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»Eiskalt, völlig blass«
Dramatische Rettung von Baby sorgt in Spanien für Aufsehen
Madrid. Es sind solche Bilder, die den alltäglichen Schrecken auf dem Mittelmeer kurzzeitig wieder in das europäische Bewusstsein bringen: Ein Mann, eingehakt in einem Rettungsring, in seinen Händen ein blasses Baby, unter ihm das Mittelmeer, das beinahe das Grab des kleinen Kindes geworden wäre. Das Neugeborene trägt eine kleine blaue Mütze und einen Strampler. Der Mann hebt das Kind in die Höhe, doch knietief steckt es noch im Wasser. Das Foto ist vergangenen Dienstag entstanden. 8000 Menschen erreichten schwimmend die spanische Enklave Ceuta, nachdem Marokko die Grenzkontrollen einstellte.
Der Taucher Juan Francisco Valle avancierte in Spanien schnell zum viel gefeierten Helden - und vielgefragten Interviewpartner. Das Baby sei von der im Wasser treibenden Mutter auf dem Rücken getragen worden, erzählte der Polizist dem Radiosender Cope am Mittwoch. »Wir haben uns das Baby geschnappt, es war eiskalt, völlig blass, es hat sich überhaupt nicht bewegt...«, sagte er. »Ganz ehrlich, ich wusste nicht, ob es noch am Leben oder schon tot war.« Der erfahrene Beamte sagt, der Einsatz sei »traumatisch« gewesen.
Nach zwei chaotischen Tagen mit der Ankunft von mehr als 8000 Migranten innerhalb von nur 36 Stunden am Montag und Dienstag hatte sich die Lage in Ceuta am Mittwoch deutlich beruhigt. Die Zahl der schnell wieder nach Marokko abgeschobenen Menschen belief sich zuletzt auf zirka 5600, wie die Regierung in Madrid mitteilte. Es sei ein System etabliert worden, um die Abschiebung weiterer Migranten nach Marokko zu »optimieren«. In der Praxis führte das zu solchen Bildern: Flüchtlinge, die sich verzweifelt und weinend an Soldaten-Beine klammerten, wurden vor laufenden Kameras auch mit Gewalt weggetragen.
Sind solche Massenrückführungen ohne vorherige Prüfung des Anrechts auf Asyl rechtmäßig? Das ist nicht ganz klar. Zwar gibt es seit 1992 ein bilaterales Abkommen mit Marokko, das solche Schnellabschiebungen von illegalen Einwanderern grundsätzlich ermöglicht. Diese müssen aber eigentlich direkt an der Grenze erfolgen, und nicht erst, wenn Migranten schon länger auf spanischem Boden sind. Hier gibt es Interpretationsspielraum.
Zudem gibt es Gesetze, eine Entscheidung des Verfassungsgerichts in Madrid sowie ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das im Februar 2020 eine Klage zweier im Jahr 2014 schnell abgeschobener Migranten gegen Spanien zurückwies, auf die sich Madrid beruft. Von den Abschiebungen am Dienstag und Mittwoch waren aber auch Migranten betroffen, die ganz offensichtlich minderjährig waren und für die diese Gesetze und Urteile alle nicht greifen. Diese seien freiwillig zurückgekehrt, beteuert Madrid.
Der konkrete Auslöser des Versuches der Geflüchteten, nach Ceuta zu gelangen, sind diplomatische Konflikte zwischen Marokko und Spanien. Madrid hatte den an Covid-19 erkrankten Anführer der Frente Polisario eine medizinische Behandlung in Spanien ermöglicht. Die Frente Polisario kämpft für die Unabhängigkeit der Westsahara, während Marokko die Region an der Atlantikküste für sich beansprucht. Um Druck auszuüben, stellte Marokko die Grenzkontrollen teilweise ein. Viele Geflüchtete erfuhren davon über Facebook und machten sich auf den Weg.
Oft habe man nicht erkennen können, was die schwimmenden Migranten auf dem Rücken getragen hätten - »ob Rucksäcke oder Kleidung, oder vielleicht kleine Babys«, berichtete Juan Francisco Valle von seinem Einsatz.
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