Selenskyj fordert Oligarchen heraus

Ein umstrittenes Gesetz soll die politische Macht ukrainischer Großunternehmer beschneiden

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Wolodymyr Selenskyj vor zwei Jahren zum ukrainischen Präsidenten gewählt wurde, kündigte er einen umfassenden Kampf gegen Oligarchen und ihren politischen Einfluss an. Weil der Ex-Fernsehkomiker jedoch selbst mehrere Jahre für einen Sender des umstrittenen Oligarchen Ihor Kolomojskyj arbeitete, der Selenskyj offen im Wahlkampf unterstützte, wurde sein Vorhaben mit Skepsis aufgenommen. Die Zweifel bestätigten sich: Zwar erwies sich die tatsächliche Abhängigkeit von Kolomojskyj als minimal, zu weiteren steinreichen Männern wie Rinat Achmetow oder Wiktor Pintschuk knüpfte Selenskyj aber gute Kontakte.

Doch nun will der Präsident die sogenannte De-Oligarchisierung der Ukraine ernsthaft angehen. Und zwar mit einem Oligarchengesetz, von dem bereits seit Monaten die Rede ist. Auf der Jahrespressekonferenz im Mai bestätigte Selenskyj, ein entsprechender Entwurf sei nahezu fertig. Am Mittwochabend legte er diesen jetzt dem Parlament vor. Das Oligarchengesetz soll über einen Zeitraum von zehn Jahre gelten und vor allem einem Ziel dienen: Der deutlichen Trennung von Politik und Großunternehmertum.

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Bemerkenswerterweise definiert der Entwurf den Begriff des Oligarchen erstmals in der Gesetzgebung. Demnach handelt es sich um eine Person, die aktiv am politischen Leben teilnimmt, bedeutenden Einfluss auf die Medien nimmt, eine Monopolstellung in einem Wirtschaftsbereich innehat sowie über Vermögenswerte in einer Höhe von umgerechnet mindestens 80 Millionen US-Dollar verfügt. Ob eine Person diesen eher weit gefassten Kriterien entspricht, soll aber nicht etwa ein Gericht entscheiden, sondern der dem Präsidenten unterstehende Sicherheitsrat. Dieser spielte in Selenskyjs Machtkonstrukt zuletzt ohnehin eine große Rolle: So ließ der Präsident von dem Gremium etwa Sanktionen gegen den prorussischen Politiker Wiktor Medwetschuk verhängen, welche zur rechtlich umstrittenen Sperrung von drei Fernsehsendern führten.

Dürfte der Sicherheitsrat künftig tatsächlich darüber bestimmen, wer im Oligarchen-Register landet, nähme die Bedeutung des früher eher zweitrangigen Organs noch weiter zu. Zumal der Gesetzesentwurf viel Raum für Interpretationen lässt. So ist beispielsweise offen, auf welcher Grundlage der Sicherheitsrat bestimmen soll, wie viel Einfluss Oligarchen auf Medien ausüben. Auch die Vermögensuntergrenze von 80 Millionen US-Dollar würde nicht nur Oligarchen wie Achmetow oder Kolomojskyj treffen, sondern wahrscheinlich Hunderte Unternehmer.

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Die konkreten Folgen des Gesetzen sähen für diese so aus: Oligarchen dürften keine Parteien mehr finanzieren und auch nicht an der Privatisierung großer Staatsunternehmen teilnehmen. Zudem müssten sie auf die gleiche Art und Weise ihr Einkommen offenlegen, wie das Beamte und Abgeordnete aktuell tun. Darüber hinaus wären inoffizielle Kontakte, die Beamte zu Oligarchen unterhalten, künftig meldepflichtig.

Die ursprünglichen Entwürfe des Gesetzes, welche vorher als Leaks in den Medienzirkulierten, waren im Vergleich zur Endfassung sogar noch schärfer. So sollte den Oligarchen unter anderem auch die indirekte Beteiligung an Medien untersagt werden. Der eingereichte Entwurf sieht nun aber eher nach einem Kompromiss aus. Der reichste Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, und Ihor Kolomojskyj reagierten daher nur zurückhaltend. Nicht aber Selenskyjs Vorgänger Petro Poroschenko, welcher in jedem Fall unter den Begriff des Oligarchen fällt. Aus Selenskyjs Sicht wären alle Konkurrenten Oligarchen, zürnte Poroschenkos Partei. Selenskyj wolle ihn politisch beseitigen.

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Für bekannte Politiker wie den Ex-Präsidenten, der zur Zeit Abgeordneter ist, wäre der offizielle Status eines Oligarchen zumindest aus PR-Sicht ein herber Nachteil. Deswegen ist nicht auszuschließen, dass hinter der Idee des Oligarchengesetzes vor allem ein Angriff Selenskyjs auf seinen wichtigsten politischen Gegenspieler stecken könnte. Doch ob das Gesetz in dieser Form durchkommt, steht noch in den Sternen. So kritisiert unter anderem der Parlamentsvorsitzende Dmytro Rasumkow, der Selenskyjs Partei vertritt, den übergroßen Einfluss des Sicherheitsrats. Doch für Präsident Selenskyj ist das Oligarchengesetz ein Prestigeprojekt, für welches er sicher kämpfen wird.

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