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Ostrentnerinnen weiter benachteiligt
Noch immer gibt es keinen Ausgleich für Diskriminierungen, die aus dem DDR-Beitritt resultieren
Vor vier Jahren hatte sich die SPD als Kümmererpartei Ost neu entdeckt. Halb aus Überzeugung, halb aufgeschreckt von Pegida und AfD nahm sie sich relevanter ostdeutscher Bevölkerungsgruppen an, die durch Versäumnisse im Rentenüberleitungsgesetz von 1991 Verluste hinnehmen mussten. Vom »Gerechtigkeitsfonds«, den die ostdeutschen SPD-Verbände mit Mühe im damaligen Bundestagswahlprogramm unterbrachten, blieb im Koalitionsvertrag mit CDU und CSU allerdings nur ein Satz zu einem geplanten Härtefallfonds. Ein Vierteljahr vor Ablauf der Legislaturperiode aber sind noch nicht einmal dessen Konditionen beschlossen.
»Die nicht erfolgte Übernahme bestimmter Sondertatbestände des DDR-Rentenrechts in das gesamtdeutsche Rentenrecht wird von bestimmten Berufs- und Personengruppen als nicht hinreichende Anerkennung ihrer Lebensleistung und dauerhafte Benachteiligung wahrgenommen.« So beginnt ein Eckpunktepapier aus dem Bundesarbeits- und Sozialministerium zum Härtefallfonds, über das die Bundesländer beraten sollten. 1991 lag die Zahl der von Benachteiligungen Betroffenen bei geschätzt 1,3 Millionen, inzwischen dürften es deutlich weniger als 700 000 sein.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Die größte der im Papier identifizierten 17 Personengruppen stellen die nach DDR-Recht geschiedenen Frauen. Aktuell leben noch etwa 300 000 von ihnen, schätzt der Verein der in der DDR geschiedenen Frauen, der bereits seit mehr als 20 Jahren für eine Gleichbehandlung mit westdeutschen Frauen kämpft. Bei ihnen geht es nicht um Einzahlungen in DDR-Sonderversorgungssysteme. Ihnen entgeht der in Westdeutschland übliche Versorgungsausgleich, weil nach einem Verfassungsgerichtsurteil ihre geschiedenen Männer nicht nachträglich zu diesen Zahlungen herangezogen werden dürfen.
Bei mehreren Treffen vor allem mit SPD-Mandatsträgern wie der Bundestagsabgeordneten Daniela Kolbe schilderten Betroffene im Jahr 2017 in bewegenden Worten ihre Schicksale. Zwar waren in der DDR die meisten Frauen berufstätig. Es gab aber auch Fälle traditioneller Kindererziehungszeiten oder der Mitarbeit im Gewerbetrieb des Mannes, die nach einer Trennung zu drastischen Renteneinbußen führten.
Eisenbahner, Bergleute, Ingenieure, Postmitarbeiter, Krankenschwestern, Spitzensportler, Professoren und Balletttänzerinnen fordern hingegen Leistungen aus ihren Zusatz-Altersversorgungen ein. Einige hatten wie die geschiedenen Frauen geklagt und waren letztinstanzlich vom Europäischen Gerichtshof abgewiesen worden.
Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist sich bislang nur darin einig, außerhalb des Rentenrechts einen Entschädigungsfonds mit fünf Jahren Laufzeit einzurichten. Er soll auch »Härten und enttäuschte Erwartungen in der Alterssicherung von Spätaussiedlern und jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion« berücksichtigen, wie es in einem Eckpunktepapier heißt. Statt eines rückwirkenden Ausgleichs für errechnete Verluste soll es nur eine einmalige symbolische Zahlung an die noch lebenden Betroffenen geben. Mit dieser Vorgehensweise hatte sich der Verein der in der DDR geschiedenen Frauen 2018 grundsätzlich einverstanden erklärt.
Marion Böker, Beraterin des Vereins, erinnerte daran, dass allein für die Frauen anfangs eine Ausgleichssumme von 53 Milliarden D-Mark errechnet worden sei. Der SPD schwebte 2017 ein nur mit ein bis zwei Milliarden Euro ausgestatteter Fonds vor.
Die jetzt debattierte Größenordnung gehört zu den am besten gehüteten Geheimnissen.
Geht es um Summen, stehen im Eckpunktepapier nur drei Kreuze. Die Geldfrage dürfte die Hauptursache für den schleppenden Fortgang der Verhandlungen sein, nachdem sich die Bund-Länder-Arbeitsgruppe schon im Juli 2020 auf Staatssekretärsebene abgestimmt hatte. Jedenfalls habe die Verzögerung nichts mit der Corona-Pandemie zu tun, bestreitet Beraterin Böker eine Erklärung des sächsischen Sozialministeriums. Ministerin Petra Köpping (SPD) hatte sich 2017 sehr für die Betroffenen eingesetzt.
Der Fonds soll nun zur Hälfte vom Bund und zur anderen von den 16 Bundesländern zusammen finanziert werden. Ursprünglich war vorgesehen, dass die Mittel zur Hälfte von den sechs ostdeutschen Ländern allein kommen sollten. Bundesfinanzministerium und Kabinett hatten sich so verständigt. Zwischen Bund und Ländern laufen derzeit Abstimmungen, »insbesondere über die wesentliche Frage einer Finanzierung«, teilte eine Sprecherin des Bundesarbeits- und Sozialministeriums auf nd-Anfrage mit.
Begrüßt wird von den potenziellen Antragstellern, dass es nach drei Jahrzehnten wenigstens eine symbolische Anerkennung geben soll. Auch Expertin Böker erkennt an, dass es »einen Ruck im Verständnis« gegeben habe. Doch die Betroffenengruppen laufen gegen die geplanten Konditionen Sturm. Der Verein der in der DDR geschiedenen Frauen verlangt eine Rücknahme der im Eckpunktepapier formulierten Anspruchskriterien, die 70 Prozent der Betroffenen von einer Entschädigung ausschließen würden, also 210 000 Frauen. So sollen nur Personen, deren Rente »in der Nähe der Grundsicherung« liegt, einen Antrag stellen dürfen. Zudem würden laut dem Papier nur Frauen bis zum Geburtsjahrgang 1951 berücksichtigt – also jene, die am 1. Januar 1992 bereits das 40. Lebensjahr vollendet hatten. Darüber hinaus müssen sie zu DDR-Zeiten zehn Jahre lang »ununterbrochen« verheiratet gewesen sein und mindestens ein Kind erzogen haben.
Böker erinnert daran, dass in der DDR viele Frauen früh geheiratet haben, dass also viele, die 1991 erst Mitte 30 waren, ebenfalls bereits zehn Jahre verheiratet waren. Zudem dürfe Kinderlosigkeit kein Ausschlusskriterium sein. Böker forderte Bund und Länder zur Rücknahme der Kriterien auf. Die Hälfte der Betroffenen lebt derzeit von »Armutsrenten« von 800 Euro monatlich oder weniger, obwohl sie 40 Jahre und mehr berufstätig gewesen seien.
Die überwiegend hochbetagten Anspruchsberechtigten kritisieren auch die vorgesehenen Fristen. So sollen erst Ende 2022 erste Anträge gestellt werden dürfen. Einen makabren Trost bietet das Eckpunktepapier jenen, die vor der Auszahlung sterben: Sie sollen die Einmalzahlung zumindest vererben dürfen. Bis Ende April sollten sich die Länder zu dem Papier positionieren. Es soll noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden.
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