Mehr als tausend Festnahmen bei Protesten von Nawalny-Anhängern

Putin warnt Westen in Rede an die Nation vor Überschreiten von »roter Linie«

  • Lesedauer: 3 Min.
Moskau. Bei landesweiten Demonstrationen für den inhaftierten Kreml-Kritiker Alexej Nawalny sind am Mittwoch über tausend Menschen festgenommen worden. Allein in St. Petersburg, wo tausende Menschen nach einer Rede von Präsident Wladimir Putin auf die Straße gingen, wurden laut der unabhängigen Beobachtergruppe OVD-Info mehr als 350 Demonstranten in Gewahrsam genommen. Putin warnte den Westen derweil vor dem Überschreiten einer »roten Linie«.

Tausende Menschen hatten sich am Mittwoch in Dutzenden Städten vom fernen Osten des Landes über den Ural bis nach Moskau und St. Petersburg an den Solidaritätskundgebungen beteiligt. Die Polizei sprach von insgesamt 14.000 Demonstranten in 29 Städten. Das sind deutlich weniger als bei den Massenprotesten am Anfang des Jahres. Zahlen von den Organisatoren der Proteste gab es zunächst nicht.

Mindestens 6000 Menschen fanden sich am Abend nach Polizeiangaben in Moskau ein. Sie riefen »Freiheit« und »Putin ist ein Dieb«, während sie in Richtung des Sitzes des Inlandsgeheimdienstes FSB marschierten. In St. Petersburg waren es laut Polizei mindestens 4500 Demonstranten. Ein AFP-Reporter berichtete, wie Sicherheitskräfte nach einiger Zeit Demonstranten brutal festnahmen oder bis in die Metro-Stationen verfolgten.

Anhänger Nawalnys veröffentlichten auf Twitter Videos von Demonstrationen in Städten wie Wladiwostok und Nowosibirsk, bei denen Menschen die Freilassung oder zumindest eine angemessene ärztliche Betreuung des 44-Jährigen forderten und immer wieder Parolen gegen Putin skandierten.

Bereits im Vorfeld der Demonstrationen waren Sicherheitskräfte massiv gegen Anhänger Nawalnys vorgegangen. In fast 30 Städten gab es laut OVD-Info Razzien und Festnahmen. Unter anderem wurden das Büro von Nawalny in St. Petersburg durchsucht und seine Vertrauten Ljubow Sobol und Kira Jarmysch festgenommen.

Zu den landesweiten Demonstrationen hatten Unterstützer des Kreml-Kritikers aufgerufen. Es gehe nicht mehr nur um dessen Freiheit, sondern »um sein Leben«, schrieb der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow.

Nawalnys Gesundheitszustand hat sich nach Angaben seiner Unterstützer massiv verschlechtert, Ende März trat er in der Haft im Straflager in einen Hungerstreik, um Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung zu erhalten. Seine Ärzte warnten zuletzt vor der Gefahr eines Herzstillstandes bei dem 44-Jährigen.

Auch UN-Menschenrechtsexperten fürchten um das Leben Nawalnys. Dessen Leben sei »in ernsthafter Gefahr«, hieß es in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung von vier von der UNO ernannten Experten, die aber nicht in ihrem Namen sprechen. Der Oppositionspolitiker müsse »für eine dringende medizinische Versorgung ins Ausland evakuiert« werden.

Das Schicksal Nawalnys und das harte Vorgehen gegen seine Anhänger ist auf scharfe Kritik im Ausland gestoßen. Offenbar auch mit Blick darauf warnte Putin vor einer Eskalation: »Ich hoffe, niemand kommt auf die Idee, die rote Linie zu überschreiten«, sagte er vor Abgeordneten und hochrangigen Regierungsvertretern. Ein Überschreiten würde eine »harsche« Reaktion hervorrufen.

Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sind derzeit sehr angespannt. Auch die Verlegung von zehntausenden russischen Soldaten an die Grenzen zur Ukraine und Aktivitäten des russischen Geheimdienstes in anderen Staaten haben den Westen alarmiert.

Putin hatte sich erst kürzlich durch ein umstrittenes Referendum zwei weitere Amtszeiten ermöglicht. Allerdings sind die Zustimmungswerte zu seiner Partei Geeintes Russland so schlecht wie selten. Offenbar mit Blick auf die wachsende Unzufriedenheit und die im September anstehenden Parlamentswahlen versprach Putin, die Einkommen der Menschen dauerhaft erhöhen zu wollen.

Unter anderem kündigte der Präsident mehrere teure Sozialmaßnahmen an. Dazu zählen neue staatliche Sonderleistungen für Alleinerziehende und Schwangere, für jedes Schulkind soll es im August 10.000 Rubel (108 Euro) geben. AFP/nd

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