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Der Preis des Spargels
Der erste Ausbruch der Saison: Über 100 Menschen infizieren sich auf einem Hof in Niedersachsen. Arbeiter*innen werfen dem Bauern vor, ihre Gesundheit zu gefährden
In langen Linien zieht sich ein Meer aus Plastikfolie über einen Acker in Kirchdorf, einem kleinen Ort in Niedersachsen. Die weiße Seite der Folie hat eine kühlende Funktion für die Erde und das, was in ihr gedeiht. Sie verhindert »Erntespitzen«, also dass allzu viel auf einmal aus den Dämmen bricht, die in Reihen aufgeschüttet sind. Die schwarze Seite der Folie erhöht die Temperatur der Erdhügel. Somit kann die Ernte schon früh herausgeschnitten werden. Eine dritte, transparente Folie klemmt über dünnen Stahlbügeln und bildet ein kleines Gewächshaus über den Dämmen. Schon im März wird so die Erdoberfläche auf mehr als 40 Grad angeheizt.
Alexandru fährt mit einem grauen Schiebewagen durch die Dämme und hebt damit die Folien an. Ein kleiner Abschnitt der Erdhügel wird darunter sichtbar. Mit einem Messer sticht er in die Erde und nach ein wenig Ruckeln zieht er eine erdige weiße Stange aus dem Boden. Es ist eines der liebsten Gemüse der Deutschen: weißer Spargel.
Dieser Text stammt aus unser Wochenendausgabe. nd.Die Woche nimmt Geschehnisse in Politik und Gesellschaft hintergründig unter die Lupe. Politische und wirtschaftliche Analysen, Interviews, Reportagen und Features, immer ab Samstag am Kiosk oder gleich mit einem Wochenendabo linken Journalismus unterstützen.
Sicherheitskräfte der Firma Thiermann fahren in diesen Tagen nervös in weißen Kastenwägen um das Spargelfeld und schnauzen jeden an, der länger als zehn Sekunden bei der Ernte zuschaut. Über die Arbeiter*innen wurde eine sogenannte Arbeitsquarantäne verhängt. Der Kontakt des »nd« mit Alexandru läuft über Messenger. Seinen Nachnamen möchte er nicht nennen.
Auf den Feldern in Niedersachsen ist es zum ersten Corona-Ausbruch der Saison gekommen. Bei 130 von 1011 Menschen, die bei Thiermann arbeiten, konnte das Virus nachgewiesen werden. Die Infizierten befinden sich nun in Quarantäne. Jene mit negativem Testergebnis werden morgens mit Bussen zu den Feldern gefahren. Nach der Arbeit fahren sie dieselben Busse zurück in ihre Unterkünfte - und dürfen diese dann nicht mehr verlassen.
Ein kleines Backsteinhaus in Kirchdorf, wenige Kilometer von den Feldern entfernt. Zwei Frauen sind im Fenster zu sehen, sie gucken fern. In dem zweiten Raum stehen zwei weiße Hochbetten. Die Menschen, die hier leben, dürfen nur zur Arbeit das Haus verlassen, einkaufen oder spazieren ist verboten. Ein Sicherheitsdienst patrouilliert draußen, kontrolliert die Einhaltung dieser Regel.
Thiermann hat die Lage unter Kontrolle, nach den Reihentestungen den Ausbruch erkannt und eingegrenzt und in Kooperation mit dem Landkreis das Infektionsgeschehen eingedämmt. Das ist die Version, die der Konzern verbreitet. Spricht man mit den Arbeiter*innen in ihren Unterkünften, die in der ganzen Gegend verstreut sind, in Kirchdorf, Scharringhausen, Sulingen, Asendorf und Kleinborstel, dann ergibt sich ein anderes Bild.
Zuerst einmal über das Ausbruchsgeschehen: Am 29. April gab es die ersten Reihentestungen. Mehrere Arbeiter*innen berichten, dass es über eine Woche davor bereits positiv getestete Fälle gab. Auch seien Menschen krank zur Arbeit gegangen: »Ich habe viele Male gesehen, wie sehr kranke Menschen in die Hallen kamen, in denen der Spargel geputzt wird«, erzählt ein festangestellter Mitarbeiter von Thiermann dem »nd«. Statt isoliert zu werden, seien sie in unterschiedliche Gruppen eingeteilt worden. »Bis zum Abendessen arbeitete eine Person in einer Gruppe und nach einer Pause in einer anderen und kehrte dann zu ihren Mitbewohnern ins Hotel zurück.« Ein Saisonarbeiter bestätigt: »Solche Situationen wurden oft gemeldet, aber das wurde ignoriert.« Die ersten dieser Fälle habe es bereits Anfang April gegeben, erinnert sich der feste Mitarbeiter.
Die Arbeiter*innen berichten außerdem, sie hätten in dieser Zeit PCR-Tests oft erst einfordern müssen. Erst als das Ausbruchsgeschehen schon sehr dynamisch war, habe Thiermann mit den Massentests begonnen. Das erklärt auch, warum bereits bei der ersten Reihentestung über ein Zehntel der Mitarbeitenden positiv getestet wurde. »Alle Aktivitäten, die jetzt stattfinden, kommen viel zu spät«, meint eine Arbeiterin, die in den langen Hallen Spargel putzt.
Auch in einem anderen Punkt soll Thiermann und den politisch Verantwortlichen in der Region Berichten zufolge die Kontrolle entglitten sein: In der vergangenen Woche habe der Sicherheitsdienst versucht, mehreren polnischen Arbeiter*innen ihre Autoschlüssel abzunehmen, davon berichten mehrere Arbeiter*innen. Der Hintergrund: Zuvor waren einige Kolleg*innen von ihnen in die Heimat zurück gefahren - mit dem Bus oder dem eigenen Auto, andere wurden von Freunden und Verwandten abgeholt. Trotz der Quarantäne, die über sie verhängt wurde. »Die Gesundheit ist das wichtigste«, schreibt ein abgereister Arbeiter. Und bei Thiermann fühlten sich viele nicht mehr sicher. Die Hygienestandards seien unzureichend: In Bussen seien sie in Gruppen von 20 Menschen zur Arbeit gebracht worden, in den Unterkünften sei Abstand halten unmöglich.
Die Unterbringung in Einzel- statt Mehrbettzimmern ist laut Bundesagrarministerium nur »anzustreben«. Zwar müssen die Erntearbeiter*innen in feste Teams eingeteilt werden, die sich bei der Arbeit nicht begegnen sollen. Dies sei bei Thiermann aber kaum der Fall gewesen, sagen Saisonkräfte. Und in einer Unterkunft hätten oft Mitglieder verschiedener Gruppen geschlafen.
Auf nd-Anfrage reagiert die Firma Thiermann nicht auf die Vorwürfe. Auch wollen weder Thiermann noch der Landkreis bestätigen, was mehrere Arbeiter*innen übereinstimmend berichten: Eine Person ging sehr krank noch regelmäßig zur Arbeit. Sie forderte schließlich einen PCR-Test an, welcher positiv ausschlug. Die Person wurde von Thiermann unter Quarantäne gestellt, in der sich ihr Zustand von Tag zu Tag verschlechterte. Schließlich wurde sie in ein Krankenhaus gebracht und befinde sich derzeit in einem sehr schlechtem Zustand. Eine Unternehmenssprecherin sagt, alle Saisonarbeiter*nnen seien über die Berufsgenossenschaft, gesetzliche Krankenversicherung oder eine Erntehelferversicherung krankenversichert. Außerdem gibt sie an, der Betrieb übernehme die Kosten im Krankheitsfall.
»Hallo! Ich werde mich nicht vorstellen, weil ich mir Sorgen um einen Job mache. Was würden Sie gerne wissen?« antwortet ein fester Mitarbeiter von Thiermann auf nd-Anfrage. Der Spargelbauer habe »umfangreiche Kontakte« zu verschiedenen Institutionen, angefangen vom Gemeindeamt in Kirchdorf über das Finanzamt in Sulingen bis hin zur Polizei, erzählt er. Daher scheuten sich viele Menschen, über die Missstände zu reden. Nachdem die erste Reihentestung ergeben hatte, dass viele Menschen bereits infiziert waren, sei es zum Streik gekommen, angeleiert vor allem von mehreren Frauen, die in den Hallen den Spargel putzen. Sie forderten nicht nur ein besseres Gesundheitskonzept, sondern auch mehr Geld. Doch nach mehreren Tagen gaben die meisten von ihnen auf. Einige wenige Frauen gehen nach wie vor nicht zur Arbeit, aus Angst, sich zu infizieren - und aus Wut, heißt es. Die meisten sind aber wieder auf den Feldern, auch, weil jeder Tag kostet. »Faktisch sind diese Menschen zur Arbeit gezwungen, da sie ansonsten keine Vergütung bekommen und Kosten für Unterkunft und Verpflegung entstehen«, erklärt die Beratungsstelle Faire Mobilität des DGB.
Deutsche Landwirte stellen jedes Jahr rund 300 000 Saisonkräfte ein, meist aus Osteuropa. Bei Thiermann arbeiten vor allem Polen und Rumänen. Sie bekommen meist den Mindestlohn, müssen davon Unterkunft und Verpflegung bezahlen. 9,80 Euro pro Tag verlange Thiermann für die Unterbringung, erzählt eine Frau, bei der das Virus nachgewiesen worden ist. Auch in der Quarantäne übernimmt Thiermann die Verpflegung selbst. Auf einer Bestellvorlage können die Menschen ankreuzen, was ihnen später ein Bus vorbeibringt. Eier kosten 2,50 Euro. Die Preise seien »ein bisschen höher als im Supermarkt«, erzählt ein Saisonarbeiter.
Während Thiermann Geld für Unterkunft und Verpflegung weiter zahlen lässt, haben viele der Saisonarbeiter*innen Angst, keine Lohnfortzahlung für die Zeit in Quarantäne zu bekommen. Festangestellte werden für die Zeit bezahlt, bestätigt uns ein Arbeiter. Die Saisonarbeiter*innen wissen aber noch nicht, ob und wie viel Geld man ihnen am Ende der Quarantäne auszahlt. Diese endet am 15. Mai. Viele der Saisonkräfte wollen dann vor allem eins: zurück nach Hause.
Der Spargelstecher Alexandru hatte von mehreren 1000 Euro geträumt, die er mit nach Rumänien nehmen kann. Freunde in der Heimat hatten ihm renovierte Häuser und neue Autos gezeigt, die sie sich nach Einsätzen leisten konnten. Jeden Morgen rennt Alexandru vom Bus zum Feld, um sich stundenlang nach dem Spargel zu bücken. Der Lohn der Arbeiter*innen berechnet sich nach einem Bonussystem, bei dem der Mindestlohn beibehalten werden soll. Für die Arbeiter*innen ist das sehr undurchsichtig.
Den Export von Saisonkräften von Ost- nach Westeuropa organisieren Agenturen. Sie machen in der Regel auch die Verträge mit den Arbeiter*innen - teils lediglich auf Deutsch, was die meisten nicht verstehen. Auch die Politik ist in die Anwerbung von Saisonkräften aus dem Ausland involviert: mit Verträgen auf Regierungsebene und mit Gesetzen, die die Einreise auch unter Pandemiebedingungen ermöglichen. Dabei ergab sich ein Dilemma zwischen gesundheitlichen Aspekten, wirtschaftlichen Verlusten und der Knappheit an Nahrungsmitteln. Teil der Lösung ist die Arbeitsquarantäne und die Verlängerung der Aussetzung der Sozialversicherungspflicht für Arbeitgeber von 70 Tage auf 102 Tage. Auf dem Rücken von Menschen wie Alexandru.
Lesen Sie auch: Arbeitsquarantäne - ist das legal? Ob das Infektionsschutzgesetz vorsieht, dass bei häuslicher Isolation auch dem Job nachgegangen werden darf, ist nicht eindeutig.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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