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Der Weg zum Jodeldiplom
Schon Loriot wusste, mit einem Jodeldiplom hat man was Eigenes. Unser Autor nahm an einer Jodelwanderung im bayerischen Lenggries teil. Ein Diplom hat er zwar nicht bekommen, dafür aber den Spaß am Singen entdeckt
Norbert Zandt begrüßt mich mit Handschlag auf einem Parkplatz am Ortsrand von Lenggries. Der sportliche Mitsechziger trägt Brille und grauen Bart, ein breites Lächeln im Gesicht und ein leuchtend gelbes T-Shirt. »Jodelbürou« steht drauf, mit »ou« am Ende, der Silbe des Jodelns. Ich bin mit Zandt zu einer Jodelwanderung verabredet, mit dabei sind noch drei weitere Gäste, eine jungen Frau im Dirndl und zwei Männer in den Zwanzigern, die man eher am Surfstrand oder am Boulderfelsen verorten würde. Jodeln scheint »in« zu sein bei jungen Leuten. Unser Ziel ist die Eselau, eine Alm an den Hängen des Braunecks, dem Hausberg von Lenggries. Fünf Kilometer ist unser Weg lang, führt 240 Höhenmeter nach oben und ist für alle Fitnesslevels geeignet. All das lese ich später im Wanderführer nach, denn heute ist definitiv der Weg das Ziel, es geht nicht um Höhenmeter, sondern um hohe Töne.
Jodeln kann jeder
Ich habe ein flaues Gefühl im Magen, als ich Zandt gegenüberstehe. In der Schule reichte es in Musik gerade noch so für eine Drei - , dank des Wohlwollens des Musiklehrers. Bei Familienfesten, an Weihnachten oder zum Geburtstag, bittet man mich stets, beim Singen nur den Mund zu bewegen. Ich soll den harmonischen Klang der anderen bei »Stille Nacht« oder »Happy Birthday« nicht stören. Als musikalisch Hochbegabter habe ich nie gegolten. Norbert ist da anderer Meinung. Inzwischen sind wir beim Du, der lockere Umgang miteinander gehört mit zu seinem »Unterrichtskonzept«. Mit Freunden jodelt es sich leichter. Ohne auch nur einen Ton von mir gehört zu haben, sagt er: »Du kannst jodeln, du weißt es bloß noch nicht.«
Weil nur wer übt, was lernen kann, geht es noch am Parkplatz mit den ersten Atemübungen los. Die bestehen aus Einatmen, Ausatmen und viel Lachen. Dann laufen wir los - aber kaum haben wir den ersten Kilometer hinter uns, steht schon der Admonter Echojodler auf dem Programm. »I sing o«, sagt Norbert (»ich singe an«), und schon legt er los: »Holla da ri ti jo, ho da rei tam tje.«
Unweigerlich drängt sich mir Loriots Frau Hoppenstedt in den Kopf. Ich sehe sie förmlich vor mir, wie sie in der Jodelschule sitzt. Allerdings klingen wir vier, dank Norberts Unterstützung, schon beim ersten Versuch - und das ganz ohne Jodeldiplom - deutlich besser als Frau Hoppenstedt. Erst singen wir Norbert einfach nach, der aber sieht offensichtlich Potenzial in uns. Denn bald schon soll es zweistimmig werden. Ein paar Erklärungen und dann werden die Rollen verteilt. Mir fällt dabei die zweite Stimme zu. Wie mein Jodeleinsatz geklungen hat, mag ich nicht beurteilen. Aber immerhin habe ich, dank Norberts Zuspruch, die Töne angstfrei und lauthals hinausgeschmettert. Auch wenn zur Konzertreife noch einiges fehlt, findet Norbert immer einen Grund zum Loben. Positives Feedback, nachdem ich gesungen habe - das kannte ich bisher nicht. Und so passiert, was ich nicht erwartet hätte: Mir macht das Jodeln richtig Spaß.
Singen über Täler hinweg
Dann geht es weiter den Berg hinauf, erst durch den Wald und dann über sattgrüne Almwiesen zur Alm Eselau. Auf dem Weg dorthin erzählt uns Norbert ein bisschen etwas von der Geschichte des Jodelns. »Erfunden« wurde das Ganze schon vor vielen tausend Jahren als Möglichkeit, sich über weite Distanzen schnell zu verständigen. In Europa jodelt man vor allem dort, wo es hohe Berge gibt und es damit tiefe Täler zu überwinden gilt - im Alpenraum, im Harz, im Erzgebirge und in Thüringen, auf Gomera, in den Karpaten, aber auch bei den Sami in Nordeuropa.
Jodelnd lassen sich Informationen sekundenschnell von einem Tal zum andern übermitteln, während ein Kurier zu Fuß Stunden oder gar Tage bräuchte. In den Städten musste keiner jodeln, um sich zu verständigen. Trotzdem gefiel dort der Gesang der Bergbewohner. Gesungen wurde aber dort nicht von Anhöhen, sondern von Bühnen herab. So erklärt sich, dass in Berlin bis heute die größte Jodler-Gemeinde Deutschlands ansässig ist und man dort regelmäßig zu Jodelfesten einlädt.
Konzertsaal Almwiese
Unser nächster Konzertsaal liegt am Rande einer Kuhweide mit braunem Fleckvieh als Zuhörern. Norbert singt wieder vor und hebt zum Ho-e-i-Jodler an. »Nomai« (noch einmal), spornt er uns nach dem ersten Durchgang an. Wir werden lauter, denn, so Norbert: »Leise jodeln geht nicht.« Den Kühen jedenfalls scheint es zu gefallen. Die stehen immer noch am Zaun und schauen neugierig zu uns herüber. Als wir das nächste Mal unsere Wanderung zum Jodeln unterbrechen, haben wir sogar menschliches Publikum. Zwei Berggeher belohnen unseren Auftritt mit Applaus. Und oben an der Eselau unterbrechen die Touristen ihr Volleyballspiel vor der Hütte, nur um uns zuzuhören. Ich denke trotzdem nicht, dass ich durch das Jodelseminar ein besserer Sänger geworden bin, ein mutigerer aber definitiv. Beim nächsten »Happy Birthday« werde ich mich sicher nicht mehr schüchtern zurückhalten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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