• Politik
  • Streit zwischen Griechenland und der Türkei

Treffen von Außenministern eskaliert

Besuch von griechischem Außenminister in der Türkei endet mit diplomatischen Eklat

  • Lesedauer: 4 Min.

Istanbul. Der erste Besuch eines griechischen Außenministers in der Türkei seit zwei Jahren hat in einem Eklat geendet. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am Donnerstag warfen sich Nikos Dendias und sein türkischer Amtskollege Mevlüt Cavusoglu jeweils Fehlverhalten in zentralen Konflikten wie dem Erdgasstreit und der Migrationspolitik vor.

Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind seit Jahren angespannt. Die Regierung in Athen wirft dem Nachbarn etwa vor, in Gewässern der Ausschließlichen Wirtschaftszone Griechenlands illegal nach Erdgas zu forschen. Ankara argumentiert, die erkundeten Zonen gehörten zum türkischen Festlandsockel und die Türkei habe ein Recht auf Ausbeutung der Bodenschätze. Der Konflikt brachte die beiden Länder im vergangenen Jahr an den Rand einer militärischen Auseinandersetzung, hatte sich zuletzt aber wieder entspannt.

Während beide Politiker zu Beginn der Konferenz noch eine positive und konstruktive Atmosphäre lobten, eskalierte das Gespräch schnell, nachdem Dendias die Türkei etwa ermahnte, keine »Fake-News« zu verbreiten, »die nicht zum positiven Klima beitragen, auf dessen Stärkung wir uns geeinigt haben«. Zudem müsse »die Zypernfrage endlich gelöst werden« und Abstand davon genommen werden, »auch in dieser Region zu provozieren«.

Cavusoglu, der Dendias zu Beginn noch seinen langjährigen Freund genannt hatte, reagierte und sagte, er habe das Gespräch in einer freundlichen Atmosphäre führen wollen. »Aber in seiner Rede hat Niko Dendias leider äußerst inakzeptable Anschuldigungen gegenüber meinem Land geäußert.« Er warf Griechenland etwa vor, gegen internationales Recht zur verstoßen und Menschen »ins Meer geworfen« zu haben. Das habe man nicht vor der Presse besprechen wollen, »aber Sie stellen sich hierher und beschuldigen die Türkei vor der Presse, um natürlich Ihrem Land eine Botschaft zu vermitteln. Das kann ich nicht akzeptieren«, sagte der türkische Außenminister.

Ankara wirft Griechenland immer wieder vor, Migranten in der Ägäis illegal zurück in türkische Gewässer zu drängen, um sie daran zu hindern, nach Griechenland zu gelangen. Athen quittierte Vorwürfe dieser Art immer wieder als »Fake-News«.

EU will Kooperation mit Ankara vertiefen
Brüssels Spitzenpolitiker sprechen mit Erdoğan über Wirtschaftshilfen für Türkei. Gipfel trifft auf Kritik

Mit Blick auf den Erdgasstreit warf Dendias Ankara vor, die Ausweitung der griechischen Seegrenzen von sechs auf zwölf Seemeilen als Kriegsgrund zu werten, obwohl diese Ausweitung von internationalem Seerecht gedeckt sei. Einen entsprechenden Beschluss hatte das türkische Parlament im Jahr 1995 gefasst. Mit Bezug auf die türkische Suche nach Erdgas in umstrittenen Gebieten sagte er: »Wenn es Verletzungen unserer Souveränität gibt, dann stehen immer Sanktionen im Raum. Wir wünschen uns aus ganzem Herzen, dass es dazu nicht kommt.«

Cavusoglu warf seinerseits Athen vor, internationale Verträge über Gebietszugehörigkeiten nicht einzuhalten. Mit Blick auf die Gesamtheit der Konflikte sagte Cavusoglu, nicht alle Angelegenheiten könnten mit diesen Treffen gelöst werden, »da unsere Differenzen stark sind, aber nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass der Dialog fortgesetzt wird«. »Werden wir das von nun an also auf bilateraler Ebene gemeinsam besprechen oder weiterhin so streiten? Ihr müsst euch entscheiden.«

Im Erdgasstreit zwischen beiden Ländern hatte die EU der Türkei mit Sanktionen gedroht. Ankara stellte die Forschungen dann jedoch ein, die Spannungen mit Athen nahmen ab. Ende Januar nahmen beide Länder nach fünf Jahren Pause dann wieder Sondierungsgespräche zur Beilegung des Erdgasstreits auf. Ankara und Athen werfen sich trotzdem immer wieder gegenseitige Provokationen vor.

Ende März entschied die EU, angesichts der Entspannung mit Vorbereitungen für eine Ausweitung der Zollunion mit der Türkei zu beginnen. Daran haben beide Seiten großes wirtschaftliches Interesse. So könnte zum Beispiel der Handel im Agrar- und Dienstleistungsbereich angekurbelt werden.

EU kritisiert Türkei - und will ihr weitreichend entgegenkommen
Martin Schirdewan (Linke): EU bereite »neuen Pakt der Schande mit dem Erdogan-Regime« vor

Dendias hatte zuvor auch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu einem 45-minütigen Gespräch im Präsidialpalast in Ankara getroffen. Zum Inhalt wurde zunächst jedoch nichts bekannt. Der Disput zwischen Cavusoglu und Dendias rief unterdessen auch bei Experten erstaunte Reaktionen hervor.

2019 hatte zuletzt ein griechischer Außenminister die Türkei besucht. Der türkische Außenminister Cavusoglu reiste 2016 allein nach Kreta. 2017 besuchte er in Begleitung von Erdogan - damals noch türkischer Ministerpräsident - Griechenland.

Die beiden Außenminister wollten ursprünglich schon am Mittwoch zusammenkommen, der Besuch wurde dann aber um einen Tag verschoben. Dendias traf sich an dem Tag in Istanbul zu einem privaten Gespräch mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios. dpa/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.