- Politik
- Linke in Sachsen-Anhalt
Bodenständig, nahbar, lokal verankert
Christina Buchheim zeigt, wie man als Linke im ländlichen Raum des Ostens erfolgreich sein kann
Wenn Christina Buchheim nach getaner Arbeit abschalten muss, dann schnürt sie ihre Turnschuhe. Unweit ihres Wohnhauses in Köthen, einer 26.000-Einwohner-Stadt in Sachsen-Anhalt, befindet sich der »Ziethebusch«, ein unter Naturschutz stehender Urwald am Stadtrand. »Dort drehen wir gerade in den Sommermonaten immer unsere Runden«, sagt Buchheim, die für die Linke seit fünf Jahren im Magdeburger Landtag sitzt und sich in ihrer Freizeit gern draußen in der Natur bewegt: Sie unternimmt lange Spaziergänge mit ihrem Hund oder trifft sich, wenn es mal etwas sportlicher zugehen soll, mit ihrer Laufgruppe.
Im »Ziethebusch« kommt Buchheim zur Ruhe. In der Köthener Innenstadt ist das anders: Dort wird sie häufig von Passanten angesprochen. Gerade jetzt, in Wahlkampfzeiten. Wenn am 6. Juni ein neuer Landtag gewählt wird, tritt auch Buchheim wieder an. »Ich stehe regelmäßig in der Fußgängerzone. Die Menschen haben zurzeit viele Fragen, vor allem zu Corona«, sagt sie. Es gebe auch viele Beschwerden von Menschen, »die nicht mehr können, die ihren zweiten Geburtstag ohne Familie feiern. Die ihr normales Leben wieder haben wollen, die völlig frustriert sind.« Buchheim ist eine, die diesen Menschen zuhört – und auch leicht mit ihnen ins Gespräch kommt. Denn: »Viele kennen mich oder meine Familie.«
Das ist ihr Faustpfand – die Bekanntheit vor Ort, die lokale Verankerung. Christina Buchheim ist in Köthen geboren und aufgewachsen, hat fast ihr ganzes Leben dort verbracht. Nur für wenige Jahre, am Ende ihres Jurastudiums, wohnte sie in Halle. »Dann habe ich meine Zwillinge zur Welt gebracht und gemerkt, dass ich das nicht ohne Unterstützung meiner Familie schaffe«, sagt sie rückblickend. Anfang der 2000er Jahre zog sie deshalb zurück nach Köthen und engagierte sich auch wieder in der Kommunalpolitik, wo sie seit 1990 – mit Unterbrechung – aktiv und nach wie vor mit Leidenschaft bei der Sache ist. Neben ihrem Landtagsmandat, wohlgemerkt. Über die Jahre hat sie eine sehr enge Verbindung zu ihrer Heimatstadt Köthen aufgebaut: »Hier bin ich geerdet.«
Sowohl die lokale Verankerung als auch die kommunalpolitische Erfahrung unterscheidet sie von so manchem politischen Mitbewerber wie linken Genossen – und könnten ihr nun bei der Wahl erneut zum Vorteil gereichen. Wie schon 2016, als sie für eine große Überraschung sorgte und ihren Wahlkreis Köthen direkt gewann. Sie war damals die einzige Wahlkreissiegerin der Linken und setzte sich sowohl gegen die CDU durch, die zuvor stärkste Partei in Köthen gewesen war, als auch gegen die AfD, die als neue politische Kraft mit landesweit 24,3 Prozent für mächtig Aufsehen gesorgt hatte.
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Das war eine Sensation – ausgerechnet bei jener Wahl, die aufgrund des starken Ergebnisses der extremen Rechten eher in düsterer Erinnerung blieb. Buchheim, die im Gespräch mit dem »nd« einen bodenständigen, nahbaren Eindruck macht, ließ alle hinter sich. Vielleicht, weil sie neben ihrer Sachlichkeit – »ich will die AfD mit Argumenten schlagen« – auch vor harten Auseinandersetzungen nicht zurückweicht: »Ich bin stammtischfähig, gehe auch mal abends in die Kneipe und scheue mich vor Diskussionen nicht.« Nun möchte sie im Wahlkampf um das erneute Direktmandat »auch AfD-Wähler zurückgewinnen«. Denn sie ist der Meinung: »Viele haben beim letzten Mal aus Protest und Frust die AfD gewählt.«
Ob das eine erfolgsversprechende Strategie ist, wird innerhalb der Linken seit Jahren kontrovers diskutiert. Sollte Buchheim erneut gewinnen, wäre das natürlich ein starkes Zeichen – denn ansonsten hat die Linke im ländlichen Raum Sachsen-Anhalts kaum eine Chance. Abseits der großen Städte Halle und Magdeburg hatte bis vor der letzten Wahl meistens die CDU gewonnen. 2016 ging dann der agrarische Norden an die CDU und der historisch von der Bergbau- und Chemieindustrie geprägte Süden an die AfD. Köthen in der Mitte war gewissermaßen das Gallische Dorf – dank Christina Buchheim. Auch Landeschef Stefan Gebhardt schätzt die Vorzüge seiner Abgeordneten: »Sie ist immer in der Lage, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Sie geht nie von ihrer eigenen Lebenssituation aus, sondern von der Lebenssituation anderer. Sie ist eine, die sich kümmert.«
Ein solches Kümmerer-Image sei nach wie vor ein Wesenskern der Linken, so Gebhardt. Doch klar ist auch, dass sich die Partei verändert hat. In den 1990er Jahren galt die damalige PDS als Vertreterin der Ostdeutschen und Wendeverlierer. Heute ist die gesamtdeutsche Linke eine vielfältige Partei, allerdings derzeit recht erfolglos. Die Suche nach einem neuen Aufbruch gestaltet sich schwierig. In Sachsen-Anhalt versuchte die Linke zuletzt, mit einem Anti-Wessi-Plakat auf sich aufmerksam zu machen. Eine Rückkehr zu den Kümmerer-Wurzeln, nur mit mehr Krawall? »Früher hat sich das gesamte Establishment über uns aufgeregt. So konnten wir Themen setzen. Ich finde, da müssen wir wieder hin«, sagt Stefan Gebhardt.
Nun, besonders krawallig wirkt Christina Buchheim nicht. Doch wenn sie beispielsweise über parlamentarische Gepflogenheiten spricht, dann spielt sie schon mal die Anti-Establishment-Karte. Im Vergleich zur Kommunalpolitik sei der Magdeburger Landtag eine »andere Welt«, sagt sie: »Man wird dort anders behandelt. Man spricht auch anders, bedankt sich zum Beispiel für die Worterteilung. So etwas gibt es im kommunalpolitischen Leben nicht. Hier spricht man so, wie man zu Hause spricht.« In Magdeburg sei sie »die Abgeordnete, die Vorsitzende«, in Köthen einfach nur »Frau Buchheim«. Aber sie hat sich geschworen, sich nicht verbiegen zu lassen: »Ich will ich selbst bleiben, bodenständig bleiben.« Immerhin, ihre lokale Verwurzelung war auch für ihre Landtagsarbeit wichtig: Sie ist Sprecherin ihrer Fraktion für Kommunalpolitik und übernahm zudem den Vorsitz des Petitionsausschusses – ein normalerweise eher ungeliebter Job.
Nun will sie bei der Landtagswahl den Erfolg von 2016 wiederholen – auch wenn die Vorzeichen heute andere sind: »Es gab einen Schachzug der CDU – denen dichte ich es jedenfalls an –, den Wahlkreis neu zuzuschneiden. Man hat mir einen Bereich zugeschlagen, der sehr schwarz-blau geprägt ist.« Aber Christina Buchheim wäre nicht sie selbst, würde sie die Hoffnung auf einen erneuten Wahlsieg einfach so aufgeben: »Ich möchte das Direktmandat verteidigen.« Und selbst, wenn alle Stricke reißen: Ein Platz im Landtag ist ihr auf jeden Fall sicher. Nachdem sie 2016 nur auf Platz 27 der Landesliste gestanden hatte, kletterte sie nun auf Rang drei – auch das darf als Belohnung ihrer Arbeit gedeutet werden.
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