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Koalition streitet über neues Klimaziel
Nach dem Verfassungsgerichtsurteil: Union für CO 2 -Preis-Anhebung, SPD für Ökostromausbau
Zum Ende der großen Koalition wird es hektisch: Dreieinhalb Sitzungswochen hat der Bundestag noch bis zur Sommerpause - und dann ist Wahlzeit. Bis Ende Juni wollen Union und SPD ein neues Klimagesetz zusammenzimmern. Die Absicht dazu ließen in den letzten Tagen alle maßgeblichen Spitzen der Koalition verlauten.
Formal zuständig ist Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Sie will Ende dieser Woche einen Entwurf für das neue Klimaschutzgesetz vorlegen. Freiwillig befällt die Koalition diese Arbeitswut nicht. Am Freitag hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass das geltende Gesetz eine nicht akzeptable Schieflage zwischen den Generationen hat.
Karlsruhe begründet das vor allem mit dem sogenannten Budgetansatz. Laut dem darf Deutschland nur eine begrenzte Menge an Treibhausgasen emittieren. Das Gericht bezieht sich dabei auf den Sachverständigenrat für Umweltfragen. Der beziffert das Deutschland ab 2020 zustehende CO2-Restbudget auf rund 6,7 Milliarden Tonnen, wenn die Erderwärmung unter zwei Grad bei etwa 1,75 Grad gehalten werden soll.
Die Denkfabrik Agora Energiewende beziffert das Restbudget auf rund 8,8 Milliarden Tonnen. In diese sind aber alle Treibhausgase eingerechnet. Im Vor-Pandemie-Jahr 2019 emittierte Deutschland rund 800 Millionen Tonnen Treibhausgase. Selbst wenn es in den nächsten Jahren zu deutlichen Senkungen kommt, droht das Budget Mitte der 2030er Jahre aufgebraucht zu sein - die heutigen würden den kommenden Generationen de facto nichts übrig lassen. Das geht aus Gründen der Generationengerechtigkeit nicht, entschied das Gericht und verlangt von der Politik eine deutlichere CO2-Reduktion schon vor 2030 sowie konkrete Einsparmaßnahmen nach 2030.
Den Kernfehler des Klimagesetzes wird die Koalition sicher noch reparieren. Bisher sollen die deutschen CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent sinken - im Vergleich zu 1990. Vieles spricht dafür, dass sich die Koalition hier auf ein Minus von 65 Prozent einigen könnte. Für die Marke plädieren Umweltministerin Svenja Schulze und die SPD insgesamt. Auch das Präsidium der CDU sprach sich in einem Positionspapier für eine Anhebung auf 65 Prozent aus. Damit könnte Deutschland auch seine europäischen Pflichten sowie die aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ganz gut erfüllen. Nur die Grünen wollen mehr und schlagen vor, das Klimaziel für 2030 auf 70 Prozent anzuheben. Diese Forderung kommt sonst nur noch von einigen Umweltverbänden wie dem BUND.
Ein solches Ziel in einem neuen Klimagesetz setze aber erst einmal nur einen Rahmen, warnt Patrick Graichen, Chef von Agora Energiewende. »Es vermeidet keine einzige Tonne CO2.« Das sei nur mit konkreten Maßnahmen zu erreichen: Kohleausstieg vorziehen, erneuerbare Energien ausbauen, Gebäudesanierung beschleunigen, E-Mobilität schneller einführen, Industrietechnologien dekarbonisieren. Bei diesen konkreten Maßnahmen zeichnen sich in der Koalition bisher kaum Annäherungen ab. So befürwortet CDU-Chef Armin Laschet eine höhere CO2-Bepreisung, denn diese atme den »Geist der Marktwirtschaft«. Alexander Dobrindt, Landesgruppenchef der CSU im Bundestag, forderte schon fürs kommende Jahr einen nationalen CO2-Preis von 45 Euro - statt der 30 Euro, die das geltende Brennstoffemissionshandelsgesetz für 2022 vorsieht.
Die Grünen plädieren dafür, den CO2-Preis zügig auf 60 Euro im Jahr 2023 anzuheben. Die Einnahmen sollten für eine Pro-Kopf-Rückerstattung, eine Senkung der EEG-Umlage sowie Zuschüsse für Menschen mit niedrigen Einkommen verwendet werden. Agora Energiewende schlägt vor, den nationalen CO2-Preis in den nächsten vier Jahren auf 100 Euro je Tonne zu steigern. Mit den Einnahmen soll die EEG-Umlage dann auf null gesenkt werden.
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Trotz der Vorschläge, die Einnahmen aus dem CO2-Preis teilweise zurückzugeben, zeigt sich die SPD eher skeptisch. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch nennt bisher seinerseits keine konkrete Zahl und warnt davor, sich zu sehr auf diesen Preis zu fokussieren. Der sei aus seiner Sicht keine Lösung, sondern eher ein »neoliberales Verbotsinstrument«. Reiche könnten sich weiterhin jede Umweltzerstörung leisten. Der SPD ist der Ausbau der Erneuerbaren wichtiger. Höhere Ausbaupfade beim Ökostrom seien dabei der »Dreh- und Angelpunkt«, so Miersch.
Angesichts des anhaltenden Streits um Einzelpunkte rechnen Beobachter damit, dass das neue Klimagesetz eher blumige Worte enthalten wird statt konkreter Vorgaben. Wenn es denn überhaupt noch kommt.
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