Zittauer Sorgen wegen der Grube hinter der Grenze
Tschechische Klage gegen polnischen Tagebau Turów veröffentlicht - Bundesrepublik kann Beitritt als »Streithelfer« prüfen
Die Frist läuft. Am Montag dieser Woche hat die Europäische Union in ihrem Amtsblatt eine Klage veröffentlicht, mit der sich Tschechien gegen den unmittelbar hinter der Landesgrenze gelegenen polnischen Braunkohlentagebau Turów wehrt. Dem Vorstoß beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) können andere Mitgliedsstaaten als »Streithelfer« beitreten. Umweltverbände und sächsische Landespolitiker drängen die Bundesregierung, diesen Schritt zu gehen. Allerdings sind dafür nur sechs Wochen Zeit. Bis 31. Mai muss also eine Entscheidung gefallen sein.
Die Grube Turów liegt im äußersten südwestlichen Zipfel Polens. Die Bagger graben sich bis auf 70 Meter an die Grenze zu Tschechien heran. Bis zur Innenstadt der sächsischen Stadt Zittau sind es ebenfalls nur wenige Kilometer. Um Braunkohle aus der über 100 Meter tiefen Grube zu fördern, muss das Grundwasser abgesenkt werden. Vor allem das hat Auswirkungen über Ländergrenzen hinweg. In Tschechien ist mancherorts bereits das Grundwasser versiegt; in Zukunft dürften bis zu 10 000 Menschen betroffen sein. Eine kürzlich vorgelegte Studie im Auftrag von Greenpeace sagt große Probleme auch für Zittau voraus. Die Stadt liegt im Absenkungstrichter des Grundwassers. Befürchtet wird, dass sich der Boden um bis zu 72 Zentimeter absenkt und Gebäude beschädigt werden. Dem Grenzfluss Neiße droht zudem eine Verunreinigung durch Schwermetalle und saure Grubenwässer.
In Betrieb ist die Grube des mehrheitlich staatseigenen Konzerns PEG seit vielen Jahren. Auf die Barrikaden gehen die Nachbarn, weil die Betriebserlaubnis bis 2044 verlängert wurde. Juristisch zur Wehr setzt sich Tschechien konkret gegen eine erste Genehmigung zum Weiterbetrieb bis ins Jahr 2026. Dagegen legte zunächst die Region Liberec Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein. Die gab dem statt, womit der Weg für eine Klage der Tschechischen Republik frei war. Nach Angaben des Portals »Energie Zukunft« wird damit zum allerersten Mal ein EU-Mitgliedsstaat von einem anderen wegen Umweltproblemen verklagt. In der Klageschrift rügt Tschechien, dass die Verlängerung der Betriebsgenehmigung um zunächst sechs Jahre ohne Prüfung der Umweltverträglichkeit erfolgte, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen blieb, die Entscheidung für sofort vollziehbar erklärt und dem Nachbarland auch nicht mitgeteilt wurde. Polen habe damit gegen den »Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit« verstoßen.
Von deutscher Seite werden seit längerem ähnliche Beschwerden geäußert. Einwände seiner Stadt sowie von Berg- und Umweltbehörden seien auf der polnischen Seite nicht oder nicht gebührend berücksichtigt worden, sagte Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker. Die Stadt sowie der grüne Landtagsabgeordnete Daniel Gerber legten Beschwerde gegen die Verlängerung des Tagebaubetriebs ein. Wann darüber entschieden wird, ist unklar. Als wirksameres Mittel gilt ohnehin ein Beitritt der Bundesrepublik als »Streithelfer« zur Klage Tschechiens.
Derzeit wird vor allem Sachsens Landesregierung gedrängt, in Berlin entsprechend Druck zu entfalten. Sie solle »unverzüglich gegenüber der Bundesregierung und im Bundesrat mit dem nötigen Nachdruck« darauf hinwirken, dass sie die Klage »aktiv unterstützt«, heißt es in einem Antrag der Linksfraktion, der an diesem Donnerstag im Umweltausschuss des sächsischen Landtags behandelt wurde. Umweltverbände hatten das bereits im März in einem offenen Brief an CDU-Regierungschef Michael Kretschmer gefordert. Die Bürger im Dreiländereck hätten »ein Recht darauf, dass negative Auswirkungen des Tagebaus auf Gesundheit und Wohnraum umfassend geprüft und eingegrenzt werden«, erklärten der BUND, Greenpeace, Client Earth und Grüne Liga.
Die Bundesregierung äußerte sich bisher nur unverbindlich. Sie »beobachtet« das Verfahren, sagte Claudia Dörr-Voß, Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft, im März auf Anfrage des Grünenabgeordneten Wolfgang Wetzel. Sobald die EU die Klageschrift veröffentlicht habe, »wird die Bundesregierung prüfen, ob eine Beteiligung als Streithelferin in diesem Verfahren in Betracht kommt«. Der sächsische Grüne Gerber fordert, dass sie nun »zu ihrem Wort steht«. Auch die Linksabgeordnete Antonia Mertsching sagt, Deutschland müsse sich »schnell entscheiden«. Dabei müsse es nicht einmal um ein Urteil des EuGH gehen. Ein Klagebeitritt, glaubt sie, erhöhe auch »den Druck auf Polen, sich außergerichtlich zu einigen«.
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