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Der Sound aus PDS-Zeiten
Vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt setzt die Linke ganz auf das Thema Ostdeutschland
Das Plakat des Anstoßes blieb diesmal in der Parteizentrale. Jene Darstellung eines an der Leine geführten Hundes, versehen mit der seit Wochen in Sachsen-Anhalt kontrovers debattierten politischen Forderung der Linken, »den Wessis das Kommando« nehmen zu wollen – sie fristet mittlerweile eine einsame Existenz im Büro des Pressesprechers und wird dieses wohl auch nicht mehr verlassen. Denn das Ende April bei der Kampagnen-Präsentation für die Landtagswahl am 6. Juni vorgestellte und seitdem heiß diskutierte Plakat soll ja, so wird einmütig verlautbart, im weiteren Wahlkampf keine Rolle mehr spielen und beispielsweise nicht an Laternenmasten hängen.
Auch am Montagabend, als die Linke zu einer als Wahlkampf-Höhepunkt titulierten Veranstaltung ins Kulturzentrum Moritzhof nach Magdeburg lud, blieb der Vierbeiner in der Schublade. Stattdessen war Spitzenkandidatin Eva von Angern gleich doppelt zu sehen: einmal realiter, am Rednerpult – und einmal auf einem als Hintergrundmotiv angebrachten Großflächenporträt, auf dem sie händefaltend den rhetorischen Kontrapunkt zur bisherigen Anti-Wessi-Polemik setzte: »Wir im Osten«, so der darauf in großen Lettern abgedruckte Spruch.
Die Auswahl des Hintergrundmotivs war kein Zufall: Nachdem die Linke mit ihrem Plakat zunächst die Gemüter erhitzte, will sie nun die angestoßene Debatte über den Zustand in Ostdeutschland versachlichen. Zudem soll das Thema fortgeführt und nicht einfach wieder in die Schublade gepackt werden wie das Plakat. Vor einem aufgrund der Corona-Pandemie nur handverlesenen Publikum, das vorrangig aus Parteileuten bestand, hielt Eva von Angern im Moritzhof eine 45-minütige Rede, in der sie einen Bogen spannte von ihrer eigenen ostdeutschen Biografie über Enttäuschungen in der Nachwendezeit zu bestehenden Ungerechtigkeiten zwischen Ost und West. So seien die Menschen aus Ostdeutschland und Sachsen-Anhalt »ebenso hoch qualifiziert, ebenso vielfältig ausgebildet wie in den übrigen Bundesländern«. Dennoch würden ihnen oft gute Löhne, Respekt und Anerkennung verwehrt: »Es gibt dafür weder formal noch moralisch eine Rechtfertigung.«
Das Ost-Thema, so viel ist klar, soll den Wahlkampf der Linken in Sachsen-Anhalt nicht nur ergänzen, sondern beherrschen. Die Partei will sich von politischen Mitbewerbern inhaltlich abheben und nutzt dafür einen Politikbereich, den sie einst ihr Eigen nannte: In den 90er Jahren hatte sich die damalige PDS als Kümmererpartei der Ostdeutschen und Wendeverlierer inszeniert – durchaus mit Erfolg, wie steigende Wahlergebnisse unter dem Eindruck ostdeutscher Deindustrialisierung im Zuge der Treuhand-Abwicklungen belegen.
Und heute? »Wir haben das Thema schleifen lassen«, sagte von Angern in einer anschließenden Gesprächsrunde mit Landeschef Stefan Gebhardt als Moderator, Philipp Rubach von der Initiative »Aufbruch Ost«, dem Künstler Sven Johne und dem Musiker Dirk Zöllner: »Jetzt muss uns klar sein: Wenn wir als gesamtdeutsche Partei erfolgreich sein wollen, dann müssen wir dieses Thema nach ganz oben setzen.«
Wahr ist: Die Linke ist in Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren immer weiter abgerutscht, während die sich als Partei des »Volkes« inszenierende AfD bei der Landtagswahl 2016 mit 24,3 Prozent für einen Paukenschlag sorgte. Nun droht bei der Wahl am 6. Juni ein weiteres Debakel. Aktuelle Umfragen verorten die Linken bei 12 bis 13 Prozent. Von dem auf einem Parteitag im Oktober ausgerufenen Zweikampf mit CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff, der seit fünf Jahren eine Kenia-Koalition mit SPD und Grünen anführt, ist Eva von Angern als Spitzenkandidatin derzeit weit entfernt.
Umso scharfzüngiger, umso drängender versuchte die Linke zuletzt, als Wüterich gegen westdeutsche Dominanz aufzutreten – obwohl dieser Charakterzug so gar nicht zur eher abwägenden, zurückhaltenden von Angern passt. Vielmehr personifiziert die 44-Jährige – für die das Plakat, wie sie dem »nd« einmal sagte, »eine gewisse Hürde« darstellte – nun die Versachlichung der Debatte.
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Man hat das Gefühl: Die Linke sucht ihren Weg zwischen zwei Polen. Einerseits will sie Aufmerksamkeit erzeugen und Stimmung machen. Für diesen Ansatz steht insbesondere der um einen launigen Spruch selten verlegene Landeschef Stefan Gebhardt, der sich am Ende der Wahlkampf-Veranstaltung mit Musiker Zöllner ein spannendes Wortgefecht über die Ausrichtung linker Politik lieferte, an dessen Ende er resümierte: »Links muss spinnen!«
Andererseits will die Partei vermitteln, verbinden – und: sich kümmern. Das dazu passende Stichwort: »Wir im Osten.« Protestpartei, Kümmererpartei, Ostdeutschland – ein Rückgriff auf alte PDS-Traditionen? Eva von Angern drückt es so aus: »Die Kümmererpartei. Das war und ist unser Nutzen für die Menschen in unserem Land.«
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