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Akuter Kündigungsalarm

Senat legt Unterstützungsprogramm für Nachzahlungen nach dem Mietendeckel auf

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die Mieter müssen handeln. Es entstehen automatische Nachzahlungspflichten, die spätestens mit der nächsten Mietzahlungsverpflichtung fällig werden«, verdeutlicht Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) am Dienstag bei der Senatspressekonferenz den Ernst der Lage.

Damit niemand wegen der nun anstehenden Rückzahlungen seine Wohnung verliert, hat der Senat am Dienstag die »Sicher-Wohnen-Hilfe« beschlossen. »Wir werden erstmal Darlehen ausreichen und dann im Nachgang prüfen, inwieweit diese ganz oder teilweise in einen Zuschuss umgewandelt werden. Es geht vor allem um die Verhinderung von Wohnungsverlusten«, erklärt Scheel. Zunächst zehn Millionen Euro aus nicht genutzten Geldern für die Umsetzung des Mietendeckels stehen dafür zur Verfügung.

Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist recht breit, ein Alleinstehender darf demnach über bis zu 2800 Euro Netto-Haushaltseinkommen verfügen. »Wer sich die Miete vom Kühlschrank abgespart hat, konnte keine großen Rücklagen bilden«, begründet Scheel den Schritt. »Es ist auch eine Frage des politischen Anstands, dieses Hilfsangebot zu unterbreiten«, so der Senator weiter. Transferleistungsempfänger oder Wohngeldbezieher müssen sich allerdings an die zuständigen Ämter wenden. Scheel fordert Mieter mit neuen Verträgen auf, die Schattenmietklauseln in den entsprechenden Beratungsstellen überprüfen zu lassen. Die müssten nicht zwangsläufig gültig vereinbart worden sein. Dort sei ein »Wildwuchs« entstanden, »der nicht in jedem Fall mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu vereinbaren ist«.

Dass einige Vermieter Anstand vermissen lassen, zeigt sich in Beratungsstellen. »Manche Vermieter springen bei den Rückforderungen aufgrund des gekippten Mietendeckels auf den Zug auf. Uns hat die Anfrage einer Mieterin erreicht, die laut Vermieter nun angeblich über 1000 Euro Mietschulden haben soll. Doch die Forderung des Vermieters bezieht sich auf eine Mieterhöhung von 2017, zu der die Mieterin nur eine Teilzustimmung erteilt hat. Sie bezieht sich auf den ursprünglich geforderten Betrag und ist also gar nicht berechtigt.« Das berichtet »nd« Bernhard Schüer von der Spas Mieterberatung der Gesoplan gGmbH. Im Auftrag des Bezirks Pankow berät er Mieter kostenlos.

Der Vermieterverband Haus & Grund Berlin informierte seine Mitglieder mit einem »nd« vorliegenden Rundschreiben über die Situation nach dem Urteil. »In Einzelfällen kann überlegt werden, ob dem Mieter ohne vorangegangene Mahnung sogleich die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzug ausgesprochen wird, wenn der Zahlungsrückstand eine kündigungsrelevante Höhe erreicht hat. Hierzu sollte sich der Vermieter jedoch noch einmal anwaltlich beraten lassen«, heißt es dort. »Asozial« nennt das Stadtentwicklungssenator Scheel.

»Die liegen auf der Lauer und empfehlen nun, die Gunst die Stunde zu nutzen, sich von Altmietern zu trennen und freie Bahn für mehr Rendite zu bekommen«, sagt Linke-Mietenpolitikerin Gaby Gottwald zu »nd«. Solches Verhalten liefere den Beleg dafür, dass der Mietendeckel notwendig gewesen sei. »Denn der Staat ist eingeschritten und nicht der einzelne Mieter steht den gierigen Vermietern gegenüber«, so Gottwald weiter.
Der Hinweis auf die Möglichkeit der Kündigung des Mietverhältnisses gehöre »notwendig mit zur Rechtsberatung der Mitglieder«, heißt es auf nd-Anfrage von Haus & Grund Berlin. Es sei zu erkennen, dass man »seine Mitglieder nicht auffordert, Mietverhältnisse zu kündigen, wo es nur geht, sondern dass wir gerade mit dem Thema der Kündigung sehr behutsam umgehen«. Weder die Empfehlung zur Rechtsberatung zur Kündigung sei hinterlistig »noch wäre der Ausspruch einer Kündigung wegen eines kündigungsrelevanten Zahlungsrückstandes hinterlistig«, erklären die Vermietervertreter.

Scharfe Kritik am Härtefallfonds kommt vom Bund der Steuerzahler und der Industrie- und Handelskammer. »Es steht außer Frage, dass den betroffenen Mietern geholfen werden muss, dennoch muss sich der Senat die Frage gefallen lassen, warum er hier zu Lasten nicht nur der Mieter, sondern zu Lasten aller Steuerzahler diesen von Anfang zum Scheitern verurteilten Irrweg gegangen ist«, erklärt IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder.
Wie zur Einführung des Mietendeckels soll nun eine Telefonhotline geschaltet werden, kündigt Senator Scheel auf nd-Nachfrage an. Der Bedarf ist enorm. »Bei uns ist am Donnerstag nach dem Urteil die Telefonanlage zusammengebrochen«, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, zu »nd«. Darunter seien aber nicht wenige gewesen, die den Versuch mit dem Mietendeckel als richtig angesehen hätten. »Wir erwarten, dass hier unbürokratisch auch bei aktuellen Einkommensrückgängen infolge Corona, die Hilfe als Zuschuss gewährt wird«, fordert er.

»Aus unserer Sicht bleibt das Thema Mieten weiter auf der politischen Agenda. Diese Diskussionen werden im Bund zu führen sein«, sagt Sebastian Scheel. Entweder müssen vernünftige Regelungen zum Mieterschutz kommen oder eine Öffnungsklausel für die Länder. Eine Forderung, die auch Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch erhebt. »Landespolitisch wäre es ein wichtiges politisches Signal, den Mietendeckel jetzt für die Landeseigenen Wohnungsunternehmen im Wohnraumversorgungsgesetz bis 2025 festzuschreiben«, erklärt sie auf nd-Anfrage. Es gebe Gespräche darüber im Senat, so Scheel auf der Pressekonferenz.

Inhaltlich haben sich die Karlsruher Richter zum Mietendeckel nicht geäußert. »Es ist ein Modell, das den sozialen Frieden in Deutschland und insbesondere auf den angespannten Wohnungsmärkten erhalten kann«, sagt Scheel zum Gesetz, das wegen fehlender Landeskompetenz gekippt wurde.

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