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»Das große Ziel sind die Big Four«
Emily Laquer ist selbst Vollblut-Aktivistin. Jetzt hat sie eine Agentur gegründet, mit der sie Aktivistinnen in Zeitungen, ins Radio und in Talkshows bringen will
Werden Sie öfter gefragt, ob Emily Laquer Ihr richtiger Name ist?
Nö, das ist ja auch mein Name. Aber klar, wer als linke Aktivistin öffentlich auftritt, macht sich angreifbar, riskiert Shitstorms, sexistische Beleidigungen, Drohungen oder berufliche Nachteile. In den Trainings unserer Aktivistinnen-Agentur empfehlen wir deshalb, nicht einfach in die Öffentlichkeit zu stolpern, sondern diese Entscheidung bewusst für sich zu treffen. Für mich fühlt es sich richtig an, offen und als ganze Person zu meinen radikalen Positionen zu stehen.
Emily Laquer ist Medienaktivistin, Talkshowkritikerin und Geschäftsführerin der Aktivistinnen-Agentur. Sie lebt, wie sie selbst sagt, in Hamburg-St. Pauli und auf Twitter. Talkshows wie »Die letzte Instanz« des WDR sind für Emily Laquer ein Problem - aber auch Teil der Lösung. Im Interview spricht sie über ihren Digitalkonsum, über die Medienlogik von Talkshows wie die von Markus Lanz, Anne Will und Co. und über Axel-Springer-Medien. Mehr Infos: aktivistinnen-agentur.de
Sie haben beim G20-Gipfel in Hamburg die Blockaden mitorganisiert. Ihr Gesicht wird wie kein anderes mit dem Gipfel verbunden - ist das Fluch oder Segen?
Die G20 sind ein Fluch für die Welt, aber die vielfältigen Proteste waren notwendig und inspirierend. Ich war zu der Zeit schon lange Aktivistin, habe mich nicht um Uni und Karriere gekümmert, bei Waldbesetzungen im Baumhaus gelebt, Bauplätze besetzt und wurde von RWE verklagt. Mit G20 habe ich gemerkt, dass es einen Unterschied macht, wenn linke Positionen in Mainstream-Medien vorkommen. Das hat mich zum Medienaktivismus gebracht.
Auf der Seite der von Ihnen mit ins Leben gerufenen Aktivistinnen-Agentur steht, dass Sie in Hamburg-St. Pauli und auf Twitter leben. Welcher der beiden Orte ist der friedlichere?
Hamburg hat die höchste Millionärsdichte Deutschlands, aber hier auf St. Pauli leben Menschen auf der Straße. Mindestens 13 Wohnungslose sind diesen Winter in der Kälte erfroren. Die Welt ist nicht friedlich. Die Spaltung der Gesellschaft gibt es schon. Das muss man aussprechen, auf Twitter und auf der Straße.
Auf Twitter hat Jan Böhmermann vor einigen Tagen einen Post von Ihnen geteilt. Ist das dieser wachsende Einfluss von linksaußen auf die Medienlandschaft, vor dem die Rechten immer warnen?
Über den Retweet habe ich mich gefreut, das war geil. Ich hatte ein Video von Luisa Neubauer bei Anne Will geteilt: Eine junge Aktivistin, die vor einem Millionenpublikum so offensiv austeilt, dass der Kanzlerkandidat der Union verzweifelt darum ringt, überhaupt noch zu Wort zu kommen …
Ihn vorführt, muss man eigentlich sagen.
Ja, ihn vorführt. Ganz großes Fernsehen!
Sie bezeichnen sich als Medienaktivistin. Was für einen Alltag hat eine Medienaktivistin?
Erst mal heißt das ganz klassisch Aktivistin zu sein: Auf Demos und Aktionen gehen, immer mit dem Blick darauf, wie wir unsere Forderungen in die Nachrichten und die sozialen Medien bringen. Ich gebe Presse-Workshops für Aktivist*innen, treffe mich mit Journalist*innen. Rufe Redaktionen an, um ihnen Aktivist*innen für ihre nächste Sendung vorzuschlagen. Abends beteilige ich mich oft am beliebten Twitter-Sport: Talkshows schauen und kritisieren.
Haben Sie feste Zeiten, wann Sie als Aktivistin Ihr Handy ausmachen, oder müssen Sie immer erreichbar sein?
Ich versuche zwischendurch Pausen zu machen. Aber es ist meistens an.
Was kann man sich unter Ihrer Aktivistinnen-Agentur vorstellen?
Wir coachen und trainieren Aktivist*innen, um sie an TV-, Radio und Zeitungsredaktionen zu vermitteln. Das große Ziel sind die Big Four der Talkshows: Anne Will, Hart aber fair, Maischberger und Illner.
Wie wollen Sie die Leute, die Sie coachen, zu Maischberger und Lanz bekommen? Und hat das schon geklappt?
Die ersten Zeitungs-, Radio und Fernsehinterviews haben wir schon vermittelt. Die großen Talkshows waren noch nicht dabei, die Agentur fängt gerade erst an. Da reinzukommen, ist für Linke nicht leicht.
Die Medienlogik ist ja: Je größer der Name, desto besser. Versuchen Sie gezielt, einzelne Aktivist*innen bekannt zu machen, damit sie für relevante Formate infrage kommen?
Um Medienstars geht’s uns nicht. Uns geht es darum, die Eigenlogik der Medien zu verstehen und sie zu nutzen, um radikale Kritik an den Verhältnissen sichtbar zu machen. Es ist wie beim Fußball: Es macht keinen Sinn, sich über Schiedsrichter*innen oder den mächtigen Gegner zu beschweren. Wir müssen die Spielregeln lernen, um ein Tor für unsere Bewegungen und Kämpfe zu schießen.
Warum sind Talkshows so wichtig?
Talkshows sind die Bundesliga der Mainstream-Medien. Anne Will sehen sich zwei bis fünf Millionen Leute an, dazu kommt die Resonanz auf Twitter und durch die Rezensionen. In den Talkshows wird Diskurshegemonie hergestellt. Dort wird abgesteckt, welche Akteur*innen und Positionen relevant sind. Das beeinflusst reale Machtverhältnisse. Wie gefährlich es ist, das mediale Spielfeld den Rechten zu überlassen, hat der Aufstieg der AfD gezeigt. Sorgen wir dafür, dass auch die Enteignung der Immobilienkonzerne, offenen Grenzen oder die Entnazifizierung der Sicherheitsorgane dort relevante Forderungen werden.
Nehmen wir mal an, Sie haben Erfolg - Talkshows und Tageszeitungen im Jahr 2022 stellen häufiger die soziale Frage, Aktivist*innen rücken in den Mittelpunkt der Berichterstattung. Wie kommt man jetzt von der erhöhten Aufmerksamkeit zu zählbaren, zu politischen Mehrheiten?
Bewegungen müssen in erster Linie mobilisieren, Gegenmacht auf der Straße aufbauen. Seit einigen Jahren gibt es eine positive Tendenz zu einer krasseren Medienarbeit. Die Aktivistinnen-Agentur ist Teil dieser Entwicklung. Erfolgreich sind wir, wenn unsere Bewegungen insgesamt vorankommen.
Was lief das erste Bootcamp für Pflegekräfte ab?
In der Pandemie werden die Forderungen der Pflegekräfte zu wenig gehört. Das wollen wir ändern und haben mit 16 Pfleger*innen und medizinischen Angestellten trainiert, wie sie ihre Forderungen in die Nachrichten bringen. Wie man sich für ein Interview vorbereitet, schnell auf den Punkt kommt oder sich gegen einen Shitstorm schützt.
Auf der Seite der Aktivistinnen-Agentur steht: »Kurze Beratung und Vermittlung verstehe ich als Aktivismus und kostet natürlich nichts.« Gilt der Mindestlohn nur für andere?
Die Arbeit von Aktivist*innen ist unbezahlbar. Würden soziale Bewegungen für alle ihre Leistungen Rechnungen schreiben - die könnte nicht mal Jeff Bezos bezahlen. Wer reich werden will, macht etwas anderes. Und das Spendenkonto der Aktivistinnen-Agentur steht auf unserer Webseite. (lacht)Glauben Sie, dass Talkshows in Zukunft diverser werden? Und dass es auch immer mehr diverse Talkshow-Formate geben wird, wie zum Beispiel »deep und deutlich« vom NDR?
Talkshows haben immer noch ein Rassismusproblem. Alice Hasters war nach den Black-Lives-Matter-Protesten der erste schwarze Gast bei Anne Will nach dreieinhalb Jahren. Schwarze Menschen werden nur dann zu Talkshows eingeladen - und auch das nur mit öffentlichem Druck - wenn sie Betroffene sind. Sie gelten selten als Expert*innen - das ist ein Problem, das sogar linke Podien betrifft.
Das deutet also eher nicht darauf hin, dass sich etwas zum Besseren wendet?
2019 waren die häufigsten Vornamen der Talkshow-Gäste Michael, Markus und Peter. Denken wir an die Skandal-Sendung »Die letzte Instanz«, in der sich ausschließlich weiße Gäste darüber unterhalten, wie nervig sie antirassistische Forderungen finden. Von allein wird sich am Rassismus-Problem der Talkshows wenig ändern.
Und in Sachen Geschlechtergerechtigkeit?
Mein Eindruck ist, dass der Druck von außen bei der Geschlechtergerechtigkeit, gerade im letzten Jahr, zu wirken beginnt. Es gab immer mehr Talkshows, in denen Frauen zumindest die Hälfte des Podiums ausgemacht haben. Aber es werden immer noch große Teile der Gesellschaft ausgeblendet. Nach der Wahl von FDP-Mann Kemmerich mit den Stimmen von AfD und CDU zum Ministerpräsidenten in Thüringen gab es in den großen Talkshows kaum Stimmen aus Ostdeutschland. Kommunalpolitiker*innen kommen nicht vor. Internationale Themen auch nicht. Die Gesellschaft ist postmigrantisch, aber Talkshows bilden das nicht ab. Da sind noch große Schritte nötig.
Die Antwort auf die Sendung »Die letzte Instanz«, mit dem Namen »Die beste Instanz« von der Moderatorin und Komikerin Enissa Amani, ist für den Grimme-Preis nominiert worden.
Zu Recht.
Ist das ein Gegenentwurf, dass man eigene Formate gründet, oder droht dann die Gefahr, dass die zu sehr in woken Diskurskanälen untergehen, in denen alle Bescheid wissen und sich am Ende gegenseitig auf die Schulter klopfen, sich aber nichts ändert?
Linke und progressive Medien sind total wichtig. Genau wie die aktive Nutzung der sozialen Medien. An der realen Medienmacht der existierenden etablierten Strukturen ändert das aber wenig. Das gilt für die Öffentlich-Rechtlichen ebenso wie für die privaten Medienhäuser, die noch immer die Agenda und den Rahmen des Sagbaren bestimmen. Dort als linke Bewegungen vorzudringen, ist die Aufgabe, die wir uns mit der Aktivistinnen-Agentur gesetzt haben.
Würden Sie als linke Agentur auch zu Axel Springer vermitteln - oder ist da die rote Linie?
Wenn ich der konservativen FAZ ein Interview gebe, dann kann ich mich meist darauf verlassen, dass Spielregeln und Anstand eingehalten werden. Der »Bild« oder auch Russia Today würde ich kein Interview geben. Sie haben kein Interesse an der Wahrheit, an der authentischen Wiedergabe von Positionen, keinen Respekt für die Interviewten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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