Wie halten es Linke mit Israel?

Unter deutschen Antifaschisten gibt es unterschiedliche Reaktionen auf die jüngste Eskalation des Nahostkonflikts

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 7 Min.

Auf Fotos im Internet präsentiert sich Carla Büttner mit einer weiß-blauen Flagge, die sie sich um die Schultern gelegt hat. Es ist die Fahne des israelischen Staates. Büttner ist in der Linksjugend Solid aktiv. Die 22-jährige Studentin ist Teil des achtköpfigen Bundessprecherrats der Jugendorganisation, die der Linkspartei nahe steht.

Als der Konflikt zwischen der israelischen Armee auf der einen und palästinensischen Gruppierungen wie der Hamas und dem Islamischen Dschihad auf der anderen Seite kürzlich wieder blutig ausgetragen wurde, ist sie in Halle an der Saale auf die Straße gegangen, um sich bei der Demonstration mit »den Opfern der Raketenangriffe in Israel zu solidarisieren«. Bei propalästinensischen Veranstaltungen war sie nicht, verurteilt aber die antisemitischen Vorfälle dort, die sie über die Medien mitbekommen hat. »Das ist eine Schande. Die Hamas ist eine Terrororganisation. Israel reagiert nur auf deren Angriffe«, sagt Büttner.

Den rechtskonservativen Regierungschef Benjamin Netanjahu will sie deswegen auch nicht wegen seiner Außen-, sondern wegen seiner Innenpolitik in Israel kritisieren. Eine gemeinsame Erklärung des Bundessprecherrats der Linksjugend ist mit den Worten überschrieben: »Trauer um die Toten - Hass für die Hamas!«

Der Nahostkonflikt war schon immer ein heikles Thema in der Linkspartei und darüber hinaus in der gesamten deutschen Linken. Trägt Israel die Schuld an dem immer wieder aufflammenden Krieg in der Region? Oder handelt es sich bei den Militärschlägen, die auch zahlreiche zivile Opfer fordern, um legitime Selbstverteidigung des israelischen Staates? Hier gehen die Meinungen in der Linken auseinander.

Januar 2010: Es ist der internationale Gedenktag an die Opfer des Holocausts. Der damalige israelische Präsident Shimon Peres spricht im Deutschen Bundestag. Als er endet, erheben sich die meisten Abgeordneten, wenige Parlamentarier der Linken bleiben demonstrativ sitzen. »Zum Gedenken an die Opfer des Holocausts« sei sie im Bundestag selbstverständlich aufgestanden - nach der Rede aber nicht, weil sie »einem Staatsmann, der selbst für Krieg mitverantwortlich ist, einen solchen Respekt nicht zollen kann«, erklärt dazu Sahra Wagenknecht.

Um solchen Meinungen in der Partei entgegenzuwirken, hat sich bereits kurz nach der Gründung der Linkspartei, in der WASG und PDS aufgingen, sowie der Linksjugend Solid im Jahr 2007 der Bundesarbeitskreis (BAK) Shalom zusammengetan. In dessen Gründungsaufruf heißt es, dass »Israel auch die Staat gewordene Konsequenz aus Auschwitz und den anderen Vernichtungslagern der Nationalsozialisten« sei. Der gesellschaftliche Umschlag in die Barbarei mache einen jüdischen Staat als Bollwerk gegen antisemitische Verfolgung zu einer Notwendigkeit. »Deshalb sind wir solidarisch mit Israel, was auch eine Solidarität mit Verteidigungsmaßnahmen aller Art einschließt.«

Für viele andere in der Partei war das natürlich eine Provokation. Sie sahen vor allem die friedenspolitischen Grundsätze der Linken in Gefahr, wonach einer Verhandlungslösung in jedem Fall der Vorzug gegenüber militärischer Gewalt gegeben werden soll. 2012 hatte der Bundeskongress der Linksjugend den BAK Shalom mehrheitlich dazu aufgefordert, sich von der Kampagne Stop the Bomb zu distanzieren.

Diese internationale Initiative forderte zu dem Zeitpunkt wegen des Atomkonflikts politischen und wirtschaftlichen Druck auf den Iran, die Unterstützung der demokratischen Opposition in dem Land und ein Verbot der Hisbollah in Deutschland. Die Kritiker von Stop the Bomb verwiesen unter anderem darauf, dass die Sanktionen vor allem die iranische Zivilbevölkerung treffen würden.

Aber auch der BAK Shalom kämpfte mit harten Bandagen. Im April 2008 hatte er den Rücktritt des damaligen außenpolitischen Sprechers der Linksfraktion, Norman Paech, gefordert. Anlass hierfür war ein Vortrag Paechs über seine Reise nach Palästina, in dem seine Kritiker »antizionistische Ressentiments« sahen.

In der Folgezeit scheinen der BAK Shalom und ihm nahestehende Politiker ihren Zielen in der Jugendorganisation mit rund 22 500 Mitgliedern deutlich näher gekommen zu sein. Hinweise darauf liefern Beschlüsse aus den vergangenen Jahren. Es gibt einen Text mit dem Titel »Gegen jeden Antisemitismus«, auf den sich der Bundeskongress im September 2015 geeinigt hat. Darin wird »israelbezogener Antisemitismus in Form von Dämonisierungen Israels, extrem einseitiger Schuldzuweisung, Nutzung antisemitischer Chiffren und Täter-Opfer-Umkehrung durch Vergleiche Israels mit dem Nationalsozialismus« verurteilt. Wie groß ist der Einfluss des BAK Shalom in der Linksjugend? »Er ist ein Bundesarbeitskreis wie viele andere auch«, sagt Carla Büttner.

Sympathien genießt der Bundesarbeitskreis besonders bei prominenten Vertretern des Reformerlagers der Linkspartei. Nach einem Bericht von Deutschlandfunk Kultur hatte Benjamin-Immanuel Hoff gelobt, dass mit dem Finger auf diejenigen gezeigt worden sei, die sich zum Teil auch offen antisemitisch positioniert hätten und unter dem Deckmantel einer Kritik an Israel antisemitische Positionen vertreten hätten. »Da hat der BAK Shalom aus meiner Sicht genau das Richtige getan, nämlich das Problem offenkundig deutlich gemacht, und das ist sein großes Verdienst.« Hoff ist Chef der Staatskanzlei seines Linke-Parteikollegen, des Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow.

Ebenfalls zum Reformerflügel der Partei zählt Dietmar Bartsch. Der Chef der Bundestagsfraktion ist kürzlich bei einer Kundgebung zum Nahostkonflikt in Berlin neben Politikern anderer Parteien und der Jüdischen Gemeinde aufgetreten. Carla Büttner findet das grundsätzlich gut. »Es ist ein gutes Zeichen, wenn sich viele Politiker gegen Antisemitismus positionieren«, sagt sie.

Aber nicht alle jungen Genossen sind begeistert von solchen Veranstaltungen. Einer von ihnen ist Jules El-Khatib, Mitglied des Linke-Vorstands in Nordrhein-Westfalen. Er ist deutscher und israelischer Staatsbürger. Fast seine gesamte Familie lebt entweder in Israel oder in Gaza. »Ich fand den Auftritt von Dietmar Bartsch falsch, weil in dem Aufruf kein kritisches Wort über Netanjahu oder die israelischen Bombardierungen stand«, moniert El-Khatib. Gemeinsam mit Bartsch hat er allerdings die Haltung, dass Antisemitismus verurteilt werden müsse.

»Das hindert uns aber nicht daran, ein Ende der israelischen Besatzungspolitik zu fordern«, sagt er. In der Frage zum Nahostkonflikt brauche die Linke ein klares friedenspolitisches und antimilitaristisches Profil. »Gleichzeitig muss man sich aber auch gegen antiarabischen Rassismus und die Androhung von Abschiebungen als Konsequenz aus den Demonstrationen wehren.« Diese Forderungen waren vor allem von konservativen Politikern nach den propalästinensischen Kundgebungen erhoben worden.

Nicht glücklich ist El-Khatib damit, wie die Debatten in der Linksjugend verlaufen. »Die hiesige Linksjugend unterscheidet sich damit stark in der Haltung zum Nahostkonflikt im Vergleich zu den jungen Genossinnen und Genossen beispielsweise in Frankreich, Spanien, Portugal oder Irland«, sagt er. Vieles, was in linken Jugendstrukturen diskutiert werde, basiere auf Halbwissen. Er sieht die Ursachen für die jüngste Eskalation auch in den innenpolitischen Schwierigkeiten der Hamas und von Benjamin Netanjahu. »Sie sind die einzigen Gewinner dieses Konfliktes, die sich aus ihren innenpolitischen Schwierigkeiten herausmanövrieren konnten. Deswegen haben sich auch beide umgehend zu Siegern erklärt.«

El-Khatib will, dass die deutsche Linke im Nahen Osten mit der Friedensbewegung und linken Parteien vor Ort kooperiert. »Erster Ansprechpartner in Israel sollten die Linkspartei Chadasch sowie Organisationen wie Stand together sein.« Auf der palästinensischen Seite nennt er diejenigen, die sich friedlich gegen die Besatzung wehren. »Ich erinnere hier nur an den Generalstreik, der kürzlich stattfand. Hinzu kommen die palästinensischen Linksparteien wie die Palästinensische Volkspartei.« Hamas und Fatah seien Gegner einer progressiven Politik in Palästina. »Es braucht hier einen dritten Pol«, so El-Khatib.

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Veränderungen sind überhaupt nur denkbar, wenn es Wahlen gibt. Und die hatte der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas von der Fatah, kürzlich verschoben. Das ist nur ein Hinweis darauf, dass es in der Region kompliziert bleibt und der Konflikt weiter schwelt. Das gilt nicht nur für den Nahen Osten, sondern auch für die deutsche Linke.

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