegen Bodenspekulation so wenig ausrichten kann
Boden ist eine spezielle Ware. Anders als etwa die Gebäude, die auf ihm stehen, wird Boden nicht hergestellt. Er ist einfach da, und zwar in genau dem Umfang, den die Erdoberfläche hergibt. Zur Ware, die ge- und verkauft werden kann, wird Boden nur dadurch, dass er jemandem gehört. Zugleich ist Boden die – im Wortsinn – Grundlage für alles, was in einer Gesellschaft stattfindet, denn alles muss irgendwo sein: offensichtlich etwa Wohnraum oder Infrastrukturen, aber auch zum Beispiel die Server und Leitungen, die den vermeintlich »virtuellen Raum« des Internets ermöglichen, oder die geheimen Militäranlagen, die Regierungen am liebsten aus dem Blickfeld verschwinden lassen würden.
Außerdem unterscheidet sich Boden im Hinblick auf die Nutzungsmöglichkeiten ebenso wie auf den Preis nach seiner Lage. Ein Hafen ergibt nur am Wasser Sinn und Büros werden dort errichtet, wo das Geschäft stattfindet. Die Lage des Bodens wird so zu einer seiner wesentlichen Eigenschaften. Diese drei Eigenschaften des Bodens – unvermehrbares Gut, notwendige Grundlage von allem und nach Lage differenziert – machen ihn zu einer speziellen Ware; und sie bestimmen seinen Preis. Je höher die zahlungsfähige Nachfrage nach Boden an einem bestimmten Ort, desto höher die dortigen Bodenpreise; und damit auch die Pacht- und Mietkosten.
In der Konkurrenz um Boden setzt sich auf dem Markt stets der dickste Geldbeutel durch. Weil es in Städten aber auch Parks und Parkplätze, Kitas und Kunstmuseen sowie viele weitere zahlungsschwache Nutzungen an geeigneten Orten braucht, greift der Staat im Rahmen festgelegter Regeln planend ein. Die wichtigsten finden sich im Baugesetzbuch (BauGB). In ihm ist z. B. geregelt, wie die Bodennutzung festgelegt wird (grob in Flächennutzungsplänen, detailliert in Bebauungsplänen), wie und wo die Gemeinde ein Vorkaufsrecht ausüben und welche speziellen Gebiete sie ausweisen kann, um dort Sanierungs- oder Entwicklungsmaßnahmen einzuleiten, dass und wie die »Bodenrichtwerte« berechnet werden sowie schließlich auch, unter welchen Bedingungen Grundstücke im Dienste des Gemeinwohls (gegen Entschädigung) enteignet werden können.
Insbesondere in prosperierenden Städten und Regionen lässt sich viel Geld damit verdienen, Boden zu verpachten oder ihn nur spekulativ zu kaufen, um ihn mit Profit weiterzuverkaufen. Beide Arten, Geld zu erwirtschaften, werden als »leistungslose Profite« bezeichnet, weil mit dem Handelsgut Boden nichts getan wird, außer es zu verpachten (dann heißt das Einkommen Grundrente oder Bodenrente) bzw. es zu kaufen, zu warten und zu verkaufen (dann heißt es Spekulationsgewinn).
Die andere Seite der leistungslosen Profite ist immer und notwendig, dass irgendjemand für sie aufkommen muss. Bei Pacht oder Miete sind das Wohnungsmieter*innen, die sie aus Lohn oder Transferleistungen, ferner Unternehmen, die sie aus ihren Gewinnen, oder staatliche Einrichtungen, die sie aus Steuern und Abgaben bezahlen. Bei spekulativ hochgetriebenen Kaufpreisen sind es dieselben Geldquellen. Hinzu kommen fast immer Kredite, die mit Zins zurückzuzahlen sind, womit zusätzlich auch Banken und Finanzinstitutionen profitieren. Ein spezifischer Typus von Unternehmer*innen im Feld des Wohnens sind Vermieter*innen. Diese kaufen Boden (meist mit Gebäuden darauf) nicht für sich selber, sondern um Grundrente einzunehmen. Nicht-profitorientierte Vermieter*innen wie Genossenschaften werden die Mieten dann nur so hoch ansetzen, dass sie Instandhaltung, Rücklagen und dergleichen abdecken (Kostenmiete). Profitorientierte hingegen werden sie so weit hochtreiben, wie es angesichts zahlungsfähiger Nachfrage und staatlicher Regulierung irgend geht (wobei zur Umgehung letztgenannter regelmäßig unlautere Methoden zur Anwendung kommen).
Werden spekulativ überteuerte Grundstücke zum Zweck der Vermietung gekauft, müssen die zukünftigen Mieten die Spekulationsgewinne finanzieren. Dass die Mieten steigen werden, ist dann schon eingepreist. Schließlich kann der Kauf auch in rein spekulativer Absicht erfolgen, also in der Hoffnung, das Grundstück bald teurer weiterverkaufen zu können – das kann so lange weitergehen, bis einer der vorherigen Fälle eintritt. Egal welcher das jeweils ist: Die leistungslosen Profite der einen müssen immer andere finanzieren. Deshalb ist es nicht übertrieben zu sagen, dass Einnahmen aus Grundrente und Spekulationsgewinnen mit Boden auch dann, wenn sie völlig legal sind, illegitim sind: Sie ziehen Dritten Geld aus der Tasche nur auf Basis des Eigentumstitels. Diese Art des Geldverdienens sorgt außerdem dafür, dass seit etwa 2010 – seit als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/08 und der folgenden Niedrigzinspolitik der als sicher geltende deutsche Immobilienmarkt von Anleger*innen entdeckt wurde – Boden in den meisten Groß- und Universitätsstädten immer teurer wird.
Seit einigen Jahren wird Boden beispielsweise in Frankfurt/Rhein-Main rapide teurer. In guten Lagen sind die Preise in Frankfurt mit 10.000 €/m2 absurd hoch. Sie bilden eine Klasse für sich. Es folgen sieben Gemeinden – alle nah an Frankfurt gelegen –, in denen Boden in guter Lage zwischen 1.000 und 1.600 €/m2 kostet. Die Preise für Boden in mittleren Lagen unterscheiden sich zwischen Frankfurt (1.280 €/m2) und den anderen Gemeinden der Region nicht ganz so eklatant. Anders formuliert sind mittlere Lagen auch außerhalb Frankfurts teuer.
Nach München gehört Frankfurt zusammen mit Hamburg, Düsseldorf und Stuttgart zu den Städten mit den höchsten Bodenpreisen in Deutschland. Mit dem Kauf und Weiterverkauf von Grund und Boden, mit seiner Verpachtung und mit seiner Nutzung lässt sich hier viel Geld verdienen, viel mehr als in peripheren Regionen. Das hat verschiedene, zusammenhängende Gründe. In der Global City Frankfurt sind weit überdurchschnittlich Branchen angesiedelt, die besonders hohe Profite erzielen, allen voran das Finanzkapital. Dies führt dazu, dass verschiedene Akteure besonders hohe Bodenpreise und Mieten zahlen können. In den Bürotürmen des Finanzkapitals arbeiten aber auch Menschen, die sich am anderen Ende der Einkommensverteilung wiederfinden: Reinigungs- und Sicherheitskräfte sowie Bot*innen. Auch der Flughafen und die Messe sind nicht nur wesentliche Bausteine der Global City, sondern auch Arbeitsplatz vieler weniger gut bezahlter Arbeitskräfte. Sie alle leben in der Rhein-Main-Region oder ziehen hierher, weil es hier Arbeit gibt, wenn auch schlecht bezahlte, und sie alle müssen in der Region wohnen. Dies gilt auch für die Studierenden in der Stadt und der Region. Weil die meist nur für einige Jahre hier leben, und weil sich bei Neuvermietung nach Auszug die Mieten besonders stark steigern lassen, treibt das die Preise für kleine Wohnungen und (potenzielle) WGs nach oben. Und schließlich leben in Frankfurt und Region auch sehr viele Menschen der Mittelschicht und aus der Arbeiterklasse, die in Branchen außerhalb von Finanzkapital und Global-City-Funktionen tätig sind, unterschiedlich hohe Einkommen beziehen und ebenfalls alle wohnen müssen; und es ziehen immer mehr in die Stadt. Zwischen 2009 und heute ist die Bevölkerung von rund 650.000 auf gut 750.000 angestiegen. Diese reine Zahl sagt noch nichts darüber aus, was das für den Wohnungsmarkt bedeutet. Weil aber in Frankfurt die Zahlungsfähigkeit eines Teils dieser Bevölkerung sehr hoch ist, weil zugleich die Zahl der Sozialwohnungen seit Jahren kontinuierlich gesunken ist, und weil vor allem Investor*innen in »Betongold« in Stadt und Region drängen, steigen die Bodenpreise.
Frankfurt ist eine Mieter*innenstadt, in der nur 18,5 Prozent der Haushalte (Stand 2014) im eigenen Eigentum leben, weit weniger als in vergleichbaren westdeutschen Großstädten. Mieter*innen sind von Bodenpreissteigerungen vor allem betroffen, wenn ihr Wohnraum weiterverkauft wird. In Frankfurt werden in großem Umfang Mietwohnungen gehandelt. Die Umsätze beim Verkauf von unbebauten Baugrundstücken, ebenso wie bebauten, erfolgen weit überwiegend im Bereich der Mehrfamilienhausgrundstücke. So entfallen 2019 bei den bebauten Grundstücken nur 27 Prozent des Umsatzes von insgesamt 1,43 Milliarden Euro auf Einfamilienhausgrundstücke. Der Rest sind Mehrfamilienhausgrundstücke, deren Wohnungen vermietet oder weiterverkauft werden sollen. An diesen Zahlen wird unter anderem deutlich, dass es nicht an Investitionen in Wohnraum fehlt, wie oft beklagt wird (um Umweltschutz, Bürger*inneninitiativen, staatliche Regelungen und Auflagen etc. für den Mangel an – bezahlbarem – Wohnraum verantwortlich zu machen), sondern dass diese in (die Spekulation mit) bestehende(n) Mietwohnungen fließen – und nicht in dringend benötigten Neubau. Dabei handelt es sich um ein bundesweites Muster.
Damit all die weiterverkauften Mietshäuser Profite abwerfen, müssen die Mieten steigen. Das tun sie seit Jahren deutlich stärker als die Löhne, weshalb ein immer größerer Anteil des Haushaltseinkommens in der Region in die Wohnkosten geht und die »leistungslosen Profite« der Bodeneigentümer*innen finanziert. In Frankfurt geben 42,1 Prozent der Haushalte mehr als 30 Prozent ihres Haushaltseinkommens für Wohnen aus, in Offenbach gar 45,6 Prozent und in Wiesbaden 45,8 Prozent (Stand 2017).
Um der Bodenpreisexplosion Einhalt zu gebieten, werden und wurden seit den 1960er Jahren weitreichende Eingriffe in das skizzierte Geschäftsmodell vorgeschlagen. Umgesetzt wurde so gut wie nichts. Angesichts der dramatischen Lage wird das Thema zurzeit immerhin wieder diskutiert und einzelne Aktivitäten sind zu vermelden. Die Ergebnisse sind allerdings ernüchternd. Dies soll anhand von drei aktuellen Initiativen auf Bundes-, Landes- und städtischer Ebene skizziert werden.
Grundsteuer
Auf Bundesebene wurde 2019 eine neue Grundsteuer beschlossen. Dies wurde notwendig, weil das Bundesverfassungsgericht im April 2018 geurteilt hatte, dass die bisherige Berechnung nicht verfassungskonform gewesen sei. Der Gesetzgeber hatte bis Ende 2019 Zeit, eine Neuregelung zu beschließen. Die Verhandlungen waren von offenen Konflikten in der Groko und zwischen Bund und Ländern gekennzeichnet. Vor allem Bayern hat sich dem Vorschlag des SPD-geführten Bundesfinanzministeriums entgegengestellt, Grund zusammen mit den darauf befindlichen Gebäuden nach ihrem tatsächlichen Wert zu besteuern, indem bei der Berechnung der Steuerhöhe der Bodenwert des Grundstücks, das Alter der Gebäude und pauschal die Mieteinkünfte berücksichtigt werden (Ertragswertverfahren). Diese Lösung, die immerhin ein Schritt in die richtige Richtung ist, wurde dann zwar verabschiedet, aber mit einer »Öffnungsklausel«, die vor allem Bayern (wo die Bodenwerte sehr hoch sind) ausgehandelt hatte. Diese erlaubt es den Ländern, eigene, abweichende Lösungen zu beschließen. Es zeichnet sich ab, dass viele Länder davon Gebrauch machen werden. Im bayerischen »Flächenverfahren« soll nur die reine Fläche von Grund und Gebäuden in die Berechnung eingehen, wonach für Luxusvillen in Bogenhausen dieselbe Steuer pro Quadratmeter gilt wie für Mietshäuser in Wunsiedel. Im hessischen »Flächen-Faktor-Verfahren« sollen zusätzlich zur Fläche immerhin die Bodenwerte in gedämpfter Form eingehen. Insgesamt wurde mit der Grundsteuerreform die Chance verpasst, leistungslose Gewinne dem Allgemeinwohl zuzuführen.
Baulandoffensive
Auf Landesebene hat die schwarz-grüne Regierung 2017 in Hessen die »Baulandoffensive« gestartet. Dahinter verbirgt sich das Angebot an Kommunen, sie mittels Gutachten und als »Bauamt auf Zeit« bei der Entwicklung schwieriger Grundstücke zu unterstützen, wenn die Flächen etwa eine unübersichtliche Eigentümer*innenstruktur oder Altlasten aufweisen. Auf solchen Grundstücken werden dann Vorgaben für Anteile an bezahlbarem Wohnraum umgesetzt, wobei die Förderung vor allem auf Mittelschichtshaushalte abzielt. Damit leistet die »Offensive« insbesondere für einkommensschwache Bevölkerungsteile weit weniger, als es dem Land möglich wäre.
Baulandbeschluss
Im Frühjahr 2020 wurde vom Frankfurter Stadtparlament ein »Baulandbeschluss« verabschiedet. In solchen Beschlüssen legen Kommunen fest, wie sie mit Grund und Boden verfahren wollen, wenn neues Baurecht geschaffen werden muss (nur dann haben sie eine Handhabe gegenüber Investor*innen). Im Frankfurter Baulandbeschluss sind zweierlei Auflagen festgelegt. Erstens müssen anteilig 30 Prozent für geförderten Wohnungsbau (je zur Hälfte Sozialwohnungen und Mittelstandsförderung), 15 Prozent für gemeinschaftliche und genossenschaftliche Wohnprojekte nach Konzeptverfahren (bei dem Grund nicht meistbietend, sondern nach dem besten Konzept vergeben wird), 15 Prozent für frei finanzierten Mietwohnungsbau sowie 10 Prozent für preisreduzierte Eigentumswohnungen genutzt werden. Zweitens werden bis zu zwei Drittel der Bodenwertsteigerung von der Kommune abgeschöpft und für Erschließung, soziale Infrastrukturen und Klimaschutz verwendet. Wie die anderen genannten Initiativen weist der Baulandbeschluss in die richtige Richtung, bleibt aber auch vieles schuldig. Wie bei der Baulandoffensive liegt der Schwerpunkt auf der Förderung der Mittelschichten, nicht bei einkommensschwachen Bevölkerungsteilen, und wie bei fast allen Aktivitäten der letzten Jahre verbleibt das Eigentum an Grund und Boden bei Privaten.
Der unlängst verstorbene ehemalige Oberbürgermeister von München, Bundesbau- und Bundesjustizminister und seit den 1960er Jahren Kämpfer für eine gerechtere Bodenpolitik, Hans-Jochen Vogel (SPD), formulierte 2019 das »Kernziel, Eigentum von Grund und Boden wegen seines besonderen Charakters so weit wie möglich aus dem Herrschaftsbereich des Marktes herauszulösen und den sozialen Regeln des Allgemeinwohls zu unterstellen«. Auf dem Weg zu diesem Ziel können als Leitlinien Dekommodifizierung, Demokratisierung und Government gelten, also Boden so weit wie möglich aus der Warenform des Privateigentums zu lösen, demokratisch zu verwalten und all das mittels klarer Regelungen. Schritte entlang dieser Leitlinien können das Geschäftsmodell der »leistungslosen Gewinne« madig machen, indem sie Profitmöglichkeiten mit Grundrente und Bodenspekulation einschränken. Dazu gehört über das kommunale Vorkaufsrecht hinaus (das etwa in Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg sinnvoll eingesetzt wird) auch eine Ausweitung des bislang nur sehr zögerlich eingesetzten Instruments der Enteignung (etwa als letztes Mittel im Rahmen einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme nach BauGB § 165ff.) bzw. »Vergesellschaftung« von Grund und Boden nach Grundgesetz Art. 15, Abs. 1, wie sie die Initiative »Deutsche Wohnen enteignen« aus Berlin fordert. Nur wenn soziale Bewegungen die Politik in diese Richtung drängen, wird Boden und damit Wohnen auch in Frankfurt und der Rhein-Main-Region bezahlbarer.
Prof. Dr. Bernd Belina lehrt und forscht seit April 2008 am Institut für Humangeografie der Goethe-Universität Frankfurt/Main Eine längere Fassung des Textes erscheint 2021 in: Johanna Betz, Svenja Keitzel, Jürgen Schardt, Sebastian Schipper, Sara Schmitt Pacífico & Felix Wiegand (Hg.): Frankfurt am Main – eine Stadt für alle? Konfliktfelder, Orte und soziale Kämpfe Bielefeld: transcript.
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