Den Träumen folgen Taten
Schon vor der WM sprach die junge deutsche Eishockeyauswahl vom Titel. Nach dem Sieg über Kanada wird der Glaube noch größer
Das Olympia-Gefühl ist wieder da. Nach dem historischen WM-Sieg gegen Kanada, der in der Intensität an das olympischen Halbfinale von Pyeongchang 2018 erinnerte, schweben die deutschen Eishockeyspieler bei der Weltmeisterschaft in Riga auf Wolke sieben. »Diese Mannschaft lebt von der Leidenschaft und der Liebe zueinander«, sagte Kapitän Moritz Müller voller Glückseligkeit. Mit dem vierten Sieg im vierten Spiel soll der verheißungsvolle WM-Auftakt am Mittwoch gegen Kasachstan weitergehen. Spieler, Trainer und Funktionäre glauben fest an einen Coup wie vor drei Jahren, als die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bunds nach dem 4:3 im Halbfinale gegen Kanada Olympiasilber holte.
»Das war eine unfassbare Teamleistung«, sagte Franz Reindl, Präsident des Deutschen Eishockey-Bunds (DEB) am Dienstagmorgen wenige Stunden nach dem 3:1 in Riga - dem ersten WM-Sieg gegen den 26-maligen Weltmeister seit 25 Jahren. »Da fühlt man sich schon an silberne Zeiten erinnert.« In der Tat sind die Parallelen zu Olympia 2018 frappierend. Auch damals begeisterte Deutschland ohne NHL-Stars mit enormem Teamgeist.
»Wichtig ist, dass wir ein Gefühl gefunden haben, dass für diese Spieler alles möglich ist«, sagte der Bundestrainer. Seine spielerisch unterlegenen Schützlinge warfen sich in jeden Schuss und feuerten einander lautstark an. »Das ist Teil unserer DNA«, sagte Torhüter Mathias Niederberger.
Der Kreis der Favoriten wird größer
Anders als vor gut drei Jahren in Südkorea sind bei der WM zwar NHL-Spieler dabei, die ganz großen Stars fehlen allerdings bislang - auch aufgrund der besonderen Umstände des Turniers in einer Blase inmitten der Coronavirus-Pandemie. Etliche Topnationen verloren bereits überraschend Spiele. Auch das fast ausschließlich aus NHL-Spielern bestehende Mutterland des Eishockeys kassierte gegen Deutschland im dritten Spiel seine dritte Niederlage. So etwas hat es bei einer WM noch nie gegeben.
»Früher war klar, eine der Top-Sechs-Nationen wird Weltmeister. Das ist jetzt anders«, sagte DEB-Präsident Reindl. »Du hast viele Teams.« Eins davon - neben der Schweiz und der Slowakei - ist Deutschland. »Der Start war super, aber wir haben ja noch ein bisschen was vor«, sagte Verteidiger Korbinian Holzer, Torschütze zum 3:1.
Als damaliger NHL-Profi hat Holzer Olympia 2018 nicht miterlebt, er sieht in dem bislang größten deutschen Eishockeyerfolg aber so etwas wie einen Wendepunkt. »Da hat sich dieser Glaube entwickelt, der Anspruch hat sich auch geändert«, sagte er. Anders als früher wolle man nun nicht mehr nur die Spiele gegen Teams auf Augenhöhe gewinnen, sondern jedes. Für Kapitän Moritz Müller, Teil des Silberteams von 2018, setzte diese Entwicklung schon vor Olympia ein. Der 34-Jährige führt sie auf Trainer wie Marco Sturm und nun Söderholm zurück, »die uns das Gefühl geben, dass wir mitspielen können. Und wir sehen, das können wir wirklich.« Das gilt in diesem Jahr umso mehr. »Es ist ein sonderbares Turnier. Alles ist möglich«, sagte Torhüter Niederberger zu der vielleicht historischen Chance.
Zwei NHL-Stars könnten dazustoßen
Auch für den 33 Jahre alten Routinier Holzer, der mittlerweile seit 13 Jahren für das DEB-Team spielt, fühlt sich das aktuelle WM-Team ganz besonders an. Er war auch 2019 bei der ersten WM unter Söderholm dabei, als sogar vier Auftaktsiege gelungen und vor dem Viertelfinalaus gegen Tschechien die beste deutsche WM-Vorrunde überhaupt gelungen war. Die Bilanz von fünf Siegen und zwei Niederlagen könnte diesmal sogar noch verbessert werden, obwohl vor zwei Jahren von Beginn an Weltklassespieler Leon Draisaitl dabei war. Nach dem Playoff-Aus der Edmonton Oilers in der NHL könnten jetzt Draisaitl und Dominik Kahun immerhin noch dazustoßen, allerdings erst nach einer einwöchigen Quarantäne mitspielen.
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