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Viele Worte, wenig Taten
Seit dem Urteil zum Bundesklimagesetz sind die rechtlichen Voraussetzungen für einen wirksamen Klimaschutz da
Knapp ein Monat ist vergangen, seit der überraschenden Nachricht des obersten deutschen Verfassungsgerichts, dass die aktuellen Bundesklimaschutzgesetze gegen die Verfassung verstoßen. Es müssten ehrgeizigere Ziele von der Regierung umgesetzt werden, um die Freiheitsrechte der kommenden Generationen zu gewährleisten. Diese Meldung wurde von vielen Journalist*innen, Politiker*innen und Aktivist*innen als bahnbrechend aufgenommen. Wirtschaftsminister Altmaier sprach von einem »großen und bedeutenden Urteil«. Das Ergebnis scheint tatsächlich imposant: Der Staat wird zum ersten Mal rechtlich zu dem verpflichtet, wofür so viele Umweltschützer*innen seit Jahren kämpfen.
Eine entscheidende Frage bleibt allerdings: Kann dieses Urteil nun endlich das erreichen, was nötig ist, um wirklichen Umweltschutz und die damit einhergehende sozial-ökologische Transformation umzusetzen? Immerhin gab es auch vor dem Gerichtsurteil immer wieder große Ankündigungen aus der Politik, Klimaschutz ernst zu nehmen und das zu tun, was dafür nötig ist. Wirkliche Taten blieben meist aus. So kündigte die Regierung im Januar 2020 stolz an, bis 2038 aus der Kohle auszusteigen - eine Frist, die Wissenschaftler*innen bekanntlich als viel zu spät einstufen. Auch hier sprach Wirtschaftsminister Altmaier von einem »Durchbruch für mehr Klimaschutz«.
Dann gibt es immer noch den Sektor, in dem sich seit 1990 emissionstechnisch gar nichts mehr getan hat: der Verkehrssektor. Seit den 1950er Jahren werden ununterbrochen neue Autobahnen gebaut. Obwohl Deutschland inzwischen eines der dichtesten Autobahnnetze Europas hat, verantworten selbst Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung die Zerstörung von Naturschutzgebieten durch solche Autostraßen-Projekte, wie beispielsweise die A14 in Sachsen-Anhalt. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 wurde keine einzige neue Schiene eröffnet, während 125 Kilometer Autobahnen und Bundesstraßen gebaut wurden - trotz Bundesverkehrsminister Scheuers großer Ankündigung des »Jahrzehnts der Schiene«. Auch hier blieben trotz imposanter Worte Taten aus. Die Devise scheint zu lauten: Klimaschutz, ja natürlich, aber bitte nicht auf deutschen Straßen!
Aber Umweltwende geht nicht ohne Mobilitätswende. Wenn Politiker*innen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ernst nehmen wollen, muss sich also vor allem in diesem Sektor einiges ändern und zwar nicht in Form von noch mehr Investitionen in E-Mobilität. Es braucht den Stopp des Neubaus von Autostraßen und stattdessen den massiven Ausbau des sozial-gerechten und öffentlichen Nah- und Fernverkehrs. Ob das jetzige Urteil des Bundesverfassungsgerichts die bisherige Art von strukturellem Anti-Klimaschutz der Bundesregierung verändern kann, wird also gerade im Bereich der Mobilität sehr spannend zu beobachten sein.
Um Politiker*innen (auch Grüne) dazu zu bringen, ihren Worten Taten folgen zu lassen, haben Aktivist*innen in den vergangenen Jahren verstärkt für die Verkehrswende mobilisiert. So rief die Gruppe Sand im Getriebe 2019 zu Aktionen gegen die internationale Automobilausstellung in Frankfurt auf. Aktivist*innen haben zwar auch Rückschläge erlitten, wie im besetzten Dannenröder Wald, wo dann doch die Trasse für die A49 gerodet wurde - was die Macht der Automobilindustrie zeigt. Dennoch ist ihr Aktivismus eine der größten Hoffnungen, dass Deutschlands Regierung tatsächlich die Gerichtsentscheidung erfüllt und über die oft inhaltsleere Pro-Umwelt-Rhetorik hinausgeht.
So rufen am 5. Juni verschiedene Mobilitätswende-Gruppen zu einem dezentralen Aktionstag gegen Autobahnen in ganz Deutschland auf. Darunter die Bürger*inneninitiativen, die seit Jahren gegen Autobahnen wie die A14, A44 und A20 kämpfen und jetzt durch den neuen Aufschwung in der Anti-Auto-Bewegung Mut und Kraft für ihre Ziele schöpfen. Allein seit Anfang des Jahres halten Aktivist*innen inzwischen mehr als fünf Waldstücke besetzt, die für Autostraßen oder Kiesabbau für Asphalt gerodet werden sollen. Genau diese Art Druck von unten scheint weiterhin nötig zu sein. Die rechtlichen Voraussetzungen, wirksamen Klimaschutz zu erreichen, sind vorhanden. Jetzt bloß nicht lockerlassen.
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