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Kampf gegen Mitbestimmung
Die Buchhandelskette Thalia will ihren Betriebsratsvorsitzenden loswerden. Der wehrt sich vor Gericht
Rund 50 Personen protestierten am Montagmorgen vor dem Berliner Arbeitsgericht, während drinnen die Kündigungsschutzklage des langjährigen Betriebsratsvorsitzenden der Buchhandelskette Thalia, Thomas Sielemann, verhandelt wurde. Das Unternehmen hatte ihn nach Umstrukturierungen betriebsbedingt gekündigt. Per Live-Schaltung zum Thalia-Hauptsitz in Hagen wurde vor dem Gerichtsgebäude übertragen, wie Kolleg*innen über 3600 Unterschriften gegen die Kündigung überreichten. Das alles konnte jedoch nichts daran ändern, dass der Gütetermin ohne Einigung endete. »Der Arbeitgeber hat heute nichts zu einer gütlichen Einigung angeboten. Darum ist die Hauptverhandlung für den 18. August terminiert«, sagte Sielemann zu »nd«.
Die Auseinandersetzung um die Buchhandelskette Thalia ist ein Fall von Tarifflucht und Union Busting. Letzteres bezeichnet die systematische Bekämpfung, Unterdrückung und Sabotage von Arbeitnehmer*innenvertretungen. »Thalia hat in infamer Weise Corona genutzt, um die Mitbestimmung auszuhebeln«, sagt Verdi-Landesvize Susanne Feldkötter. Thalia hatte Anfang des Jahres überraschend mitgeteilt, zwölf der 13 Berliner Filialen zusammen mit Filialen etwa aus Hamburg und Nordrhein-Westfalen in die neue »Thalia Nord GmbH« zu überführen. Die dreizehnte Filiale in Spandau wurde eine eigene Tochter. Zudem kündigte Thalia die Tarifverträge.
Das Ergebnis: Tarifbindung weg, Betriebsrat verkleinert, Gewerkschaft geschwächt. Und weil die Maßnahmen bereits umgesetzt waren, hatte der Betriebsrat vor Gericht keine Chance. Das rügte zwar die Nicht-Information des Gremiums als Gesetzesverstoß, kann die Ausgründungen an sich aber nicht rückgängig machen.
In der Schärfe mag das Vorgehen von Thalia eine Ausnahme sein, die Praxis an sich ist es nicht. Immer mehr Arbeitgeberverbände bieten sogenannte OT-Mitgliedschaften an, also Mitgliedschaften ohne Tarifbindung. Die Zahl lag im Verdi-Organisationsbereich laut Hans-Böckler-Stifung Ende 2016 bei 73 Prozent. Gleichzeitig sinkt die Zahl der tarifgebunden Unternehmen stetig.
Die Folgen der Thalia-Aktion sind weitreichend. Die Berliner Belegschaften gelten als kämpferisch und hatten sich in den vergangenen Jahren immer wieder an Warnstreiks beteiligt. Doch in der im Juli beginnenden Einzelhandelstarifrunde fällt diese Unterstützung flach. Thomas Sielemann ist seit 15 Jahren Mitglied und derzeit Vorsitzender der regionalen Tarifkommission für den Einzelhandel. Scheitert seine Kündigungsschutzklage, droht Verdi zum 30. September ihren erfahrenen Verhandlungsführer zu verlieren.
Nicht zuletzt haben die Unternehmen mit jedem weiteren OT-Mitglied ein stärkeres Druckmittel in Tarifverhandlungen: Die Gewerkschaft möge sich maßvoll verhalten, damit nicht noch mehr Unternehmen aus der Tarifbindung gehen, heißt es dann.
Gefragt, ob man denn nicht die neuen Thalia-GmbH-Unternehmen zu Tarifverhandlungen auffordern könne, sagte die Leiterin des Verdi-Landesfachbereichs Handel, Conny Weißbach: »Das habe ich für Berlin und Brandenburg selbstverständlich getan.« Aber: »Die Handelstarifverträge gelten regional, in der Regel für jeweils ein Bundesland.« Das heißt: Verdi muss in allen Bundesländern, in denen es Thalia-Filialen gibt, gesondert zu Tarifverhandlungen auffordern. Das erschwert die Sache zusätzlich. »In einigen Filialen sind die Kolleg*innen vielleicht ängstlicher oder nicht streikerfahren. Da kann der Arbeitgeber einfach mit dem Betriebsrat eine kleine Lohnerhöhung für alle beschließen und sagen: ›Dann braucht es doch keine Gewerkschaft‹«, so Sielemann.
In einem Brief an ihre Geschäftsführungen forderten Betriebsräte aus Berlin, Hamburg, Dortmund und Mannheim sowie einzelne Jugendauszubildendenvertretungen und Schwerbehindertenvertretungen, in die Tarifbindung zurückzukehren »oder andere Wege zu finden, um mit der Gewerkschaft Verdi in Verhandlung zu treten«. Sie verweisen auf das Betriebsverfassungsgesetz, nach dem Betriebsräte keine Vereinbarungen treffen dürfen, deren Inhalt in einem Tarifvertrag geregelt sind.
Auf offene Ohren stießen sie damit nicht. »Wir sind ein Familienunternehmen und verfolgen langfristige Ziele«, heißt es in der Antwort, die »nd« vorliegt. Und weiter: »Um soziale Verantwortung und wirtschaftliche Anforderungen an das Unternehmen in Einklang zu bringen, brauchen wir jedoch einen Handlungsspielraum, der nach unseren Erfahrungen in starren Tarifverträgen nicht mehr adäquat abgebildet wird.«
Dabei gibt es speziell für den Einzelhandel seit 2006 einen Tarifvertrag, den Unternehmen nutzen können, wenn sie kurzfristig klamm sind. Beispielsweise könnten Weihnachts- und Urlaubsgeld damit temporär ausgesetzt werden, sagt Gewerkschafterin Conny Weißbach und betont den Verhandlungswillen von Verdi. Von starren Tarifverträgen könne nicht die Rede sein.
Thalia will sich auf nd-Anfrage nicht zum Kündigungsschutzverfahren äußern und verweist auf eine Pressemitteilung von Januar. Damals hieß es, dass man mehr Flexibilität brauche, »um auf marktseitige Veränderungen, wie zum Beispiel Corona oder die Digitalisierung, besser antworten zu können«.
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