»Oppositionell« und »links«

Die Berichterstattung vieler deutscher Medien über die türkische Linkspartei HDP findet Ismail Küpeli problematisch

  • Ismail Küpeli
  • Lesedauer: 4 Min.

Trotz jahrelanger Beschäftigung mit den Entwicklungen in der Türkei scheinen bestimmte basale Erkenntnisse in den deutschen Redaktionen immer wieder verloren zu gehen. So wird über den Krieg in den kurdischen Gebieten der Türkei so berichtet, als handele es sich um eine »saubere« Antiterroroperation - und nicht um einen brutalen Krieg, der von der türkischen Armee ohne Rücksicht auf zivile Opfer geführt wird. Auch die Offensiven und Angriffskriege gegen Kurd*innen in Nordsyrien und Nordirak werden so dargestellt, als handele es sich um legitime Militärschläge gegen PKK-Ziele im Sinne einer Landesverteidigung.

So ist es wenig überraschend, dass die Berichterstattung der deutschen Medien zum drohenden Parteiverbot der linken Oppositionspartei HDP und der jetzige Prozess gegen 108 führende HDP-Politiker*innen von Merkwürdigkeiten begleitet wird. Bereits die Benennung der HDP als »pro-kurdisch« oder »kurdisch« macht eine falsche Tendenz deutlich. Das Parteiprogramm, die Äußerungen der Partei und noch wichtiger die politische Praxis machen deutlich, dass eine solche ethnische oder nationale Zuschreibung nicht adäquat ist. Die Gründung der HDP im Jahr 2012 geht auf ein Bündnis von linken kurdischen Bewegungen mit denjenigen türkischen linken Kräften zurück, die bereit waren, den Staatsnationalismus in der Türkei zu hinterfragen und die Realität einer multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft zu akzeptieren.

Die HDP versteht sich als eine linke Partei für alle marginalisierten Bevölkerungsgruppen in der gesamten Türkei. Dies führt bisweilen zur Kritik von nationalistischen Kurd*innen, die der HDP vorwerfen, nicht ausschließlich als eine Interessenvertretung der Kurd*innen aufzutreten. Aber die Partei hat ein pluralistisches Politikverständnis, in dem die Rechte und Interessen verschiedener Gruppen einen legitimen Platz haben und keine Gruppe dominieren soll. So kämpft die HDP als eine linke Partei sowohl für die Rechte von LGBTIQ als auch für die Anerkennung des Genozids an den Armenier*innen 1915 - wohl wissend, dass beide Themen in Teilen der türkischen Gesellschaft eher zur Ablehnung gegenüber der HDP führen.

Durch die Reduzierung der HDP auf »pro-kurdisch« werden nicht nur die feministischen und LGBTIQ-Bewegungen innerhalb der Partei unsichtbar gemacht, sondern auch Mitglieder und Aktivist*innen aus den zahlreichen kleineren ethnischen und religiösen Minderheiten. So sind zahlreiche Menschen aus der schrumpfenden ezidischen Minderheit in der Türkei in der HDP organisiert, während sie sonst in der Gesellschaft vielfach ausgrenzt und diskriminiert werden.

Dieses Nicht-Verstehen führte dazu, dass die deutschen Medien Mitte März 2021 einen politischen Skandal der Bundesregierung weitgehend verpassten. Das Auswärtige Amt formulierte zum drohenden HDP-Verbot neben den üblichen Floskeln über große Sorgen, die man sich mache und die leise Aufforderung an die türkische Regierung, sich an demokratische und rechtsstaatliche Standards zu halten, die Forderung an die HDP, dass die Partei sich von der PKK distanzieren müsse. Das ist nicht nur deswegen skandalös, weil sich die Bundesregierung damit gänzlich der Position der autokratischen türkischen Regierung anschließt. Darüber hinaus legitimiert die türkische Regierung ihre massive Repression gegen die HDP genau mit dieser vermeintlich fehlenden Distanz zwischen HDP und PKK. Die Argumentation ist so einfach wie absurd: Die PKK sei terroristisch, die PKK und die HDP wären ein zusammenhängendes Gebilde und dadurch sei die HDP selbst eine terroristische Organisation. Die Inhaftierung von insgesamt 3695 HDP-Mitgliedern wird in fast allen Fällen mit »Terrorismus« oder »Terrorunterstützung« legitimiert, wobei häufig die einzigen »Beweise« die Parteimitgliedschaft und Äußerungen im Sinne der HDP sind.

Doch der Sturm der Entrüstung im deutschen Blätterwald über die Stellungnahme des Auswärtigen Amts blieb aus. Die Mehrheit der deutschen Medien berichten über die HDP und die staatliche Repression so, dass es einer bewussten oder unbewussten Unterstützung der türkischen Regierung gleichkommt. Es ist nur unklar, ob dies auf fehlende Erkenntnisse oder auf eine falsche politische Positionierung gegen die linke Opposition in der Türkei zurückgeht.

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