Moskau revanchiert sich bei Prag

Beziehung von Tschechien und Russland mit wechselseitiger Ausweisung von Diplomaten auf Tiefpunkt

  • Jindra Kolar, Prag
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich sollte Tschechiens Innenminister und gegenwärtiger Interimsaußenminister Jan Hamáček am Freitag nach Moskau fliegen, um dort über den Import des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V zu verhandeln. Doch dann kam auf einmal alles anders: Regierungschef Andrej Babiš von der rechtspopulistischen ANO verfügte einen Reisestopp für den sozialdemokratischen Minister, und einen Tag später gab das Außenministerium auf einer Pressekonferenz die Ausweisung von 18 Angehörigen der russischen Botschaft in Prag bekannt. Moskau reagierte verschnupft und prompt. Am Sonntagabend wurden 16 Diplomaten und vier Mitarbeiter der tschechischen Botschaft aufgefordert, Russland binnen 48 Stunden zu verlassen. Lediglich noch fünf Diplomaten dürfen in der Moskauer Vertretung Tschechiens verbleiben. Eine entsprechende Weisung erhielt Botschafter Vítězslav Pivoňka, der ins russische Außenministerium einbestellt wurde.

Aus russischen Regierungskreisen hieß es, die Ausweisung der in Prag stationierten Diplomaten sei ein »unfreundlicher Akt« und verweise deutlich »auf Spuren in die USA«. Die vorgebrachten Beschuldigungen seien »absurd« und »aus der Luft gegriffen«.

Im Vorfeld des diplomatischen Aktes hatte der tschechische Inlandsgeheimdienst BIS jahrelang unter anderem gegen die jetzt ausgewiesenen Personen ermittelt. Hintergrund waren zwei Explosionen, die sich im Oktober und Dezember 2014 in einem Munitionsdepot im südostmährischen Vrbětice ereignet hatten. Nach den Ermittlungen des BIS soll es sich dabei nicht um Unfälle, sondern um gezielte Anschläge gehandelt haben.

Bei der ersten Explosion im Oktober 2014 waren zwei Menschen ums Leben gekommen. In dem kleinen Dorf hatte eine private Firma ein Waffen- und Munitionsdepot eingerichtet. Die Anschläge sollen nach Angaben dem Geheimdienst nahestehender Quellen einem Waffenlager gegolten haben, dass ein bulgarischer Geschäftsmann auf dem Gelände des Depots Vrbětice angelegt hatte. Unklar ist bis heute, welche Destination die Waffen haben sollten. Als mögliche Abnehmer werden ukrainische Regierungstruppen genannt, die im Donbass gegen russische Aufständische vorgingen. Eine weitere Zieladresse könnten syrische Rebellen gegen die mit Moskau verbündete Assad-Regierung gewesen sein. Grund genug - glauben die tschechischen Ermittler -, dass sich der russische Auslandsgeheimdienst GRU für das Waffenlager interessierte.

Die Russen sind in Prag mit 135 Botschaftsmitarbeitern vertreten. Im Vergleich dazu arbeiten in der USA-Vertretung nur 72, in der bundesdeutschen sogar nur 26 Diplomaten. Dies mag zum einen aus der Tradition des früheren Bündnisses herrühren. Zum anderen will Moskau wohl auch an der neuen »Frontlinie« zur Nato stark präsent sein. Dass unter den vielen Mitarbeitern auch solche des KGB-Nachfolgers GRU zu finden sind, ist ein offenes Geheimnis - und entspricht durchaus internationalen Gepflogenheiten.

Zu solchen verdeckten GRU-Offizieren gehörte nach Ansicht der tschechischen Ermittler auch der Oberst Anatoli Tschepiga, der 2014 unter dem Namen Ruslan Boshirov in der Nähe von Vrbětice gesehen wurde. Dort agierte er gemeinsam mit einem Mitarbeiter, der seinerzeit einen russischen Pass auf den Namen Alexander Petrov mit sich führte. Beide Männer werden von britischen Behörden für den Giftanschlag 2018 in England auf den russischen Doppelagenten Sergej Skripal verantwortlich gemacht.

Der Fall der gegenseitigen Diplomatenausweisung entbehrt nicht einer Pikanterie: Zwischen den Präsidenten Miloš Zeman und Wladimir Putin besteht seit langer Zeit eine enge Männerfreundschaft. Zeman macht keinen Hehl aus seiner Sympathie für Moskau und seiner Reserviertheit gegenüber der Nato. Mehrfach hatte sich »die Prager Burg« für einen Einsatz des russischen Impfstoffs Sputnik V starkgemacht. Auch befürwortet Zeman ein weiteres Engagement Russlands beim Ausbau des Kernkraftwerks Dukovany. Das energische Eingreifen Babiš dürfte Zemans Spielraum nun deutlich einschränken. Es droht eine nachhaltige und dauerhafte Abkühlung des Verhältnisses zwischen Moskau und Prag.

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