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Angst vor dem Chaos in der ersten Stunde

Lehrkräfte und Eltern kritisieren die neue Teststrategie an den Schulen

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

»Einige Kollegen sind richtig abgegessen, das habe ich in der Form so auch noch nicht erlebt«, berichtet ein Lehrer der Gustave-Eiffel-Schule in Prenzlauer Berg. »Erst die abgesagten Impfeinladungen, nun die ungeklärten Details bei den verpflichtenden Selbsttests der Schüler: Die Stimmung im Kollegium ist sehr schlecht.« Rund 530 Kinder und Jugendliche besuchen die Sekundarschule an der Hanns-Eisler-Straße. Und wie bei allen Berliner Schülern wird es an diesem Montag auch an der Eiffel-Schule heißen: Erste Stunde - und alle popeln!

Anders als etwa in Brandenburg, wo sich die Schüler zu Hause testen (lassen), gibt es in der Hauptstadt eine Coronatest-Pflicht vor Ort, zweimal wöchentlich, möglichst in den Klassenzimmern und eben in der ersten Unterrichtsstunde. Die Lehrkräfte sollen das Prozedere überwachen, ohne den Schülern dabei zu nahe zu kommen. Wie die Bildungsverwaltung den Schulleitern mitteilte, komme der Senat mit der Einführung der Selbsttest-Verpflichtung »einem aus vielen Schulgemeinschaften geäußerten Wunsch nach, die Häufigkeit und Verlässlichkeit der Selbsttestung von Schülerinnen und Schülern sicherzustellen«.

Klar ist: Der besagte Wunsch kam mit Sicherheit nicht von der Gustave-Eiffel-Schule. Der Lehrer, mit dem »nd« gesprochen hat, der seinen Namen aber sicherheitshalber nicht in der Zeitung lesen will, sagt: »Die Kollegen haben Angst. Es wurde uns ja kaum Zeit gelassen, die neue Teststrategie vorzubereiten. Also wird dann wohl einfach in den engen Klassenräumen getestet.« Bei den Schülern der Oberstufe könne er sich vorstellen, dass das noch halbwegs zivilisiert ablaufe. »Aber bei meinen Schülern der Mittelstufe, die ja zum Teil in der Hochphase ihrer Pubertät stecken, erwarte ich, ehrlich gesagt, chaotische Szenen in der ersten Stunde.« Dies umso mehr, als sich genau diese Schüler nun zum ersten Mal seit Dezember wieder in den Klassenräumen begegnen werden.

Denn ausgerechnet das kommt an diesem Montag noch hinzu: die Rückkehr der Mittelstufe. Aller Kritik der mitregierenden Linkspartei angesichts des Infektionsgeschehens zum Trotz hatten Sozialdemokraten und Grüne im Senat durchgesetzt, dass die bislang ausgesparten über 83 000 Siebt- bis Neuntklässler nun ebenfalls wieder Präsenzunterricht im Schichtbetrieb erhalten.

Die Schulen sind damit voll. Zu voll, befürchtet das Personal der Eiffel-Schule. Am Freitag setzte das Kollegium deshalb einen Brief an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) auf, in dem die Schulöffnungen scharf kritisiert werden. »Wir fordern, dafür Sorge zu tragen, dass Lehrer*innen und Schüler*innen keinem massiv erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt werden. In Anbetracht steigender Infektionszahlen darf die Öffnung der Schule derzeit nicht erfolgen«, heißt es unter anderem in dem Schreiben, das »nd« vorliegt.

Der Protestbrief aus Prenzlauer Berg ist nicht der einzige, der in der Bildungsverwaltung in den vergangenen Tagen eingegangen ist. Anders als an der Eiffel-Schule entzündet sich der Zorn in der Regel aber weniger an dem zusätzlichen Präsenzangebot. In der Kritik steht die Teststrategie. So veröffentlichten am Freitag die Vorsitzenden aller zwölf Bezirkselternausschüsse einen Brief an die Senatorin, in dem sie mit den Vor-Ort-Tests abrechneten. Ihre Forderung: »Im Zuge ihrer Eigenverantwortung kann und soll jede Schule entscheiden, an welchem Ort die Testung durchgeführt wird.« Denn die Schulen kennen ihre Schüler am besten.

Eben, sagt der Lehrer aus Prenzlauer Berg: »Zu vermuten ist, dass viele Kollegen in ganz Berlin sich am Montag - als stiller Protest - krank melden werden.«

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