• Politik
  • Rekommunalisierung des Universitätsklinikums in Gießen und Marburg

Das Rad zurückdrehen

Die Kritik an der Privatisierung des Universitätsklinikums in Gießen und Marburg ebbt nicht ab. Jetzt gibt es ein Gutachten zur Frage, wie ein Rückkauf gelingen könnte

Mittlerweile liegt die Privatisierung des Universitätsklinikums in Gießen und Marburg (UKGM) 15 Jahre zurück, umstritten ist sie aber noch immer. »Es ist und bleibt ein schwerer Fehler zulasten der Beschäftigten, der Patientinnen und Patienten sowie von Forschung und Lehre, der rückgängig gemacht werden muss«, sagte Jan Schalauske, Abgeordneter der Linksfraktion im hessischen Landtag, bei der Vorstellung eines Gutachtens, das die Möglichkeit eines Rückkaufs aufzeigt. Ausgearbeitet hat es der Rechtsprofessor Joachim Wieland von der Universität Speyer. »Das stattgefundene unsägliche Verkaufs- und Übernahmegezerre zwischen privaten Klinikkonzernen hat längst gezeigt, dass das UKGM auch zu einem Spielball auf dem Finanzmarkt geworden ist«, so Schalauske.

Eigentlich ist das Rückkaufrecht für das Land laut einer sogenannten Chance-of-Control-Klausel bereits 2019 abgelaufen. Solange gab es noch die Möglichkeit, die Privatisierung rückgängig zu machen für den Fall, dass die Rhön-Klinikum AG als übernehmende Gesellschaft selbst verkauft wird. Das geschah jedoch erst nach dem Ablauf der Klausel: Im vergangenen Juli übernahm die Hamburger Asklepios-Gesellschaft den Großteil der freien Aktien der Rhön AG. Seitdem gibt es beim UKGM die Sorge, dass es an den Standorten in Gießen und Marburg zum Arbeitsplatzabbau im kommenden Jahr kommen könnte; dann nämlich endet eine Vereinbarung zwischen der Gewerkschaft Verdi, dem Land und dem Klinikum über einen Verzicht auf Kündigungen.

Wieland legt in seinem Gutachten nahe, dass es keineswegs zu spät für einen Rückkauf der öffentlichen Hand ist; wenngleich das Land Hessen derzeit lediglich fünf Prozent der Aktien innehat und praktisch keine Einflussmöglichkeiten auf den laufenden Betrieb hat. Zentrum seiner Überlegungen ist der Artikel 15 des Grundgesetzes. Demnach dürfen Grund und Boden sowie Produktionsmittel in Gemeineigentum überführt werden, wenn eine entsprechende Entschädigung gezahlt wird. »Dieser Artikel liegt gerade ein wenig im Dornröschenschlaf«, sagte Wieland bei der Vorstellung des Gutachtens. Es gebe derzeit keine nennenswerten Beispiele dafür, dass dieser Artikel angewandt werde. Aber das ist »einzig und allein eine politische Entscheidung.« Zuständig für einen Rückkauf wäre das Land Hessen, sofern der Bund in diesem Fall nicht tätig werden würde; so besagt es der Artikel 44 des Grundgesetzes, erläuterte Wieland.

Auch wenn es in den vergangenen Jahren einen Trend hin zu Privatisierungen gibt, so hält der Rechtsprofessor fest, dass die Marktwirtschaft nicht per Gesetz festgelegt worden sei. Als das Grundgesetz 1949 ausgearbeitet wurde, habe es keine Festlegung auf eine Wirtschaftsordnung gegeben, weil sich keines der damaligen Lager durchgesetzt habe. Auf der einen Seite habe das Lager der Unionsparteien und der Liberalen gestanden, auf der anderen Seite die SPD und die damals noch nicht verbotene KPD. Folglich sei der Artikel 15 verfasst worden.

»Das Gutachten passt in die Zeit«, sagte Daniela Trochowski, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung, angesichts der Debatten um den Pflegenotstand und die schlechte Bezahlung der Beschäftigten in der Branche. Diese Probleme seien eine maßgebliche Folge einer fortschreitenden Privatisierung der Kliniklandschaft in Deutschland, so Trochowski. »Im Jahr 2000 befanden sich 22 Prozent der Krankenhäuser in privater Hand, 18 Jahre später waren es 37,5 Prozent.«

Der Preis für eine Rückführung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg in die öffentliche Hand sei übrigens nicht gesetzlich festgelegt, erläuterte Wieland. Eine Entschädigung müsste sich nicht notwendigerweise am Verkehrswert orientieren. Auch die Schuldenbremse stehe einer solchen Initiative nicht entgegen. Schalauske schwebt eine Anstalt des öffentlichen Rechts vor, die damit betraut werden solle; und der Rückkauf sollte außerhalb des Kernhaushalts des Landes erfolgen. 2006 wurde das UKGM für 122 Millionen Euro verkauft.

Zeitnah wird eine solche Unternehmung aber nicht erfolgen. »So schnell wird es für einen Rückkauf des UKGM keine Mehrheit geben«, ist sich Schalauske sicher. Ziel ist es aber dennoch, mit dem Gutachten eine neue Diskussion im Parlament anzustoßen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.