Saar-Linke in Scherben

Landesvorstand fordert Oskar Lafontaine und Abgeordnete Astrid Schramm zum Parteiaustritt auf

In der saarländischen Linken kracht es wieder einmal. Der Landesvorstand in Saarbrücken veröffentlichte am Sonntagabend eine Erklärung, in der er keinen Geringeren als Oskar Lafontaine zum Austritt aus der Partei und zur Niederlegung seines Landtagsmandats auffordert. Die gleiche Forderung richtet das 15-köpfige Gremium an die Landtagsabgeordnete und frühere Landesvorsitzende Astrid Schramm. Ihr und dem ehemaligen Linke-Bundesvorsitzenden wird in der Resolution vorgeworfen, »ständig ihre persönlichen Befindlichkeiten medial in die Öffentlichkeit« zu »transportieren«. Das schade der Partei im Vorfeld der Bundestagswahl.

Lafontaine, der auch die saarländische Landtagsfraktion führt, und Schramm seien »die treibenden Kräfte in der seit Jahren praktizierten innerparteilichen Schlammschlacht«, heißt es weiter. Daher sei es nun »eine Frage des Anstandes«, dass beide ihre »Parteimitgliedschaft aufgeben sowie ihre Landtagsmandate zurückgeben«. Man brauche »keinen von oben herabgepredigten Neuanfang, sondern endlich eine Konzentration auf unseren Wählerauftrag und ein solidarisches Verhalten untereinander«.

Warum all dies zum jetzigen Zeitpunkt kommt, dazu erklärt sich der Vorstand nicht. Es dürfte jedoch mit der Mitgliederversammlung am kommenden Sonntag zu tun haben, auf der der Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Thomas Lutze sich erneut um Platz 1 der Landesliste der Linken zur Bundestagswahl bewirbt. Denn für den Spitzenplatz gibt es dank einer Initiative von Lafontaine mit Dennis Lander nun einen Gegenkandidaten. Lafontaine hatte den 27-jährigen Landtagsabgeordneten vergangene Woche als Spitzenkandidaten vorgeschlagen und Lutze zugleich aufgefordert, zumindest nicht für Platz 1 anzutreten. Er solle den Weg für einen »Neuanfang« freimachen. Das, so Lafontaine, sei eine »Frage von Ehre und Anstand«. Die Aufforderung hat durchaus handfeste Gründe: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Lutze wegen Urkundenfälschung. Eine Anklageerhebung oder gar eine Verurteilung seien nicht auszuschließen, begründete Lafontaine seinen Vorstoß.

Dazu kommt, dass Lutze ein weiteres Ermittlungsverfahren bevorstehen könnte. Wie der Saarländische Rundfunk (SR) am Donnerstag berichtete, geht es um den Verdacht des Betrugs bei der Beschäftigung von Mitarbeitern in seinem Neunkirchener Wahlkreisbüro. Lutze weist den Vorwurf jedoch zurück. Er kommt vom Stadtverbandsvorsitzenden von Saarlouis, Mekan Kolasinac. Der war zuvor lange ein enger Vertrauter von Lutze gewesen.

Von 2017 bis Dezember 2020 arbeitete der Mann in Lutzes Wahlkreisbüro in Neunkirchen. Er behauptet, er habe vor allem neue Parteimitglieder werben, Feste organisieren und Genossen chauffieren sollen. In seinem Vertrag stand laut SR, Kolasinac sei als »Schreib- und Bürokraft« zur Unterstützung bei der parlamentarischen Arbeit Lutzes beschäftigt gewesen. Er sagt aber nun, er habe in Wirklichkeit verbotene Tätigkeiten für die Partei erledigt. Bundestagsabgeordnete sind sehr frei in der Verwendung ihrer monatlichen Pauschale zur Beschäftigung von Mitarbeitern in Höhe von fast 23 000 Euro monatlich. Eine Kontrolle der Verwendung findet nicht statt. Klar untersagt ist laut Bundestagsverwaltung aber, dass Mitarbeiter für die »Betreuung von Wahlkampfständen, Straßenwahlkampf aber auch die organisatorische Vorbereitung von Parteitagen« eingespannt werden. Genau das, behauptet Kolasinac nun, habe er aber 2017 getan. Das alles erzählte er dem Anwalt der vom Vorstand angegriffenen Astrid Schramm.

Oskar Lafontaine war am Montag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Allerdings haben die sechs saarländischen Linke-Landtagsabgeordneten am Montag einstimmig eine Erklärung zu den Austrittsforderungen beschlossen, die »nd« vorliegt.

Darin werfen sie dem Landesvorstand schwere Versäumnisse vor. Dessen Festhalten an der Spitzenkandidatur von Lutze trotz der gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren sei inakzeptabel. Der Landesvorsitzende sei »nicht geeignet, die Linke im Bundestag zu vertreten, weil er in zentralen Fragen« mit deren politischen Grundsätzen nicht übereinstimme. Es folgen diverse Vorwürfe, unter anderem derjenige, Lutze habe Waffenlieferungen an die kurdische Peschmerga gefordert oder die »Leiharbeit zum Abbau von Produktionsspitzen« gerechtfertigt. Daher unterstütze die Fraktion die Kandidatur ihres Mitglieds Dennis Lander zur Bundestagswahl.

Die Austrittsforderung an Astrid Schramm, »weil sie seit Jahren ein Ende der betrügerischen Machenschaften« fordere, spreche für sich, schreiben die Abgeordneten. Mit der gleichen Forderung an Linke-Gründer Lafontaine, dem die Partei »den Einzug in den Bundestag und an der Saar ihre überdurchschnittlichen Wahlergebnisse« verdanke, habe sich der Landesvorstand »endgültig disqualifiziert«. Nur »durch eine Neuaufstellung, die das Betrugssystem der vergangenen Jahre überwindet«, habe die Linke an der Saar eine Zukunft.

In der Erklärung wird auch das Thema der schlampig geführten Mitgliederlisten angeschnitten. Trotz »zweimaliger Aufforderung des Bundesvorstandes, zuletzt Ende April« sei die Mitgliederdatenbank »nicht in Ordnung gebracht«, schreiben die Abgeordneten. Auch jetzt lägen Beschwerden vor, dass Stimmberechtigte nicht zur Versammlung am 6. Juni eingeladen worden seien. Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler hatte der Saar-Linken bereits 2019 vorgeworfen, lange keine Beiträge zahlende Mitglieder nicht ordnungsgemäß zu streichen. Die saarländische Linke verliert nicht zuletzt wegen der internen Querelen seit Jahren Mitglieder. Ende Dezember 2020 gehörten ihr offiziell noch 1693 Genossinnen und Genossen an. Im Jahr 2016 waren es noch 2400 gewesen.

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