Machtbewusst gut gelaunt

Dietmar Bartsch hat schwere politische Brüche erlebt und überstanden

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 5 Min.

Dietmar Bartsch schien immer ein Mann der zweiten Reihe zu sein. Der inzwischen 63-Jährige gehörte zum Führungszirkel der Linkspartei wie auch ihrer Vorgängerin, der PDS. Doch ganz vorn standen andere. Gregor Gysi, Lothar Bisky, später Oskar Lafontaine. Bartsch stand dahinter, war Schatzmeister, Bundesgeschäftsführer, Wahlkampfleiter. Jetzt ist Bartsch zum zweiten Mal als Spitzenkandidat der Linken für die Bundestagswahl nominiert, und verwunderlich wäre höchstens, wenn es anders wäre. In einem überraschend geräuschlosen Verfahren einigten sich die Führungsgremien der Partei auf ihn und die Vorsitzende Janine Wissler. So geräuschlos, dass es glatt von Bartsch erfunden sein könnte.

Und so ist es wohl auch. Die letzten Jahre haben ihm und allen Beteiligten bestätigt, dass beim Ritt auf der Rasierklinge eine Schubserei der Passagiere nicht von Vorteil ist. Fraktionschef der Linken im Bundestag zu sein, ähnelt immer einem solchen Ritt – groß sind nicht nur die Unterschiede in Herkunft und Erwartung der Abgeordneten aus Ost und West – liberal und radikal, basis- und regierungsorientiert. Groß sind auch Wahrheitsanspruch und Unversöhnlichkeit der Positionen. In einem solchen Klima leidenschaftlichen Polarisierens können Fähigkeiten wie Beschwichtigen und Integrieren eine Überlebenstugend sein.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Dietmar Bartsch verfügt über diese Fähigkeiten. Schon in den Wirren nach dem Mauerfall zeigte er sich in den für die Partei existenziellen Konflikten gewöhnlich mit einem gewinnenden Lächeln, über innerparteiliche Gegner zog er lieber mit einem lockeren Spruch her als mit Grundsatzpapieren. Außer Sprüchen habe er ja nichts zu bieten, meinten wiederum Kritiker damals. Man wisse nicht, wofür er inhaltlich eigentlich steht, dieser Bartsch. Gemeint war damit eher die Erwartung an einen leidenschaftlichen Verkünder, der Bartsch nicht war. Inzwischen kann man den Fraktionsvorsitzenden auch dabei erleben, bei leidenschaftlichen Reden etwa im Bundestag.

Nein, der Mann von der Ostseeküste neigt nicht zu verbissenem ideologischen Positionskampf. Schon vor Jahren konnte man in einem Magazin das Doppelinterview mit Bartsch und dem damaligen Regierungspolitiker der FDP Jürgen Koppelin lesen, in dem sich beide über ihre gegenseitige Freundschaft austauschten. Gleichwohl wurde Bartsch immer auf einer Seite der innerparteilichen Auseinandersetzungen verortet, als führender Kopf der sogenannten Reformer. Von »Bartschisten« war dann auch die Rede.

Nach der Fusion der PDS mit der WASG 2007 waren diese sichtbar im Forum Demokratischer Sozialismus (FDS) organisiert, wollten den in der PDS nach langen Kämpfen errungenen Konsens auch in die neue Partei retten, nämlich einen »radikalreformerischen« Gestaltungsanspruch, der bürgerliche Grund- und Freiheitsrechte parallel zu den sozialen hochhält und Antidiskriminierungspolitik als Markenkern behandelt. Regierungswille, also klare machtpolitische Ambitionen verbindet die Reformer, die dabei SPD und Grüne zu potenziellen Verbündeten erklären.

Bartsch war ihr Kopf, und die Medien haben ihren Anteil an seinem Bild in der Öffentlichkeit. Vom Verwalter einer feindselig beäugten SED-Nachfolgepartei PDS wurde er spätestens 2007 zum Vertreter der »vernünftigen« Teile in der neu entstandenen Linkspartei. Plötzlich flogen ihm die Sympathien eben noch feindseliger Medien zu, als es galt, ihn als Widersacher Oskar Lafontaines zu stützen. Den angeblich linksradikalen Westdeutschen standen nun geläuterte und gemäßigte Ostdeutsche gegenüber, »diszipliniert, pragmatisch, unsektiererisch«, wie die FAZ über Bartsch schrieb, als der sich 2012 um den Parteivorsitz bewarb.

Bartsch scheiterte damit, und das FDS empfand den Göttinger Parteitag, auf dem es geschah, als Niederlage. Bartschs politisches Leben ist von Krisen gesäumt; nicht zuletzt war er 2002 als Verantwortlicher für den Wahlkampf auch persönlich gescheitert, als die PDS 2002 den Wiedereinzug in den Bundestag verfehlte. Doch dieser Moment in Göttingen war Tiefpunkt seiner Karriere. Auch weil Gregor Gysi ihn zwei Jahre zuvor öffentlich der Illoyalität gegenüber Lafontaine bezichtigt hatte, was einer Ächtung nahekam und die jahrelange enge Freundschaft der beiden Weggefährten beendete. Doch Bartsch hat neben einem machtpolitischen Gespür auch einen langen Atem. Das zeigte sich, als er 2015 mit Sahra Wagenknecht an die Fraktionsspitze gewählt wurde. Wenige räumten dem ungleichen Paar Erfolgsaussichten ein, nachdem Gysi den Posten geräumt hatte. Doch das damals als »Hufeisen« geschmiedete Bündnis funktionierte lange und besser als gedacht.

Bartsch erhielt es auch aufrecht, als es zur Spaltung in seiner eigenen Machtbasis führte, nämlich bei den Reformern. Als seine Gefährten Wagenknecht den Krieg erklärt hatten. Man habe keine Lust mehr auf »persönliche Loyalitätsentscheidungen«, beklagten sich führende Berliner und Brandenburger Landespolitiker, die den Burgfrieden nicht länger mittragen wollten, als sie im Juni 2018 ihren Austritt aus dem FDS erklärten. Tatsächlich befriedete der Schulterschluss zwischen den Lafontaine-Linken, für die Wagenknecht stand, und den Reformern, für die Bartsch stand, für eine Zeit die vorher unversöhnlich entzweite Fraktion. Die Konflikte sind deshalb freilich nicht verschwunden.

Nach Wagenknechts Rückzug von der Fraktionsspitze 2017 ist es ruhiger geworden, und mit Amira Mohamed Ali rückte eine Abgeordnete nach, mit der die Harmonie keine Grenzen mehr kennt. So werden auch geräuschlose Nominierungen von Spitzenkandidaten möglich. Fast schon ein wenig unheimlich inmitten der Kandidatenrangeleien in den Parteien ringsum.

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