»Frankreich war nicht Komplize«

Präsident Emmanuel Macron übernimmt beim Besuch in Ruanda Mitverantwortung für den Völkermord

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Bekenntnis war eindeutig: Frankreich trage eine Mitverantwortung an dem Massaker in Ruanda, das 1994 schätzungsweise 800 000 bis eine Million Menschen das Leben gekostet hat. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte in seiner Rede an der Gedenkstätte für den Völkermord in der Hauptstadt Kigali vergangenen Donnerstag: »Mit Demut und Respekt erkenne ich heute an Ihrer Seite den Umfang unserer Verantwortung an.« Er fügte aber sogleich hinzu: »Frankreich war nicht Komplize. Das Blut, das geflossen ist, hat nicht französische Waffen oder die Hände unserer Soldaten entehrt.« Frankreich habe in der Geschichte in Ruanda eine Rolle gespielt und trage politische Mitverantwortung. »Daraus erwächst die Verpflichtung, uns der Geschichte zu stellen und unseren Teil an den Leiden anzuerkennen, die dem Volk von Ruanda zugefügt wurden, indem zu lange geschwiegen wurde, statt die Wahrheit ans Licht zu bringen«, räumte Macron ein. Zu den Ursachen des Völkermords sagte er: »In einem Konflikt, an dessen Wurzeln Frankreich keinen Anteil hatte, haben wir nicht auf die Stimmen derer gehört, die uns vor dem gewarnt haben, was sich da anbahnte. Frankreich hat nicht begriffen, dass unser Land beim Versuch, einen regionalen Konflikt oder einen Bürgerkrieg abzuwenden, in Wirklichkeit weiter an der Seite eines Regimes des Völkermords gestanden hat. Daraus erwuchs für Frankreich die drückende Mitverantwortung für eine Entwicklung, die zum Schlimmsten führte, obwohl doch gerade das verhindert werden sollte.« Frankreich trage eine große Schuld den Opfern gegenüber, schätzte Macron abschließend ein und erklärte, an die Hinterbliebenen gewandt: »Verzeihen können uns nur diejenigen, die durch das Dunkel gegangen sind.«

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz sagte der ruandische Präsident Paul Kagamé: »Die Worte von Präsident Macron haben mehr Wert als eine Entschuldigung. Sie sind die Wahrheit.« Er fügte hinzu: »Bei diesem Besuch geht es um die Zukunft, nicht um die Vergangenheit. Frankreich und Ruanda werden im Interesse der beiden Völker ihre wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen wesentlich verbessern.«

Auf die Frage nach den Mördern, die nach 1994 in Frankreich Zuflucht gefunden haben, versicherte Macron, dass alle Schuldigen von der Justiz zur Verantwortung gezogen werden. Dazu stellen Vereinigungen der Opfer des Völkermords fest, dass es in den zurückliegenden 27 Jahren in Frankreich nur drei Prozesse und Verurteilungen gegeben hat und mehr als 30 Verfahren eingeleitet sind, während die Zahl der Täter, die in Frankreich leben, auf mindestens 100 geschätzt wird.

Präsident Macron kündigte an, dass in Kürze ein französischer Botschafter nach Kigali zurückkehren wird. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern wurden seit 2003 vonseiten Ruandas wegen der Differenzen zum Völkermord auf ein Minimum reduziert. Der Weg für eine Wende wurde erst durch eine von Präsident Macron gleich nach seinem Amtsantritt 2017 in Auftrag gegebene und vor Kurzem veröffentlichte Studie einer Historikerkommission gewiesen, in der die Vorgeschichte und die Hintergründe des Völkermords in Ruanda sowie Frankreichs Verstrickungen untersucht wurden. Darin wird festgestellt, dass Frankreich zwischen 1991 und 1994 die von der Bevölkerungsmehrheit der Hutu getragene Regierung »blind und massiv unterstützt« hat. Der damalige Präsident François Mitterrand habe sich die Propagandabehauptungen des seinerzeitigen Präsidenten Juvénal Habyarimana über die angebliche Gefahr, die von der Bevölkerungsminderheit der Tutsi ausgehe, »unkritisch zu eigen gemacht« und sich davon leiten lassen. So hat Frankreich weiter Waffen geliefert und vor Ort Militärs ausgebildet, die später in den Reihen der extremistischen Hutu-Milizen die schlimmsten Gräueltaten verübt haben, stellt die Historikerstudie fest. Mit einer kleinen Gruppe ihm blind ergebener Berater habe Mitterrand über das Parlament, die zuständigen Ministerien, die Armee und den Geheimdienst hinweg eine »parallele Afrika-Politik« mit »verhängnisvollen Folgen« betrieben, so die Historiker. »Wer warnte oder kritisierte, wurde nicht nur nicht angehört, sondern im Gegenteil kaltgestellt, mundtot gemacht oder strafversetzt.«

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