- Politik
- Tag der Pflege
»Dieses System ist nicht richtig«
Die Krankenpflegerin Elisabeth Heyder über Gesundheit als Ware und die Herausforderungen der Pandemie
Was ist Ihre wichtigste Forderung zum Tag der Pflege?
Zum einen müssen sich natürlich die Arbeitsbedingungen für viele Beschäftigte ändern. Dann braucht es mehr Personal. So ein Krankenhaus ist ein riesiger Wirtschaftskonzern. Bei uns dreht sich alles um Fallpauschalen. Dieses System ist nicht richtig. Es darf nicht mit der Gesundheit der Menschen Geld verdient werden. Was wir brauchen, ist eine bedarfs- und bedürfnisorientierte Pflege, denn Gesundheit ist keine Ware!
Elisabeth Heyder ist Krankenpflegerin auf der Palliativstation am Uniklinikum Leipzig. »nd«-Reporter Olivier David sprach mit der 32-Jährigen über die Folgen der Ökonomisierung des Gesundheitswesens, ihren Arbeitsalltag und ihre Forderungen zum Tag der Pflege.
Allein zwischen Anfang April und Juni 2020 haben rund 9000 Pflegekräfte, das sind 0,5 Prozent der in Deutschland arbeitenden Pflegekräfte, ihren Beruf aufgegeben. Wie hat sich die Personalsituation seither entwickelt?
In der Pflege gibt es schon lange einen großen Personalmangel, und da ist es natürlich eine absolute Katastrophe, dass im letzten Jahr so viele abgesprungen sind. Wir sind fast täglich unterbesetzt, und man merkt, dass die Stimmung einfach immer schlechter wird. Es gibt nur wenige Kolleg*innen, die mit der aktuellen Situation zufrieden sind.
Wie ist die Lage auf Ihrer Station?
Ich habe das Glück, dass ich auf einer Station arbeite, auf der der Personalschlüssel noch anders angepasst ist. Vorher habe ich auf einer großen Station gearbeitet, mit wesentlich mehr Betten, mit wesentlich mehr Stress, und daran geht man einfach kaputt.
Warum ist dieser Beruf allen Widrigkeiten zu Trotz der richtige für Sie?
Man kommt dem Patienten emotional sehr nahe. Viele Menschen sind dankbar für unsere Unterstützung in dieser Phase ihres Lebens. Der andere Grund: Mein Arbeitgeber zahlt nach Tarif, wir bekommen Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, einen Sonderbonus und einen Coronabonus. Im Pflegeheim für den Mindestlohn würde ich nicht arbeiten.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Zu uns kommen Patienten, deren Erkrankung nicht heilbar ist. Bei manchen ist die Erkrankung noch nicht so weit fortgeschritten, aber viele haben starke Schmerzen und bekommen Medikamente dagegen. Wir haben überwiegend Krebspatienten bei uns, die von einem Team aus Psychologen und Therapeuten betreut werden. Bei unserer Arbeit geht es darum, dass unsere Patienten sich wohlfühlen und auf das vorbereitet werden, was auf sie zukommt.
Verändert einen die tägliche Begegnung mit dem Tod?
In Deutschland ist das Sterben ein Tabuthema, dabei ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Die Arbeit verändert mich in der Hinsicht, dass ich auch im privaten Umfeld das Leben anders betrachte und vor allem sehe, wie schnell es vorbei sein kann. Für mich ist die Arbeit unglaublich wertvoll, weil man sieht, dass es für den Patienten etwas bringt, dass ich da bin.
Sind Sie und Ihre Arbeitskolleg*innen gewerkschaftlich organisiert?
Ich bin Verdi-Mitglied. Ich würde schätzen, das ungefähr ein Drittel der Belegschaft in der Gewerkschaft ist. Viele haben da aber gar nicht so den Kopf für. Um wirklich etwas zu erreichen, braucht es mehr Bewusstsein.
Haben Sie und Ihre Kolleg*innen für diesen 12. Mai etwas geplant?
Ja, wir führen um 16.30 Uhr am Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig eine Veranstaltung durch, die von der Linkspartei organisiert wurde. Ich halte da selbst eine Rede und würde mich sehr freuen, wenn Interessierte dorthin kommen und uns Pflegekräften ein bisschen Support geben.
In der Altenpflege tut sich zumindest gerade etwas. Dort soll nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen im Februar das von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil geplante sogenannte Pflegetariftreuegesetz für faire Löhne sorgen ...
Mehr Geld ist so eine Sache. Es kann ein Anreiz sein. Mehr Geld zu haben ist schön, aber man will ja trotzdem auch bessere Arbeitsbedingungen. Da müsste man ansetzen.
Höhere Löhne wären immerhin ein Anfang.
Ja, klar, höhere Löhne sind sicher ein Anfang. Ich finde es auch gut, dass über so etwas mittlerweile überhaupt nachgedacht wird oder wirklich mal ein Gesetz auf den Weg gebracht werden soll, weil die Bezahlung ja schon viele Jahre ein Problem ist.
Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, hat vorgeschlagen, für alle Pflegenden die 35-Stunden-Woche einzuführen, um den »Flexit«, die Flucht aus dem Pflegeberuf, zu stoppen. Ist das eine wirksame Maßnahme?
Ja, definitiv. Ich arbeite jetzt 14 Jahre in dem Beruf, und ich bin erst letztes Jahr auf 35 Stunden runtergegangen. Vorher waren es auch immer 40 Stunden. Aber bei einer 35- Stunden-Woche per Gesetz wird ja auch zwangsläufig mehr Personal benötigt.
Durch die Corona-Pandemie sind Pflegekräfte im vergangenen Jahr sichtbarer geworden, ihre Leistungen werden in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen. Merken Sie das in Ihrem Alltag?
Ja, klar. Aber wenn mich jemand fragt, was ich beruflich mache und ich sage, ich bin Krankenschwester, dann kommt oft als erstes der Satz: »Oh, toll, aber das könnte ich nicht.« Ich mag diese Aussage nicht. Die Leute sehen durch die Berichterstattung über Personalmangel und die Arbeitsbedingungen in der Pflege oft nur die Dinge, die schlecht laufen. Ich erzähle dann immer gerne, warum ich meinen Job trotzdem immer noch gerne mache.
Haben Sie und Ihre Kolleginnen den Eindruck, dass sich diese Aufmerksamkeit in Zählbares ummünzen lässt?
Ich hoffe es! (lacht) Ich habe das Gefühl, dass es bei manchen Kollegen langsam losgeht, dass man vielleicht doch denkt, ach Mensch guck mal, die reden jetzt über uns und wir scheinen ja doch irgendwie wichtig zu sein. Das war ja vorher all die Jahre gar nicht so.
Wenn diese Pandemie etwas Gutes hat, dann ist es wirklich, dass wir vielleicht ein Stück weiter kommen in unseren Arbeitskämpfen. Ich würde es mir wirklich wünschen, dass mehr Kollegen sagen: Hey, komm, wir müssen versuchen, da gemeinsam etwas zu erreichen.
Und dann gibt es die andere Seite: Schauspieler*innen, die mit ihrer Kampagne allesdichtmachen die Gefahren der Pandemie bagatellisieren, Querdenker*innen, die ihre Existenz leugnen. Was macht das mit Ihnen?
Mich macht es sehr wütend, wenn ich mitkriege, dass es Leute gibt, die die Wahrheit über die Pandemie nicht anerkennen, oder sie sogar leugnen. Und ich glaube, dass man diese Menschen mit Argumenten auch gar nicht mehr erreicht. Da können Wissenschaftler, die das jahrelang untersucht und bewiesen haben, von ihren Ergebnissen erzählen, das wird von manchen einfach nicht akzeptiert.
Das macht mich sehr müde. Es ist mittlerweile so, dass ich manchmal denke, dass ich gar keine Lust habe, mit bestimmten Leuten über solche Dinge noch zu reden. Und dann denke ich wieder: Doch! Die Leute müssen verstehen, dass man das nicht leugnen darf.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.