- Politik
- Olaf Scholz
Der ungeliebte Kandidat
Olaf Scholz will Kanzler werden. Doch er kommt bei der SPD-Basis schlecht an und gilt als Mann für Schwarz-Rot
Olaf Scholz steht allein in der Parteizentrale der SPD. Auf dem Tisch vor ihm ist ein Globus platziert worden. Der Sozialdemokrat unterhält sich mit Menschen, die auf einem großen Bildschirm zu sehen sind. Die Gesprächspartner von Scholz sind SPD-Mitglieder, die in Paris, Brüssel und Mexiko-Stadt leben. Es handelt sich um eine Werbesendung für Scholz, der Bundeskanzler werden will, und zugleich um eine Aufforderung an Deutsche im Ausland, ihre Stimme bei der Bundestagswahl abzugeben. Der Finanzminister gibt sich weltmännisch, aber betont sachlich, erzählt von seinen Reisen nach Israel und Südamerika. In Erinnerung geblieben ist ihm etwa ein Aufenthalt in Chile nach dem Ende der Pinochet-Diktatur Anfang der 1990er Jahre. »Ich war als Hamburger Bürgermeister auch Bevollmächtigter der Bundesrepublik für die kulturellen Beziehungen im deutsch-französischen Freundschaftsvertrag«, sagt Scholz.
»Zukunftsgespräche« hat die SPD die Diskussionsreihe mit ihrem Spitzenkandidaten genannt. Übertragen wird sie im Internet. Der Wahlkampf verläuft anders als früher. Vor der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Kontaktbeschränkungen waren Reden von Kanzlerkandidaten der SPD auf Marktplätzen und in Hallen gut besucht. Die Menschen waren neugierig. Sie wollten wissen, wer der Mann - eine Frau haben die Sozialdemokraten nie aufgestellt - ist, der Amtsinhaberin Angela Merkel herausfordert. So war es bei Peer Steinbrück und eine Zeit lang auch bei Martin Schulz. Für beide ging es nach ihrer Nominierung in den Umfragen nach oben. Die Bruchlandung erfolgte bei den Wahlen.
An Scholz gibt es bislang kein großes Interesse, wenn es um die Kandidatenfrage geht. Er tritt in den Medien zumeist als Finanzminister in Erscheinung, als Partner in der Koalition mit der Union und nicht als Gegenspieler der Konservativen. Ein weiteres Problem für den Hamburger ist seine fehlende Beliebtheit in der Parteibasis. Im Jahr 2019 hatte Scholz versucht, im Team mit Klara Geywitz den Parteivorsitz zu übernehmen. Doch das Duo verlor die Abstimmung der SPD-Mitglieder gegen die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken und den früheren nordrhein-westfälischen Finanzminister, Norbert Walter-Borjans. Beide sind keine politischen Schwergewichte, weckten aber mit ihrem Versprechen, die SPD nach links zu rücken, Sympathien bei vielen Genossen.
Die Macht der Vorsitzenden in der Partei ist allerdings begrenzt. Den Ton geben die Ministerpräsidenten und Bundesminister an. Sie wollten, dass Scholz Kanzlerkandidat wird. Außerdem werden sie dafür sorgen, dass es keine kritische Aufarbeitung der Zeit gibt, in der die SPD als Juniorpartner der Union zahlreiche Unterstützer verloren hat. In Führungskreisen der Partei wird an der Legende gestrickt, man habe in der Regierungszeit nahezu alles richtig gemacht, es aber nicht geschafft, dem Wahlvolk die eigenen Erfolge ausreichend zu vermitteln.
Man muss der SPD zugutehalten, dass sie als Regierungspartei soziale Probleme erkannt und Maßnahmen ergriffen hat, um gegenzusteuern. Allerdings ist das, was sie getan hat, weitgehend wirkungslos geblieben. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele. So sollte der Mindestlohn vor Lohndumping schützen. Doch im vergangenen Sommer ergab eine Sonderauswertung der Bundesarbeitsagentur, dass rund eine Million Menschen in Deutschland ihr Einkommen mit Hartz IV aufstocken müssen, weil es so niedrig ist, dass es nicht zum Leben reicht.
Schlechte Kompromisse in der Koalition
Wer wenig verdient, der muss mit einer niedrigen Rente rechnen. Die SPD hat in der Großen Koalition die Grundrente durchgesetzt, um Altersarmut zu verhindern. Seit Jahresbeginn können Menschen, die wenig Rente bekommen, einen Zuschlag erhalten. Doch dieser fällt in der Regel nicht großzügig aus. Im Durchschnitt beträgt er rund 75 Euro. Hinzu kommt, dass es hohe Hürden gibt. Wer die Grundrente erhalten will, muss mindestens 33 Jahre versicherungspflichtig gearbeitet, dabei wenig verdient, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben.
Statistiken werden zeigen, inwieweit die Reform bei der Bekämpfung der Altersarmut geholfen hat. Pessimismus ist angebracht. Ein Grund hierfür ist, dass Menschen mit niedrigen Einkommen in nicht wenigen Fällen mit überhöhten Mieten konfrontiert sind. Auch das ist in der SPD registriert worden. Helfen sollte die Mietpreisbremse. Aber das hat sie nicht getan. Es gibt Ausnahmen, und die Regelung, wonach bei der Wiedervermietung von Bestandswohnungen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt die Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf, hat nicht verhindert, dass die Mieten vielerorts explodiert sind.
Der SPD droht der dritte Platz
Olaf Scholz steht für diese vielen schlechten Kompromisse, welche die SPD in ihrer Regierungszeit geschlossen hat. Ungewohntes Lob vom linken Parteiflügel erhielt der Finanzminister allerdings während der Coronakrise, weil er das große Portemonnaie öffnete. Im Sommer 2020 beschloss die Große Koalition ein Konjunkturprogramm mit einem Volumen von 130 Milliarden Euro. Ein »Corona-Zuschuss« für Erwachsene, die im Mai 2021 einen Anspruch auf Hartz IV oder Sozialgeld haben, erweckte ebenfalls den Eindruck, als hätte die Bundesregierung ihre soziale Ader entdeckt. Der Bund will Hartz-IV-Empfänger mit einem einmaligen »Corona-Bonus« von 150 Euro unterstützen. Außerdem können sie den Kinderbonus in der gleichen Höhe erhalten. Das wird jedoch nicht ausreichen, um die zusätzlichen Kosten, unter anderem für Masken und Desinfektionsmittel, zu decken.
In ihrem Entwurf für das Wahlprogramm strebt die SPD keine großen Schritte für soziale Verbesserungen an. Aus der bisherigen Grundsicherung soll ein Bürgergeld werden. »Sinnwidrige und unwürdige Sanktionen« gegen Erwerblose wollen die Sozialdemokraten abschaffen, allerdings nicht alle Bestrafungen. In dem Text werden auch leichte Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und die Wiederbelebung der Vermögensteuer gefordert. Die Anliegen sind Dauerbrenner in Programmen der SPD. Durchgesetzt wurden sie nie. Außerdem soll der Mindestlohn schnell von 9,50 auf 12 Euro erhöht werden.
Diese Forderungen wird Scholz bei seiner Rede auf dem virtuellen SPD-Bundesparteitag am Sonntag verkünden. Dort soll der Vizekanzler als Kanzlerkandidat bestätigt werden. Die Delegierten stimmen zudem über das Programm ab. In Umfragen steht die SPD bei nur noch 14 bis 15 Prozent. Die Partei muss fürchten, dass sie im September hinter der Union und den Grünen erstmals bei einer Bundestagswahl auf dem dritten Platz landet.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.