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Glowreiche Schwangere - ruhmlose Mütter
Kinder sind willkommen, gaukelt die Gesellschaft vor. Doch Frauen sollten dreimal überlegen, ob die Beziehung zum Vater stabil ist. Und sich ansonsten auf die unrühmliche Rolle der Alleinerziehenden einstellen
Vor zwei Tagen bin ich dem Rat meiner hochschwangeren Friseurin gefolgt und habe mir die Nahrungsergänzungsmittel besorgt, die sie seit ihrer Schwangerschaft nimmt. Angeblich machen die einen topfit. Bye-bye Eisen-, Folat-, Vitamin-D- und sonstiger Lebenskräftemangel! Ich gehe unschwanger in die Apotheke und ordere ein Präparat speziell fürs zweite Trimester. Die Apothekerin spricht so sanft, dass ich sie hinter der Maske kaum verstehe, will mir Geschenke und irgendeine süße Box für den Mutterpass mitgeben.
Ich bekomme richtig Lust, bald schwanger zu werden! Da ich - vermutlich wegen meines Nährstoffmangels - total durchhänge, lasse ich mir noch einen fetten Pack von diesem Erkältungsgranulat eintüten, das der Radiomoderator Simon Beeck mal als »Kokain des kleinen Mannes« bezeichnete. Die Apothekerin lächelt und packt mir noch ein paar Geschenke ein. Ich fühle mich richtig gut. Dieser Schwangerschafts-Glow fühlt sich an wie ein Trumpf, wie etwas ganz besonders Wertvolles. In mir wächst potenziell neues Leben und wildfremde Menschen lieben mich dafür.
Wie kommt es, dass sich dieses Ass spätestens dann gesellschaftlich zum absoluten Nachteil verkehrt, wenn das Kind ausgetragen ist und die Beziehung zum Vater des Kindes auseinander geht, der Vater stirbt oder aus gesundheitlichen Gründen keine Verantwortung für die Familie übernehmen kann? Beginnt nicht gerade dann das wahrhaftige Heldinnen-Epos?
Als Tochter einer Alleinerziehenden habe ich eine Ahnung davon, was das bedeutet. Der Alltag, den meine blutjunge Mutter in den 90er Jahren bewältigte, lief wie geölt, ich kann sie nur bewundern. Doch gesellschaftlich wurde sie ganz und gar nicht wie das behandelt, was sie war: eine Topmanagerin und meisterliche Finanzbuchhalterin. Berufliche Weiterentwicklung und ein Aufstieg in der Gehaltsklasse ist für Alleinerziehende kaum machbar. Zu begrenzt sind die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, zu unflexibel die Arbeitsmodelle und ironischerweise zu gering das Zutrauen in die Fähigkeiten der Frauen.
Deshalb galt damals, was auch noch 2016 vom Statistischen Bundesamt ermittelt wurde: Das Armutsrisiko Alleinerziehender ist mit 32,5 Prozent doppelt so hoch wie im Durchschnitt der Bevölkerung.
Meine Mutter arbeitete als ausgebildete Bürokauffrau für ein mehr als 15 Jahre gleichbleibend niedriges Gehalt. Um die Nuller Jahre herum faselte ein Unternehmensberater außerdem etwas von einer Rezession zusammen, weshalb die Arbeitszeit meiner Mutter angehoben wurde, ihr Gehalt jedoch nicht. Sie wurde in Steuerklasse 2 zwar etwas milder besteuert, als ein Single, fiel netto aber unter die Armutsgrenze und erhielt Sozialhilfe. Da mein Vater keinen Unterhalt zahlte, bekam sie damals zudem für jedes Kind bis zum zwölften Geburtstag jeweils einen staatlichen Unterhaltsvorschuss, der auf die Sozialhilfe angerechnet wurde.
Unterm Strich machte der Vorschuss keinen großen finanziellen Unterschied, wurde aber meinem Vater auf ein Schuldenkonto beim Jugendamt angerechnet. Sollte sich je eines meiner Elternteile aus der Unterschicht herauskämpfen, hat es zunächst jeden Cent der Schuld zu bezahlen, die es bedeutet, krank oder mies bezahlt zu werden. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber der hart arbeitenden Mittelschicht, die diesen Sozialstaat finanziert, glaube ich. Zu dieser Schicht gehört zum Beispiel der ehemalige Chef meiner Mutter.
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Es hat mich berührt, dass Kinder derart willkommen geheißen und angehende Mütter gestärkt werden. Für mich sind Alleinerziehende die absoluten Heldinnen, aber ich selbst will ungern sehenden Auges dieses Epos aufführen. Am Samstag hatte ich meine erste Verabredung seit dem zweiten Lockdown. Mein Date - selbst Vater von zwei Kindern und seit vielen Jahren getrennt lebend - fragte mich, warum ich noch keine Kinder hätte. Schließlich habe ich die 30 schon überschritten. Ja genau. Warum habe ich eigentlich keine Kinder? Fragt mich ein Mann, der nicht bei seinen Kindern lebt.
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