Werbung

»Spanische Polizei forderte lebenslänglich für Solidarität«

Menschenrechtsaktivistin Helena Maleno beschuldigt die Regierung in Madrid, hinter ihrer Deportation aus Marokko zu stecken

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor Kurzem haben Sie angeklagt, aus Marokko »gewaltsam« nach Spanien »deportiert« worden zu sein. Was ist passiert?

Ich bin nach einem Arbeitsaufenthalt in Spanien nach Marokko zurückgeflogen, wo ich seit 20 Jahren lebe und meine Kinder geboren wurden. Als ich aus Madrid in Tanger ankam, wurde ich von Leuten ohne Gesichtsmasken umringt, mir wurde der Pass abgenommen, Medikamente und Wasser verweigert und dann wurde ich ins nächste Flugzeug nach Barcelona gedrängt. Mir war sehr schwindelig. Das passiert, wenn ich meine Medikamente nicht bekomme. Ich durfte nicht sprechen, nicht aufstehen. Meinen Pass und meine Gegenstände bekam ich erst in Barcelona von der spanischen Polizei zurück.

Helena Maleno
ist vielfach preisgekrönte Journalistin. Bekannt wurde sie als Gründerin der Nichtregierungsorganisation Caminando Fronteras/Walking Border, die sich zu einer Art Notrufzentrale für Migranten in Seenot entwickelt hat. Mit ihr sprach Ralf Streck.

Also waren spanische Behörden eingebunden?

Natürlich. Das Außenministerium will nichts gewusst haben, denn das lief über das Innenministerium.

Wurde Ihnen keine Erklärung gegeben oder ein Gerichtsbeschluss vorgelegt?

Nein. Mir wurden ohne jede Erklärung alle Rechte entzogen.

Warum haben Sie das erst nach fast zwei Monaten öffentlich gemacht?

Meine 14-jährige Tochter war noch in Marokko. Ich war in Panik, denn auch sie wurde von der Polizei beschattet. Es gelang uns erst nach 32 Tagen, sie über spanische Stellen herauszuholen. Drei Mal wurde bei uns eingebrochen, aber nie etwas gestohlen. Es verschwand aber ein Papier, auf dem Aktivitäten meiner Tochter aufgeführt waren. Das war eine Drohung, um uns zu terrorisieren. Internationale Organisationen, wie die Weltorganisation gegen Folter bis zur UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte, hatten sich sehr besorgt gezeigt. Wir haben schließlich beschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen, denn Europa muss wissen, dass Menschenrechtsverteidiger verfolgt werden, ihr Leben in Gefahr ist.

Wie erklären Sie sich diese Vorgänge? Ermittlungen gegen Sie, angeblich an Menschenhandel beteiligt zu sein, wurden vor zwei Jahren auch in Marokko eingestellt.

Die Verfolgung hörte aber nie auf. Die Anschuldigungen beruhten auf falschen Angaben der spanischen Polizei und der Europäischen Grenzagentur Frontex. Sie haben falsche Berichte über mich und andere angefertigt. Die spanische Polizei forderte von Marokko sogar, mich zu lebenslänglich zu verurteilen. Lebenslänglich für Solidarität und den Einsatz für Menschenrechte, da wir die Seenotrettung informieren, wenn sich ein Boot mit Menschen auf dem Meer befindet und wir davon erfahren. Sogar in den Berichten steht, dass ich kein Geld bekomme. Ich soll also eine Schleuserin ohne Geldabsicht sein. Das ist total verrückt!

Steht hinter dem Vorgehen das spanische Innenministerium?

Ja. Alles begann in der Regierungszeit der Volkspartei unter Innenminister Jorge Fernández Díaz von der rechten Volkspartei PP, aber der heutige sozialdemokratische Innenminister Fernando Grande-Marlaska hat die Verfolgung nicht gestoppt. Die Polizisten, die mich verfolgen, sind weiter im Amt. Verfolgt werden Sänger, Politiker, Menschenrechtsaktivisten. Obwohl ein spanischer Staatsanwalt der Polizei einst erklärt hatte, dass mein Wirken kein Delikt ist, verfolgen sie mich weiter. Da ich Marokko lebte, wurde dazu die Polizeikooperation genutzt. Die Polizeiberichte sind reiner Dreck. Das Erste, was ein marokkanischer Richter zu Gesicht bekam, war eine Liste mit meinen angeblichen Sexualkontakten. Ich werde als eine Art Hure und Lesbe dargestellt. Ich war stets gewarnt worden, dass andere Wege eingeschlagen würden, wenn eine Inhaftierung nicht gelingt. 2020 habe ich 37 Vorfälle registriert: Einbrüche in meine Wohnung, polizeiliche Schikanen an Grenzen, wo ich wie eine Terroristin behandelt werde, Überwachung, Angriffe, Morddrohungen.

Warum haben Sie sich nun in einem Brief direkt an den sozialdemokratischen Regierungschef Pedro Sánchez gewandt?

Wir hatten geglaubt, dass mit dem Regierungswechsel die Verfolgungen von mir und anderen aufhören würden. Wir haben uns mit Menschenrechtsorganisationen an Sánchez gewandt, um Schutz für mich und meine Familie zu fordern. Den Brief haben schon 700 Organisationen und mehr als 11.000 Menschen unterschrieben. Wir fordern von ihm, dass er auf den Tisch haut und den Innenminister anweist, die Verfolgung einzustellen.

Sie fürchten weiter um ihr Leben?

Ja. Wir bekommen weiter Drohungen. Ich habe eine Anzeige im Umfang von 34 Seiten mit Bedrohungen eingereicht, doch niemand hat ermittelt. Der Rassismus nimmt zu, die extreme Rechte wird stärker und greift auch Menschen gezielt an.

Wie erleben Sie ihre Situation?

Ich lebe in einer Art Exil – ohne all meine Habseligkeiten. Das ist oft das Ziel eines solchen Vorgehens. So soll das Leben von Menschen zerstört werden. Aber die Welle der Solidarität ist überwältigend. Wir lassen uns nicht einschüchtern und werden weiter machen. Die Richtung, die Europa bei der Verfolgung von Menschen eingeschlagen hat, die sich für Menschenrechte einsetzen, wird immer totalitärer. Auch weil linke Regierungen in bestimmten Bereichen wie rechtsextreme vorgehen, zum Beispiel an den Außengrenzen. Deshalb müssen wir uns gegenseitig unterstützen und gemeinsam dagegen vorgehen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!