»Sexualität ist ein Grundbedürfnis«

Der Erotikmarkt ist auf Männer fokussiert. Nina Julie Lepique fand das seltsam - und dachte sich etwas aus. Jetzt macht sie Audio-Pornos für Frauen

  • Negin Behkam
  • Lesedauer: 7 Min.

Sie sind erst 27 Jahre alt und haben schon vor drei Jahren Ihr eigenes Unternehmen im Erotikmarkt gegründet. Was hat Sie dazu bewogen?

Ich habe einen ganz klassischen BWL-Hintergrund. Während meines Studiums habe ich bei Xing gearbeitet (ein Unternehmen, das ein berufliches soziales Netzwerk anbietet, Anm. d. Red.), bin durch verschiedene Abteilungen rotiert und habe ein Projekt gemacht, bei dem ich in verschiedene Märkte geschaut habe, unter anderem in den Erotikmarkt. Da habe ich festgestellt, dieser Markt ist unglaublich männlich fokussiert, also von Konsumenten-, aber auch von Produzentenseite: Es gibt keine coole Marke - und es gibt kein Produkt speziell für Frauen.

Interview

Nina Julie Lepique entdeckte noch während sie BWL studierte im Erotikmarkt eine gewaltige Lücke: Frauen finden in dieser männlich dominierten Domäne kaum Produkte, von denen sie sich angesprochen fühlen. Mit ihrem Partner Michael Holzner gründete sie daher das Start-up femtasy. Zusammen bieten sie Frauen erotische Hörspiele an. Mit erst 27 Jahren hat sie nun 33 Beschäftigte. Im Interview spricht sie über den Vorteil von Audio gegenüber Video, über das Sexspielzeug ihrer Großmutter und darüber, was es für sie bedeutet, Feministin zu sein.

Dann haben Sie einfach gesagt, ich baue eine erotische Plattform für Frauen auf?

Genau! Ich hatte auch einmal ein Gespräch mit Freundinnen, das mich sehr bewegt hat. Wir saßen an einem Abend zusammen und haben über alles Mögliche gesprochen, auch über Sex und Selbstbefriedigung. In dieser Gruppe von jungen Frauen kannte eigentlich keine eine erotische Plattform, auf der sie sich richtig wohlfühlt. Das war für mich der Punkt, wo ich gedacht habe: Das kann doch irgendwie nicht sein. Sexualität ist ein Grundbedürfnis und bedeutsam für die Lebensqualität vieler Menschen. Es ist wichtig für die mentale Entspannung. Wie kann das sein, dass es da kein geeignetes Produkt gibt?

Und Sie haben Hörspiele als das richtige Produkt für Frauen entdeckt?

An diesem Abend hat mir eine Freundin erzählt, dass sie zwar visuelle Pornografie nutzt, sie sich diese aber nur anhört. Das war für mich der Aha-Moment.

Ihre Geschäftsidee basiert darauf, dass Frauen lieber hören als sehen. Wie kommen Sie darauf? Dass Sie daran glauben, hat bestimmt noch andere Gründe.

Das war für mich damals eine Hypothese. Das habe ich von verschiedenen Freundinnen gehört. Dann habe ich recherchiert und gelesen, dass es tatsächlich Sexualforscher gibt, die das schon belegt haben, zum Beispiel der Sexualtherapeut Ulrich Clement. Er sagt, Männer sind im Allgemeinen viel stärker visuell orientiert, und Frauen sind viel stärker in ihrer eigenen Fantasie. Sie können sich Dinge besser vorstellen.

Wir haben aber auch Frauen befragt: Was nutzt du in deiner Sexualität? Worauf achtest du bei deinem Partner oder deiner Partnerin? Nutzt du Pornografie oder nutzt du eher deine Fantasie? Da kommt ebenfalls raus, dass Frauen stark mit der Fantasie arbeiten. Ich habe noch keine klare Begründung, warum das so ist. Ich habe nur Hypothesen. Eine meiner Hypothesen ist, dass wir in einer Welt leben, in der Frauen sehr stark über ihre Äußeres beurteilt werden. Gleichzeitig tendieren Frauen dazu, sich stark zu vergleichen - eben gerade deshalb. Und wenn du dir einen Film anschaust, dann vergleichen Frauen ihre Körper im Schnitt häufiger mit den Körpern im Film. Oder sie achten sehr auf Details.

Wie meinen Sie das?

Stellen wir uns vor, hier spielt sich irgendwas ab, und dahinten sehe ich - als Frau - ein Sofa und denke, das hat aber eine komische Farbe. Das lenkt vom eigentlichen Geschehen ab. Wenn wir Audio-Geschichten machen, ist das nichts anderes, als den Plot zu bringen. Die Charaktere, den Ort, das Äußere der Personen, das alles bringen die Nutzerinnen selber mit.

Wenn Sie Ihr eigenes Unternehmen nicht gegründet hätten, was würden Sie dann sonst machen?

Ich glaube, wenn aus femtasy nichts geworden wäre, hätte ich daraus ein Buch gemacht. Ich habe festgestellt, es gibt ganz wenige Daten über die weibliche Sexualität. Das ist ein großes Problem. Wir befinden uns in einer Welt, die sehr seltsam ist. Sie sexualisiert einerseits die Frau, und andererseits tabuisiert sie die weibliche Sexualität völlig. Darüber hinaus sind Missverständnisse über die weibliche Sexualität sehr verbreitet. Dass Frauen immer lange Geschichten lesen oder hören wollen, während sie sich selbst befriedigen, oder dass Masturbation eine Ersatzbefriedigung ist, stimmt ja gar nicht. Masturbation beispielsweise hat gar nichts damit zu tun, ob du in einer Beziehung bist oder nicht.

Verstehen Sie sich als eine Feministin?

Ja, heute würde ich das so sagen.

Wieso betonen Sie das »heute« so?

Ich fand es schon immer irgendwie cool, weibliche Vorbilder zu haben. Oder wenn ich gesehen habe, dass eine Frau in ihrer Karriere weit nach oben kommen kann. Ich war aber zu dem Zeitpunkt, als ich mein Start-up gestartet habe, superjung. Ich hatte noch gar nicht verstanden, dass wir Frauen oft an die gläserne Decke stoßen. Das merkst du ja gar nicht, wenn du superjung bist. Das kommt erst später, wenn du dann versuchst weiterzukommen oder aufzusteigen. Vielleicht fragst du dich irgendwann: Wie passen eigentlich Karriere und Familienplanung zusammen? Deswegen sage ich: Früher fand ich das spannend - heute würde ich aber ganz klar sagen: Ja, ich bin auf jeden Fall eine Feministin und auch stolz darauf.

Sind Ihre Audios deshalb abwechslungsreicher geworden, weil Sie jetzt als Feministin ein anderes Bild von Frauen haben und die Diversität bei Frauen stärker anerkennen? Vor zwei Jahren waren die Hörgeschichten eher sanft. Jetzt gibt es auf Ihrer Plattform sogar BDSM-Geschichten zu hören.

Ich wusste schon immer, dass Sexualität etwas sehr Persönliches ist und damit auch etwas sehr Diverses. Es gibt so viele Sexualitäten, wie es Menschen auf der Welt gibt. Die Fantasien einer Person ändern sich auch ständig. Daher folgen wir immer den Nutzerinnen. Wir gucken, was wird gerne gehört, was kommt gut an. Und so entwickeln sich unsere Hörspiele.

Wie waren am Anfang die Reaktionen von Familie und Freunden, als Sie sich entschieden hatten, dieses Start-up zu gründen?

Ehrlicherweise waren die gut. Mein Vater ist selbst seit Langem Unternehmer. Klar hat er nicht gedacht: Hey, mega, dass jetzt meine Tochter erotische Aufnahmen macht. Er hat aber sehr schnell verstanden und in meiner Idee einen Engel gefunden. Er hat so selbst seinen Zugang dazu gefunden. Meine Oma wusste auch relativ schnell davon und erzählte mir von ihren Erinnerungen, als sie zum ersten Mal Sextoys in Sexkatalogen gesehen hatte. Mein Freundeskreis hat sich ebenfalls sehr sportiv gezeigt.

Ihre Geschichte hört sich bis jetzt wie eine richtige Erfolgsgeschichte an. Gerade sind aber viele Start-ups von der Coronakrise stark betroffen. Leidet Ihr Unternehmen gar nicht unter den Corona-Folgen?

Im Gegenteil! Anders als viele andere Unternehmen, die sich verkleinern oder sogar das Geschäft aufgeben mussten, hatten wir Glück. Wir haben ein krisenresistentes Produkt und konnten das Team in diesem Jahr stark ausbauen. Vor einem Jahr waren wir 15 Leute - und jetzt sind wir 33. Wir haben weiterhin sehr viel Content produziert und sogar das erste Mal internationalen Content. Das war ein wirklich bewegtes Jahr für uns.

Genau! Sie produzieren jetzt auch Audios auf Englisch. Haben Sie vor, eine dritte Sprache anzubieten?

Ja, wir wollen auch auf Französisch produzieren.

Wenn Ihr Unternehmen in diesem Jahr stark gewachsen ist, heißt das, dass Menschen im Homeoffice oder aus Langweile in der Coronazeit häufiger masturbieren?

Wir haben schon eine Sache gesehen, die ich ganz spannend finde. Normalerweise ist bei uns quasi die Happy Hour - also die Zeiten, in denen femtasy am meistens genutzt wird - sonntags und abends nach 20 Uhr und bis 1 Uhr morgens.

Also am Feierabend.

Genau. Im März haben wir einen zweiten Peak gesehen. Der war zwischen 12.30 und 14 Uhr, nämlich in der Mittagspause. Das heißt, viele unserer Nutzerinnen haben tatsächlich genug vom Homeoffice und verbringen ihre Mittagspause mit uns. Die Nutzung in dieser Zeitspanne hat um knapp 100 Prozent zugenommen.

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